Umbau der Schweinehaltung mit Tiergesundheitsförderung jetzt!
Schweine sind hoch intelligente, sensible und anspruchsvolle Tiere. Kaum eine Tierart wird aber so fernab seiner natürlichen, arteigenen Bedürfnisse und Verhaltensweisen gehalten. Die Instinkte zum Wühlen, Stöbern, Grasen, Kauen und Nestbauen sind in den Hochleistungsrassen genauso wach wie bei Wildschweinen. In konventionell noch weit verbreiteten engen, kahlen, unstrukturierten Betonvollspaltenbuchten in von der Außenwelt abgeschotteten Warmställen ist kein Tierwohl für Schweine möglich.
Leider wurde die genetische Selektion bei einigen Zuchtlinien (vor allem der DanZucht) auf wenige Merkmale wie extrem hohe Fruchtbarkeit, Magerfleischanteile und Tageszunahmen fokussiert, während Robustheit, ausgeglichene Wurfgewichte, geringe Stressanfälligkeit und Langlebigkeit außer Acht gelassen wurden. Durch die unzureichenden Management- und Haltungsbedingungen sowie die einseitige Zucht kann es bei den Schweinen zu Schwanzbeißen kommen. Um dies zu verhindern und sie an mangelhafte Fütterungs- und Haltungsbedingungen anzupassen, werden ihnen vorbeugend die Ringelschwänze kupiert.
Der Ringelschwanz muss ganz bleiben!
Dieses Anliegen fordert und befördert PROVIEH besonders intensiv seit unserer Klage 2009 in Brüssel wegen der Nicht-Einhaltung der EU-Vorschriften aus 1991(!) – unter anderem durch die Entwicklung der Ringelschwanzprämie. Die Ringelschwanzprämie darf laut EU-Gesetzen allerdings nicht längerfristig gewährt werden, weil theoretisch keine Subventionen für die Einhaltung geltenden Rechts gezahlt werden dürfen. Doch die Tierhalter können den Wettbewerbsverlust durch höhere Tierwohlkosten nur mit geeigneter Förderung überstehen. Immer wieder gibt es Preisdruck durch Billigimporte des Handels aus Ländern wie Spanien, wo Tierschutz leider noch ein Fremdwort ist. Die neuen Herkunfts- und Haltungskennzeichnungen könnten zusammen mit dem geplanten Tierwohlcent endlich die nötigen Rahmenbedingungen und finanziellen Mittel schaffen, damit tierfreundliche Haltung in Deutschland endlich Realität wird und nicht durch Billigimporte unterlaufen wird. Der ganze Ringelschwanz ist für das Wohlbefinden und die Gesundheit der beste Indikator und hat daher Signalwirkung und Symbolcharakter.
Die Lösung: „Tiergesundheitsförderung“
Seit unserer Klage, die Deutschland beinahe Hunderte Millionen Euro gekostet hätte, wurde viel geforscht. In den vergangenen 15 Jahren hat sich erwiesen, dass es betriebsindividuell unterschiedlicher Maßnahmen bedarf, um auf das Kupieren der Ringelschwänze verzichten zu können, ohne dass es zu Problemen durch Nekrosen und/oder Schwanzbeißen kommt. Die Ursachen und Auslöser können vielfältig sein, wodurch der Kupierverzicht eine komplexe Aufgabe in der Sauenhaltung, Ferkelaufzucht und Mast ist.
Verdauungsgesundheit ist Voraussetzung
Als wesentlichste Grundvoraussetzungen haben sich neben züchterischen Anpassungen die Verminderung der Stressfaktoren und die Verbesserung der Tiergesundheit, insbesondere der Verdauungsgesundheit herausgestellt. Letztere hängt von Aspekten wie vorbildlicher Fütterung und Tränke ab. Hochwertige Fütterung in erfolgreichen Betrieben enthält unter anderem 1A Raufutter wie Heu oder Silomais, eine tierische Eiweißkomponente wie Fischmehl zur nachhaltigen Sättigung und Zufriedenheit der Allesfresser, sowie abwechslungsreiches, natürliches, möglichst bodennahes Beschäftigungsmaterial zum Wühlen und Kauen (wie Stroh oder Sägespäne).
Zudem verursachen die notwendigen längeren Beobachtungszeiten hohe laufende Zusatzkosten; denn Probleme müssen frühzeitig erkannt und abgestellt werden, bevor das „Stresslevel“ so steigt, dass es zu Schwanzbeißen kommt. Außerdem brauchen Langschwanz-Betriebe mehr Kranken- und Separationsbuchten, um doch mal verletzte Tiere oder auch aggressive Beißer – wenn auch meist nur vorübergehend – von der Gruppe trennen zu können.
