Intakter Ringelschwanz und Aktionsplan Kupierverzicht

Seit 1994 ist EU-weit das routinemäßige Kupieren der Ringelschwänze bei Schweinen verboten. Trotzdem gehört das Kürzen der Schwänze bis heute zu den systematischen Eingriffen, die an den nicht einmal acht Tage alten Ferkeln ohne Betäubung und Schmerzmittelgabe vorgenommen werden. Begründet wird dieser Eingriff damit, dass sich die Schweine im Laufe ihrer Aufzucht gegenseitig die Ringelschwänze abbeißen könnten. 

Das Schwanzbeißen ist eine Verhaltensstörung, die durch verschiedene Faktoren vor allem bei Mastschweinen und Absatzferkeln ausgelöst wird. Zu den Hochrisikofaktoren zählen die Haltungsbedingungen der konventionellen Intensivtierhaltung wie eine unstrukturierte und einstreulose Bucht, Vollspaltenboden und hohe Besatzdichten sowie die Hochleistungszucht. Der Gesundheitsstatus der Tiere, Konkurrenz um Ressourcen wie Futter und Wasser sowie Mängel in der Fütterung wirken sich ebenfalls auf das Schwanzbeißgeschehen aus. 

Ferkel im Freien
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95 Prozent unserer „Nutz“schweine leben auf Betonspaltenböden ohne Einstreu und mit geringem Platzanspruch. Jedem Schwein mit 50 bis110 Kilogramm Lebendgewicht stehen gerade einmal 0,75 Quadratmeter zur Verfügung. Zum Ende der Mast ist der Platz pro Tier so knapp, dass ein Teil der Tiere auch in den Kotecken liegen muss. Weil die einstreulose Haltungsumwelt so reizarm und langweilig ist, benötigen die Schweine Beschäftigungsmaterial. Die Anforderungen daran sind jedoch ebenfalls ungenügend: Bereits ein Kunststoffball, der an einer Kette in der Bucht hängt, reicht gemäß gesetzlichen Vorgaben aus. Und die Buchtengestaltung und -größe bietet keine Möglichkeit zur eindeutigen Strukturierung in die Bereiche Ruhen, Aktivität/Futteraufnahme und Koten/Harnen. Ebenso stehen den Tieren kein Auslauf oder zumindest Außenklima zur Verfügung. Das alles führt bei den intelligenten und neugierigen Schweinen zu Frust, Leid und Langeweile. 

Natürlich bedeutet diese Haltung nicht, dass alle Tiere in der Intensivtierhaltung sich immer beißen. Wenn die Bedingungen aus bedarfsgerechtem Futter, Klimaführung im Stall und hohem Gesundheitsstatus genau passen, bleiben die Ringelschwänze auch unversehrt. Aber die Zucht auf Hochleistung hat zur Folge, dass die Schweine sensibel auf kleinste Einflüsse und Änderungen ihrer Umgebung reagieren. Konkurrenz um Futter oder Wasser, Krankheitseinbrüche und Unwohlsein oder eine Fütterung, die nicht den Nährstoffbedarf deckt, können unmittelbar Schwanzbeißen auslösen. 

Das hat dazu geführt, dass bisher die Praxis des Ringelschwanzkupierens als alternativlos von Gesetzgebung, Veterinärämtern und Bauernvertretungen angesehen wurde. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass der intakte Ringelschwanz das größte Risiko für das Schwanzbeißgeschehen ist und die Anpassung der Haltungsbedingungen aus wirtschaftlichen, arbeitstechnischen und hygienischen Gründen nicht umsetzbar sei. 

Drei Schweine im Freien mit hängenden Schwänzen
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Diese Begründung ist für PROVIEH nicht nachvollziehbar. Bereits 2009 begann PROVIEH daher mit einer Kampagne zum Thema „Intakter Ringelschwanz“, um die längst überfällige Umsetzung des bestehenden Kupier-Verbots endlich durchzusetzen. Den Start machte PROVIEH 2011 mit einer gegen Deutschland gerichteten Beschwerde bei der EU-Kommission. Weitere Beschwerden folgten in den nächsten Jahren. Zudem war PROVIEH maßgeblich an der Ausarbeitung von Leitlinien beteiligt, die das Halten von Schweinen mit intaktem Ringelschwanz ermöglichen. Die Ringelschwanzprämie, die Betriebe bei der Umsetzung des Kupierverzichts unterstützt, hat PROVIEH ebenfalls mit erarbeitet. Die Kampagne endete mit dem Erfolg, dass EU-Kommissionsvertreter in 2017 mit ersten Kontrollen in Deutschland anfingen.

Auf Grundlage dieser Kontrollen verfasste die EU-Kommission eine Aufforderung zur Gestaltung eines Maßnahmenplans zum Ausstieg aus dem Kupieren. Erst diese Ermahnung durch die EU veranlasste Deutschland mit dem Einstieg in den Kupierverzicht zu beginnen. 

