Vereinsgründung

PROVIEH wird 50! Wie alles begann.

Vor 50 Jahren fuhren die Schwestern Margarete und Olga Bartling auf eine Studienfahrt nach Leck an die dänische Grenze. Sie wollten sich einen als modern gepriesenen Maststall für Kälber anschauen. In den 1970er Jahren kam in der Landwirtschaft der Gedanke auf, sich zu spezialisieren, das heißt jeweils nur Schweine-, Rinder-, Hühner- oder Getreidebetrieb zu sein. Dieser Kälbermaststall war ein solch spezialisierter Betrieb.

PROVIEH-Gründerinnen Margarete und Olga Bartling, Foto: © Volker Rehben

Margarete Bartling begeisterte sich schon in ihrer Jugend für die Landwirtschaft. Später machte sie ihre Passion zum Beruf und wurde Oberlandwirtschaftsrätin. Begleitet wurde sie bei dem Besuch des Kälbermaststalls von ihrer Schwester Olga Bartling, Leiterin der Heikendorfer Schule, Konrektorin der Volkshochschule in Heikendorf (nahe Kiel) und bereits Vorstandsmitglied eines Tierschutzvereins in Kiel. Beide Frauen freuten sich auf den Besuch, doch nachdem sie den Maststall betraten, schlug ihre Begeisterung in Entsetzen um. Die Kälber standen einzeln in engen Boxen, die kaum größer waren als die Tiere selbst. Der Stall war dunkel, muffig und es stank. Die Kälber standen auf hartem, rutschigem Betonspaltenboden. Obwohl die Tiere alt genug waren, um Heu zu fressen, wurden sie nur mit Milch oder Milchaustauscher gefüttert – denn so konnten sie gezielt auf „weißes Fleisch“ gemästet werden. Hier wurde eine unzureichende Fütterung ohne Raufutter praktiziert, die zu Eisenmangel und infolgedessen häufig zu Labmagengeschwüren führt. Die Jungtiere waren allein, verstört, dreckig und hatten keine Möglichkeit, ihren Bewegungstrieb auszuleben. Die Kälber sollten schnell und möglichst kostengünstig Fleisch ansetzen, damit sie bald geschlachtet werden konnten. Margarethe und Olga Bartling waren empört über solche absolut unwürdigen Haltungsbedingungen!

Die Schwestern konnten den Besuch in der Kälbermastanlage nicht vergessen – war so eine Haltung überhaupt erlaubt? Ein Jahr zuvor, 1972, trat das deutsche Tierschutzgesetz in Kraft. Hier wurde zwar festgehalten, dass einem Tier ohne vernünftigen Grund keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen. Doch leider galt die intensive Mast als „vernünftiger Grund“ – diese Haltung war also erlaubt.

Das alte Logo des “Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung”

Rinder, Schweine, Hühner und andere Nutztiere hatten damals keine Lobby und zudem stand nach den langen, entbehrungsreichen Kriegsjahren eine möglichst effektive Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln im Vordergrund. Nutztiere waren dazu da, die Bevölkerung mit Fleisch, Milch und Eiern zu versorgen – ihre eigenen Bedürfnisse waren, wenn überhaupt, zweitrangig. Die Bartlings konnten diese Situation jedoch nicht einfach hinnehmen; sie wollten, dass die Tiere artgemäßer gehalten werden. Mit diesem Anliegen wandten sie sich zunächst an den deutschen Tierschutzverband in Kiel, doch dieser konnte ihnen nicht helfen. Also entschlossen sie sich, selbst für das Wohl der „Nutztiere“ zu kämpfen.

Unterstützung bekamen sie schließlich von der Zoologin Dr. Marleen Fallet, dem Landwirt Horst Hinz und der Lehrerin Almut Dethlefs. Zusammen gründeten sie am 15.06.1973 den „Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung (VgtM)“. Weitere neun Personen waren zur Gründungsversammlung anwesend. Zu diesem Zeitpunkt waren Margarethe Bartling 64 und Olga Bartling 67 Jahre alt. Zu alt, um noch so eine große, neue Aufgabe anzupacken? Sicher nicht. Dieser Tag sollte ihrem Leben noch einmal eine neue Richtung geben.