Wir brauchen die Sauenhalter in Deutschland
Die Anforderungen an Haltungsbedingungen, Management, Fütterung und Genetik sind hoch, wenn die Ringelschwänze über das gesamte Leben intakt bleiben sollen. Mit mehr Platz und Bewegungsfreiheit allein ist es auch in der Sauenhaltung nicht getan. Dort wird der Grundstein für gesunde Ferkel und intakte Ringelschwänze gelegt. Abgesehen von den hohen Investitionskosten für den Umbau der Sauenhaltung, erhöhen sich die Kosten für die Ferkelerzeugung dauerhaft um über zwölf Euro pro Ferkel. Diese werden den Erzeugern am Markt derzeit nicht vergütet, da die deutschen Mäster aus Dänemark und den Niederlanden billigere (kurz kupierte!) Ferkel kaufen können. Gleichzeitig steigt der Druck aus Brüssel und Berlin auf deutsche Sauenhalter im ganzen Land, endlich auf das Schwanzkupieren zu verzichten. Auch deshalb ist es wichtig, den Ferkelerzeugern jetzt langfristig verlässliche finanzielle Perspektiven zu bieten, wenn sie beim Tierwohl mitziehen.
Lasst die Sau raus! Laut novellierter Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom Februar 2021 müssen Sauen in Altbauten spätestens ab Februar 2029 nach dem Absetzen der Ferkel bis zur erneuten Besamung jeweils 5 Quadratmeter zur Verfügung gestellt sowie Gruppenhaltung ermöglicht werden. Fixiert werden darf im Deckzentrum nur noch für die sogenannte Rauschekontrolle (Besamungsbereitschaft), während des Besamungsvorgangs selbst oder für medizinische Behandlungen. Im Abferkelbereich müssen die Sauen spätestens ab 2036 in Buchten ohne Abferkelkäfig (freie Abferkelung) oder in Bewegungsbuchten mit mindestens 6,5 Quadratmeter Platz untergebracht werden, in denen sie höchstens 5 statt wie bisher 35 Tage lang fixiert werden dürfen. PROVIEH favorisiert die freie Abferkelung ohne Fixierung. Diese wird seit langem, unter anderem in vielen Schweizer Betrieben, erfolgreich praktiziert. Die neuen Bestimmungen stellen zwar eine deutliche Verbesserung dar, die Fixierung rund um die Geburt bewertet PROVIEH jedoch kritisch, da weder Nestbau- noch Bemutterungsinstinkte ausreichend ausgelebt werden können und fraglich ist, wie die Dauer der Fixierung überhaupt kontrolliert werden kann.
FDP muss mitziehen!
Dass sich besonders in der Sauen- und Schweinehaltung viel ändern muss, stand unter anderem sehr deutlich im Bericht der “Borchert-Kommission” vom Februar 2020 an die damalige Bundesregierung. Erst die nachfolgende Ampelregierung reagierte und legte in den Ende November 2021 veröffentlichten Koalitionsvereinbarungen einen wichtigen Fokus auf den Tierschutz und eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Im Februar 2024 legte der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir eine Überarbeitung des Tierschutzgesetzes inklusive Einführung eines Tierwohlcents und der Konkretisierung des Qualzuchtparagrafen vor, allerdings ohne die sonst übliche vorherige Ressortabstimmung mit den von Koalitionspartnern geführten Ministerien.Die FDP-geführten Finanz- und Justizministerien blockierten bisher systematisch die Vorschläge des grünen Koalitionspartners. Die Begründung: Man solle sich lieber an den niedrigeren internationalen Standards orientieren, also deutsche Tierwohlanforderungen senken, um wettbewerbsfähig zu sein. PROVIEH sagt: Das geht zum einen komplett an den in Verbraucherumfragen immer wieder aufgezeigten gesellschaftlichen Forderungen für mehr Tierwohl vorbei; zum anderen stößt es die protestierenden Landwirte vor den Kopf; denn die FDP lässt sie mit ihrer Innovationsbereitschaft zur tierfreundlichen Weiterentwicklung ihrer Betriebe im Regen stehen. Der Änderungsentwurf für das Tierschutzgesetz könnte den Kupierverzicht endlich substanziell voranbringen, wenn er so durchkäme — auch wegen der vorgesehenen Verpflichtung zu umfangreichen Maßnahmen und Aktionsplänen in der Schweinehaltung. PROVIEH fordert zudem die Aufnahme von Hochleistungs-Qualzuchtmerkmalen in die Verbotsliste. Die Brandschutzvorgaben für bestehende und geplante Stallbauten, um eine effektive Evakuierung im Brandfall zu ermöglichen, fehlen dagegen völlig in dieser Gesetzesinitiative. Wie bitter nötig eine Novellierung wäre, zeigte die Katastrophe von Alt-Tellin am 30. März 2021, bei der allein über 50.000 Sauen und Ferkel starben, aber auch die vielen kleinen und mittleren Brände, bei denen jedes Jahr tausende Schweine verbrennen.