Der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erarbeitete „Aktionsplan Kupierverzicht“ ist 2019 gestartet und fordert jeden Schweinehalter auf, jährlich die Schwanzbeißproblematik in seinem Stall zu erfassen und zu bewerten. Wenn Schwanzbeißen auftritt und ergriffene Maßnahmen wie zum Beispiel mehr Beschäftigung keine Abhilfe schaffen, darf den Schweinen weiter routinemäßig der Ringelschwanz gekürzt werden. 

Ein Schwein und ihre Ferkel schlafen im Sand
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An den gesetzlichen Haltungsvorgaben hat sich durch den Aktionsplan jedoch nichts geändert. Mit der Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung im Februar 2021 wurde zwar die Anforderung an das Beschäftigungsmaterial angepasst. Ab dem 01.08.2021 muss dieses faserreich und organisch sein und das Bedürfnis nach Erkunden und Bewühlen erfüllen. Jedoch sind die weiteren gesetzlichen Mindeststandards nicht verbessert worden. Die Platzvorgaben für Mastschweine und Absatzferkel wurden nicht vergrößert. Einstreulose Haltung auf Voll- oder Teilspalten ist weiterhin erlaubt. Es ist auch zukünftig keine Buchtenstrukturierung und Auslauf oder Außenklima vorgeschrieben. Auch wird dem Einfluss der Hochleistungszucht durch eine gesetzliche Vorgabe zur Ausrichtung der Zuchtziele auf mehr Robustheit nicht Rechnung getragen. 

Schwanzbeißen wird daher weiterhin ein großes Problem sein. Eine konkrete Frist zum Verzicht des Schwänzekupierens wurde vom Gesetzgeber noch nicht formuliert. Die Routine des Ringelschwanzkürzens wird in Zukunft weiter toleriert werden. Für die Schweine bedeutet das, dass mit dem Kupieren auch zukünftig ein Eingriff an ihnen vorgenommen wird, der durch eine tiergerechte Haltung nicht notwendig wäre und seit über 25 Jahren verboten ist. Erst eine Anpassung der Haltung an die Bedürfnisse der Tiere kann nachhaltig dazu führen, dass das Problem des Schwanzbeißens gelöst wird. 

PROVIEH fordert gesetzliche Mindeststandards, die sich an den Bedürfnissen der Schweine orientieren. Dazu gehört eine Haltung mit Einstreu und Auslauf sowie Buchten, die ausreichend groß sind und so die Möglichkeit zur Strukturierung geben, in einen eingestreuten Liegebereich, einen Aktivitätsbereich und einen Kotbereich. Bestehende Verbote zu Eingriffen an den Tieren, wie das Schwänzekupieren, müssen eingehalten werden. Die Fristen zur Anpassung der Schweinehaltung an eine artgemäße Haltung müssen kurzfristig und zielorientiert sein.

Aktionsplan Kupierverzicht

• 2017: Die EU-Kommission teilt Deutschland mit, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinien für Mindestanforderungen für Schweine in Bezug auf das Kupieren der Ringelschwänze ungenügend sind, um das Schwanzbeißen grundlegend und nachhaltig zu verhindern
• Februar 2018: Deutschland wird im Auftrag der EU-Kommission durch die Generaldirektion Sante auditiert mit dem Ergebnis, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen der Bundes- und Länderbehörden zur Reduzierung des Schwanzbeißens ungenügend sind und somit das Schwänze kupieren weiterhin systematisch durchgeführt wird
• Ende 2018: Agrarminister-Konferenz beschließt den Aktionsplan Kupierverzicht

Dieser sieht zwei Optionen vor:
  1. Es werden weiterhin kupierte Tiere gehalten
  2. Der Betrieb steigt in den Kupierverzicht ein
    • 01. Juli 2019: alle Tierhalter müssen eine schriftliche Erklärung unterzeichnen, ob sie Option 1 oder 2 wählen. Grundlage ist eine Risikoanalyse und daraus folgende Optimierungsmaßnahmen in Bezug auf Beschäftigung, Stallklima, Gesundheit und Fitness, Wettbewerb um Ressourcen, Ernährung, Struktur und Sauberkeit der Buchten
    Option 1: Im Betrieb sind bei mehr als 2 Prozent der Tiere Schwanz-/Ohrverletzungen aufgetreten. Das Schwänzekürzen bleibt unerlässlich.
    Option 2: Der Betrieb beginnt mit dem Verzicht auf das Kupieren und hält daher nachweislich mindestens 1 Prozent der Tiere mit unkupierten Schwänzen.
    • Die Risikoanalyse und die Tierhalter-Erklärung müssen jährlich neu erstellt werden. Der Tierhalter muss bei Option 1 die Haltungsbedingen kontinuierlich verbessern, um auf den Kupierverzicht hinzuarbeiten.
    • In 2021 soll der Aktionsplan Kupierverzicht durch das BMEL evaluiert werden