Von der Leidenschaft die Welt zu verändern

PROVIEH bekam 1992 den Umweltpreis verliehen

Die tägliche Arbeit, oft mehr als ein Acht-Stunden-Tag, fand in den ersten Jahren im heimischen Wohnzimmer in Heikendorf statt. Oft halfen Familie und Freunde dabei aus. Eine große Hilfe war die dritte Schwester Dr. med. Doris Bartling, die gerade zu medizinischen Fragen, zum Beispiel dem Medikamenteneinsatz, Auskunft geben konnte. Auch ihr Neffe, Georg Wilhelm Bartling, half tatkräftig mit. Er sollte später selbst einmal die Geschicke des Vereins als Vorstandsmitglied leiten. Das Startkapital und alle Kosten für den Aufbau brachten die Gründer:innen anfangs selbst auf. Doch schon fünf Jahre später war der VgtM so erfolgreich, dass ein Büro eingerichtet und Hilfskräfte eingestellt werden mussten. Der Verein hatte viel zu tun: Es wurden Flugblätter und Informationsmaterialien erstellt und verteilt, Filme gezeigt und Vorträge über die Problematik der industriellen Massentierhaltung vor Hausfrauenverbänden, Verbraucherorganisationen und anderen Gremien gehalten. Außerdem erarbeitete der VgtM Verbesserungsvorschläge und leitete diese an Ministerien sowie Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Landwirtschaft weiter. Damals wie heute wurden die Vereinsmitglieder zudem regelmäßig drei bis viermal im Jahr mit Berichten über die Aktivitäten informiert. Neben der Teilnahme an zahlreichen Anhörungen auf Bundesebene in Bonn stellten Margarethe und Olga Bartling viele internationale Kontakte zu Tierschutzorganisationen, namhaften Zoologen sowie wissenschaftlichen Instituten her. Es war sicher nicht einfach, dem neuen Thema „Nutztierschutz“ in der Bevölkerung und in der Politik Gehör zu verschaffen, doch die Bartlings brannten für die Sache und hatten immer ein klares Ziel vor Augen, das sie unermüdlich verfolgt haben. 1991 traten Margarete Bartling mit 82 Jahren und Olga Bartling mit 85 Jahren vom Vorstand des Vereins zurück. Sie wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt. Die Arbeit der Schwestern war erfolgreich, das zeigte sich nicht nur an der stetig wachsenden Mitgliederzahl, sondern auch an den Ehrungen, die ihnen zuteilwurden. 1992 wurden sie von Prof. Dr. Bernd Heydemann, dem damaligen Minister für Natur, Umwelt und Landesentwicklung in Schleswig-Holstein, mit dem Umweltpreis für vorbildliche Arbeit in den Bereichen Natur und Umwelt ausgezeichnet. Für ihren Einsatz gegen die tierquälerische Massentierhaltung verlieh ihnen der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1993 das Bundesverdienstkreuz.

Am 25.10.2001 trat die Erstverkündung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in Kraft – mit den ersten gesetzlich festgeschriebenen Mindestanforderungen an das Halten von bis zu sechs Monate alten Kälbern. Ein kleiner und zugleich großer Schritt, der ebenfalls auf das Wirken und den Einsatz von Margarete und Olga Bartling zurückzuführen ist.

Vom VgtM zu PROVIEH

Vielleicht kann man sagen, dass die Bartling-Schwestern ihrer Zeit voraus waren. Sie erkannten die sich zuspitzende Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe und was für Leid diese Haltung auf „Masse“ mit sich brachte – natürlich für die Tiere, aber auch für die kleinen bäuerlichen Betriebe, die mit dieser Entwicklung nicht mithalten konnten oder wollten. Diese Entwicklung konnte zwar nicht gestoppt werden, doch der VgtM führte die Vision der Bartlings weiter. Die Vorstände und Mitarbeiter:innen wechselten über die Zeit, doch die Idee und das Ziel blieb: eine artgemäße Nutztierhaltung sowie Respekt und Wertschätzung für Mensch, Tier und Umwelt.

2003, zum 30. Jubiläum, erhielt der Verein den Namenszusatz „PROVIEH“. Damit sollte die Ausrichtung des Vereins – für das Vieh – noch einmal deutlich hervorgehoben werden. Nicht mehr der Hahn, sondern die drei am meisten in Deutschland gehaltenen Tierarten symbolisierten nun das Vereinsanliegen. Ziel war ein eingängiges Logo, harmonisch und kontrastreich, aufmerksamkeitsstark und aufrüttelnd. Zugleich sollte es eine optimistische Grundstimmung repräsentieren. 2017 verabschiedete sich der Verein schließlich ganz von dem Namen „Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung“ und hieß somit nun PROVIEH e.V..