Fairness und Planungssicherheit sind unerlässlich
Ein Negativbeispiel lieferte die Ampelregierung im Februar 2022 mit der plötzlichen Änderung der sogenannten „Ausführungshinweise“ zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (siehe Infobox 2), die einen „2-m-Wendekreis“ für Sauen in Bewegungsbuchten im Abferkelstall vorsieht. Dies liefe auf etwa 10 Quadratmeter große Buchten hinaus und kann von den Sauenhaltern – besonders denen, die bereits auf 6,5 Quadratmeter umgebaut haben – nicht eingehalten werden. Aus Tierschutzsicht ist hier viel größer nicht viel besser, da die Wege der Ferkel zum warmen Nest weiter und die Auskühlungs- und Erdrückungsgefahren größer wären. Die Hinweise haben zwar keinen Gesetzes-, sondern nur Empfehlungscharakter für die Veterinärämter, aber sie eröffnen unterschiedlichen Auslegungen durch Tierschutzkontrolleure Tür und Tor. Solche Widersprüche und unnötige Probleme verunsichern gerade die Pioniere unter den Tierhaltern, die zügig Neuerungen umsetzen – dem Tierwohl tun sie einen Bärendienst!
Das vom Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) geplante Bundesprogramm zur Förderung von Tierwohlställen betrifft zwar Investitionen für Neu- und Umbauten sowie laufende Mehrkosten für höhere Tierhaltungsstandards, greift aber zu kurz; denn es ist gedeckelt, nur für kleinere und mittlere Betriebe mit eigenen Flächen zugänglich und auf zehn Jahre Laufzeit begrenzt. Für eine nachhaltige Tiergesundheitsförderung mit einem Umbau der Tierhaltung müssen aber alle Schweinehalter mitgenommen werden, eine stufenweise Verbesserung ermöglicht sowie eine langfristige Absicherung der permanenten Mehrkosten gewährleistet werden, aus Sicht von PROVIEH durch den geplanten Tierwohlcent. Das Förderprogramm stellt damit einen ersten wichtigen Schritt dar, muss aber noch deutlich erweitert werden. Dank des Tierwohlcents wäre dies möglich.
Abgabe für Tierwohl zur Minderung von Antibiotika
Mehr Tierwohl schlägt sich in dauerhaft erhöhten Kosten nieder, die den Tierhaltern vergütet werden müssen. Der Tierwohlcent kann dafür den nötigen finanziellen Spielraum schaffen – und Schweden hat uns eine Vorlage geliefert, wie man die langfristige Förderung EU-rechtlich absichert. Dort hatte man die Erzeuger lange mit den Kosten für die seit 1989 erheblich höheren gesetzlichen Tierwohlstandards allein gelassen. Billigimporte ruinierten das Gros der Betriebe, der Sektor schrumpfte rasant– bis man vor einigen Jahren schließlich mit einem staatlichen Förderprogramm einen Ausgleich schuf. Der Trick: Als Ziel wurde die Senkung des Antibiotikaeinsatzes bis zur weitgehenden Antibiotikafreiheit formuliert, das sich auch die EU auf die Fahnen geschrieben hat. Die Einhaltung geltender nationaler oder EU-Gesetze darf dagegen nicht subventioniert werden. Weil für die Antibiotikareduktion eine rundum bessere Tiergesundheit und höheres Tierwohl nötig sind, könnte man in Deutschland ein ähnliches Programm für alle Tierhalter auflegen – und damit auch den intakten Ringelschwanz fördern!
Die gute Nachricht: Es gibt schon Zuchtunternehmen, die Sauen mit langem Ringelschwanz ausliefern, darunter die TOPICS Norsvin-Genetik, die seit Jahren erfolgreich ausgewogenere Zuchtmerkmale nutzt. Dazu gehört insbesondere auch die Berücksichtigung der stoffwechselbedingten Entzündungen und Nekrosebildungen bei Schweinen (Engl. „SINS“), die unter anderem zum Schwanzbeißen – auch durch Juckreiz bei absterbendem Gewebe am Schwanzende – führen. Robustheit und Verdauungsgesundheit gehören schon bei der Zucht in den Fokus; denn gesunde Sauen mit intaktem Ringelschwanz bieten beste Voraussetzungen für unkupierte gesunde Ferkel und Mastschweine.
Sabine Ohm
Dieser Artikel ist erschienen im PROVIEH-Magazin „respektiere leben.“ 01-24