Politischer Abend „Ringelschwanz und Tierschutzgesetz“
Am 15.10.2024 war PROVIEH Gastgeber eines politischen Abends in Berlin, bei dem wir uns mit Politiker:innen der verschiedenen Fraktionen und weiteren Gästen zur Beendigung der routinemäßigen Verstümmelung von Ferkeln ausgetauscht haben.
Etwa 35 Personen waren zum politischen Abend ins Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin gekommen, zu dem PROVIEH eingeladen hatte. Um 18.30 Uhr begrüßte PROVIEHs Vorstandsvorsitzende Dr. Ricarda Dill die Anwesenden. Frau Dr. Heide Völz, stellvertretende Vorsitzende von PROVIEH, moderierte die Diskussion. Unter den Gästen waren nicht nur Vertreter:innen aus der Politik, sondern auch aus der Landwirtschaft, dem Lebensmitteleinzelhandel und der Tierärzteschaft sowie Vertreter:innen von NGOs aus dem Umwelt- und Tierschutzbereich. Auf dem Podium saßen Dr. Zoe Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, MdB), Anke Henning (SPD, MdB), Ingo Bodtke (FDP, MdB) und Ina Latendorf (DIE LINKE, MdB). Die Sicht aus der Landwirtschaft vertrat Landwirt Ralf Remmert (Prignitzer Landschwein GmbH).
Landwirt Ralf Remmert: “Vom Tier her denken!”
Ralf Remmert hält in Brandenburg 1500 Sauen und über 8.000 Mastschweine. Er verzichtet seit 2016 auf das Schwanzkupieren sowie auf jegliche Eingriffe am Tier. Er selbst habe Schritt für Schritt immer ein bisschen mehr umgestellt, um zu schauen, ob es funktioniert. Und das hat es! Die Teilnahme am Modell- und Demonstrationsvorhaben „Intakter Ringelschwanz“ zusammen mit anderen Landwirten hätte ihm zudem Mut gemacht, weil er nicht allein war und sich austauschen konnte. Die bestehenden Strukturen in Handel und Schlachtung seien sehr konzentriert und eine Umstellung daher nicht einfach. Dennoch müsse man „vom Tier her denken“: Um Tiere mit Ringelschwanz zu halten, bräuchten die Tiere Beschäftigungsmöglichkeiten und wegen des Wühlverhaltens junger Schweine müsse man weg von den Vollspaltenböden. Dazu kommen ein gutes Gesundheits- und Futtermanagement und geschulte Mitarbeiter, die die Tiere gut beobachten und einschätzen können. Das ist aufwendig und teuer und der Wandel geht nicht von heute auf morgen, sondern schrittweise. Dabei ist Ralf Remmert kein Freund von staatlichen Transfers. Die Landwirt:innen sollten sich mehr Gedanken über Innovationen machen, um die Kosten der Haltung mit Ringelschwanz zu reduzieren. Die eingeführten Haltungsstufen helfen dabei den Landwirt:innen, Verbesserungen anzugehen. Die zusätzlichen Kosten durch die Veränderung der Haltungsbedingungen, die notwendig seien, um Schweine mit intaktem Ringelschwanz zu halten, würden langfristig dadurch minimiert, dass die Tiergesundheit zunehme und es weniger Ausfälle im Tierbestand gäbe (= mehr Erlös.)
Dr. Zoe Mayer/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
“Tiere brauchen Rechte. Mehr Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif und muss belohnt werden.” Dr. Zoe Mayer von den Grünen sprach sich dafür aus, jetzt hohe Standards zu schaffen, die auch nach vier Jahren noch Gültigkeit haben. „Planungssicherheit bekommt man nicht, wenn man die Wünsche der Gesellschaft ignoriert. Und es gibt so viele Gründe, den Fleischkonsum zu reduzieren: Klima, Tierwohl, etc.“, so die Bundestagsabgeordnete.