Auf die nächsten 50 Jahre!

PROVIEH feiert sein 50jähriges Jubiläum!

Im Nutztierschutz braucht man einen langen Atem. Oftmals ist es frustrierend, wie langsam sich die Dinge ändern und es ist so vielen von uns unverständlich, wie man die Empathie mit anderen Lebewesen ausblenden kann, nur um mehr Geld zu verdienen. Der Kampf von PROVIEH für eine artgemäße Nutztierhaltung fühlt sich nicht selten an, wie ein Kampf zwischen David und Goliath. Doch trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge hat sich PROVIEH diese positive Grundstimmung bewahrt. Unser Zielbild ist klar und wenn es oftmals auch nur kleine Schritte sind, gehen wir doch in die richtige Richtung. Heute gibt es zahlreiche Leuchtturmprojekte und Initiativen, die schon eine artgemäße Nutztierhaltung praktizieren und immer mehr Menschen interessieren sich für das Tier hinter dem Lebensmittel. Irgendwann wird die industrielle Intensivtierhaltung ganz der Vergangenheit angehören. Vor 50 Jahren haben Margarete und Olga Bartling den Grundstein dafür gelegt. Zusammen mit vielen anderen engagierten Menschen und Organisationen haben wir seitdem viel erreicht, aber unser Weg ist noch nicht zu Ende. Empathie und Mitgefühl sind keine Schwächen. Die Bartling-Schwestern waren zwei ältere Damen mit einem Herz für Tiere. Aber sie waren auch so viel mehr: zwei Pionierinnen mit einer Vision, die keine Angst hatten, sich einer großen Aufgabe zu stellen. Mit ihrem Kampfgeist haben sie das Leben von vielen Tieren und Menschen positiv verändert. Jede Stimme für den Tierschutz ist wichtig. Stellen Sie sich einmal vor, was wir alle zusammen in den nächsten 50 Jahren erreichen können!

Christina Petersen

Mitglied werden und Schwein

Anmerkungen zum Begriff Vieh

Der Begriff “Vieh” findet sich bereits in den germanischen Runenzeichen und so wurde FEHU mit Vieh bzw. Fahrhabe gleichgesetzt. Das Vieh – als bewegliche Habe – stellte den Besitz und Reichtum der Stammesverbände dar und begleitete sie auf den ausgedehnten Wanderungen. Die Rune FE bezeichnete die bewegliche Habe eines Menschen und hieß ursprünglich Vieh zu der Zeit, da Vieh Wohlstand bedeutete. Sie war dem Gott der Fruchtbarkeit Frey gewidmet und galt auch als Rune des Wohlstands. Die bildliche Deutung der Rune basierte auf den aufragenden Hörnern des (Rind-)Viehs. So ist es nicht verwunderlich, dass lateinisch pecunia (Geld) von pecus (Vieh) abgeleitet wurde. Ebenso sprachlich verwandt sind im Englischen cattle (Rind-/Vieh) und chattels (gesamte Habe).

Im Althochdeutschen des 8. Jahrhunderts bezeichneten die Worte fihu, fiho und feho das Nutzvieh bzw. Tier, aber auch das Vermögen bzw. den Besitz. Zu dieser Zeit lebten Menschen und Vieh unter einem Dach zusammen und vom Vieh hingen immerhin das Überleben und der Wohlstand der jeweiligen Besitzer ab.

Generell werden unter “Vieh” die mit dem Menschen als Haustiere zusammenlebenden Säugetiere und Vögel verstanden. Stellenweise wird die Bedeutung auch auf den Begriff “Tier” ausgedehnt. Im Zuge der Industrialisierung der Tierhaltung wurden nicht nur dem Begriff “Vieh”, sondern auch den Namen einzelner Nutztierarten negative Inhalte unterlegt, verbunden mit einer Herabwürdigung der jeweiligen Lebewesen. Dieser Disqualifizierung stemmt sich PROVIEH entgegen. PROVIEH steht “für das Vieh” und “für eine artgemäße Nutztierhaltung, innerhalb der die einzelnen landwirtschaftlichen Nutztiere in ihrer ganzen Rassenvielfalt in den Stoffkreislauf integriert werden und damit die Grundlage für bäuerliche Familienbetriebe bilden.”