Sie lasse auch nicht die Begründung zum weiteren Kupieren zu, “weil es die anderen [EU-Länder] ja auch machen”. Die Landwirt:innen profitieren auch vom intakten Ringelschwanz, so Mayer, denn dieser zeige, was in der Haltung nicht stimmt. Ein Verzicht auf die Verstümmelung funktioniere langfristig nur mit einer Umstellung des Systems. Es brauche aber nicht nur Anreize, sondern auch Konsequenzen bei Nichteinhalten des Verbots.
Alle waren sich einig, dass ein Ende des Schwanzkupierens bei Schweinen nur mit einem Systemumbau möglich sei. Es brauche ein wirksames Finanzierungskonzept, denn weder Landwirt:innen noch Konsument:innen könnten auf den entstehenden Mehrkosten sitzengelassen werden. Da es sich bei dem Wunsch nach weniger Tierleid um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handele, müsse dessen Umsetzung auch von der Gesamtgesellschaft getragen werden. Das bedeutet eine Umlagenfinanzierung durch (Mehrwert-)Steuern oder Abgaben. Viele Gäste sahen wie PROVIEH aber deutlichen Nachbesserungsbedarf am Gesetzentwurf.
Anke Hennig, SPD
Frau Henning gab auf dem Podium ein klares Statement dafür ab, dass Schluss damit sein müsse, den Profit über das Wohl der Tiere zu stellen. Wichtig für den der Umbau sei dabei aber, dies gemeinsam mit den Landwirten zu tun. Sie verteidigte die kommende Tierschutznovelle und plädierte für Anreize für Stallumbauten und für Fristen, um das Verbot umzusetzen. „In der Tierschutznovelle ist einiges Gutes, es muss aber noch nachgeschärft werden, damit es ein großer Wurf für den Tierschutz wird.“, so Hennig. Landwirte lehnen den intakten Ringelschwanz nicht ab, aber sie bräuchten Unterstützung. Und Kompromisse seien nötig. Dabei sei Planungssicherheit absolut wichtig; Fördermittel würden nicht abgerufen, weil es an dieser Planungssicherheit fehle. Ziel der SPD sei aber auf jeden Fall der intakte Ringelschwanz.
Ina Latendorf/DIE LINKE
Frau Latendorf fordert „ernstgemeinten Tierschutz“ für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Sie sprach sich dafür aus, keine Manipulationen am Tier vorzunehmen, sondern die Haltungsbedingungen an die Bedürfnisse der Tiere anzupassen. Dafür brauche es klare Vorgaben. Sie wies darauf hin, dass die FDP die von der Linken geforderte Mehrwertsteuer-Reform, welche auch andere Lebensmittel einbezieht, abgelehnt hat. Sie sprach sich zudem eher gegen den Tierwohl-Cent und die Haltungskennzeichnung aus, da diese die Verantwortung auf den Verbraucher schieben würden. Vielmehr sei die Politik gefordert, Vorgaben zu machen zu festgelegten Standards in der Tierhaltung, eventuell mit einer Übergangsfrist.
Ingo Bodtke, FDP
“Was der Verbraucher wolle und was er am Ende bereit sei, an der Kasse zu zahlen, seien zweierlei.” Man müsse bei der Diskussion daher auch immer die Verhaltensweisen der Verbraucher mitdenken. Bodtke sprach sich für einen „ausgewogenen Tierschutz“ beziehungsweise „Tierschutz mit Augenmaß“ aus, um Landwirte nicht zu überfordern und um zu verhindern, dass die Schweinefleischproduktion möglicherweise ins Ausland abwandere. „Die Wertschätzung der Landwirtschaft steht im Mittelpunkt.“ Schließlich diene das Schwanzkupieren dem Schutz der Tiere, weil es Verletzungen und Nekrosen verhindere.
PROVIEH-Standpunkt
Es ist höchste Zeit für das Ende des Schwanzkupierens durch die Tierschutzgesetzesnovelle. Statt das routinemäßige Schwanzkupieren nur zu erschweren, muss es beendet werden. Jetzt ist die Chance!
Umfassende Informationen zur PROVIEH-Position erhalten Sie auf unseren Kampagnenseiten „Stoppt das Schwanzkupieren!“ und „Legalisierte Tierqual beenden!“ sowie in unserer ausführlichen Stellungnahme zum Tierschutzgesetzentwurf.
Schrittweiser Wandel ist möglich!
Am Ende der Podiumsdiskussion konnte sich das Publikum mit Fragen und Anmerkungen beteiligen. Durch das breite Spektrum im Publikum gab es eine lebhafte Diskussion, die viele verschiedenen Perspektiven zum Thema beinhalteten. Was alle Diskussionsteilnehmer:innen einte, war der Wunsch nach „Planungssicherheit“. Die Vertreterin der Tierschutzorganisation Vier Pfoten kritisierte die Position der FDP, denn die Forderungen nach Übergangsfristen sei schon lange erfüllt worden. Es stelle sich nun die Frage, wie viele Ställe seither genehmigt wurden, die gegen diese Verordnung und damit gegen die bestehende Rechtsordnung verstießen.
Der Tierarzt Dr. Blaha vom Tierärztlichen Verein für Tierschutz erzählte von seinen Erfahrungen aus früherer Zeit, als Schweine noch ihren Ringelschwanz behalten durften. Es hätte damals kaum Fälle von Schwanzbeißen gegeben. Das hinge vor allem damit zusammen, wie die Tiere gehalten wurden, nämlich auf Stroh mit Möglichkeiten zum Wühlen. Wenn die Lebensbedingungen gut sind, wäre das Schwanzkupieren nicht nötig, so Blaha. Jeder Frust und Stress trage aber zum Risiko des Schwanzbeißens bei. Auch Herr Dr. Blaha sprach die Finanzierung an: Für den flächendeckenden intakten Ringelschwanz müsse der Umbau bezahlbar sein. Er schlug dafür ein „Sondervermögen Ringelschwanz“ vor.
Von Seiten der Schweinehalter in Deutschland wurde die überbordende Bürokratie bemängelt, die den Landwirten das Leben schwer macht und aus dem Bauernverband wurde auf Probleme bei den Förderungen und fehlende Planungssicherheit verwiesen: Es gäbe Förderungen nur für Kleinbetriebe bis zu 200 Tieren und viele Landwirte hätten sich verschuldet, um Stallumbauten vorzunehmen, welche nun nicht mehr den neuesten Richtlinien entsprächen. Die Landwirte blieben dann auf ihren Schulden sitzen. Durch den Aktionsplan Ringelschwanz hätten Familienbetriebe nicht die Möglichkeit, diese finanziellen Belastungen zu schultern. Dazu merkte Patrick Müller vom BUND an, dass sich ja alle einig sind, dass es Planungssicherheit bedarf. Doch die Frage an die Politik müsse lauten: „Wieviel Planungssicherheit bietet ein Tierschutzgesetz, in dem kein komplettes Verbot des Schwanzkupierens steht?“
Hintergrund:
Rund 95 Prozent aller Schweine in Deutschland werden wenige Tage nach der Geburt routinemäßig die Ringelschwänze abgeschnitten, um sie an tierschutzwidrige Haltungssysteme anzupassen. Die Ferkel werden vor der Amputation weder betäubt noch bekommen sie Schmerzmittel. Diese schmerzhafte Verstümmelung verletzt nicht nur die Tiere. Sie verstößt zudem gegen geltendes EU-Recht: Seit 1991 ist das routinemäßige Schwanzkupieren verboten. Damit bricht Deutschland seit mehr als 30 Jahren geltendes Tierschutzrecht. Und dass, obwohl der Tierschutz als Staatsziel im deutschen Grundgesetz verankert ist.
Das Schwanzkupieren wirft ein Schlaglicht auf die eklatanten Missstände in der Schweinehaltung. Denn das Schwanzkupieren ist ein vorbeugender Eingriff, damit sich die Schweine in der nicht artgemäßen Haltung nicht gegenseitig kannibalisieren. Anstatt das System an die Bedürfnisse der Tiere anzupassen, werden die Tiere an das System angepasst. Was nicht passt, wird passend gemacht.
Eva Söhngen
Mehr Informationen finden Sie in unseren aktuellen Kampagnen:
Weitere links:
Zwischen Betriebswirtschaft und Tierwohl: Kupierverzicht als Balanceakt (top agrar, 16.10.2024)