Tierschutzfall melden
Tierschutzfall erkennen, dokumentieren und zur Anzeige bringen
Sie haben den Eindruck, dass Tiere schlecht gehalten oder versorgt werden, oder aber verletzt oder misshandelt erscheinen?
Um betroffenen Tieren best- und schnellstmöglich Hilfe zukommen zu lassen, ist es wichtig genau zu wissen, wie man am besten vorgehen sollte. Doch was ist der beste Weg? Dialog mit Tierhalter, Anzeige bei der Polizei oder Kontakt mit Veterinärbehörde oder Staatsanwaltschaft? Wir haben Ihnen die wichtigsten Aspekte zusammengetragen.
Wichtig: Mit dem folgenden Leitfaden bietet PROVIEH eine Hilfestellung für alle, die Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe übernehmen und in Tierschutzfällen helfen möchten. Es ist kein Aufruf, eigenmächtig fremde Grundstücke zu betreten, unbefugt in Ställe einzudringen und/oder rechtswidrig Tiere zu befreien. Wenn sich ein oder mehrere Tiere akut/lebensbedrohlich in Not befinden, wenden Sie sich für schnellstmögliche Hilfe an örtliche Tierschutzverbände, die Polizei oder die Feuerwehr. PROVIEH kann hier leider nicht tätig werden.
Tierschutzfall erkennen
Was ist ein Tierschutzfall? Tierschutzfälle sind für „den Laien“ nicht immer leicht zu bewerten. Grundsätzlich kann ein Tierschutzfall kann anhand physischer Auffälligkeiten, psychischer Auffälligkeiten sowie Mängeln im Lebensumfeld festgemacht werden. Hinzu kommen noch die Fälle von direkter Misshandlung am Tier. Es gibt offensichtliche Tierschutzfälle, bei denen Sie persönlich tätig werden können und sollten. Aber Achtung: Schlafende, gebärende oder frisch geborene beziehungsweise junge Tiere sind natürlich per se keine Tierschutzfälle. Auch kurzweilig fehlendes Futter oder ein leicht lahmendes Tier sind Fälle, auf die in der Regel Tierhalterinnen und Tierhaltern im Laufe des Tages reagieren können. Prüfen Sie hier – sofern möglich – beispielsweise am Folgetag das Fortbestehen/ die Verschlimmerung der Problematik. Achten Sie auf folgende wichtige grundsätzliche Referenzbereiche, an denen Sie einen Tierschutzfall erkennen können:
Klicken Sie hier für mehr Informationen, wann Sie tätig werden sollten ↓
Physische Auffälligkeiten/ Verletzungen: Wunden, Schwellungen, schlechter gesundheitlicher Zustand wie Abmagerung, struppiges Fell, extreme Verschmutzungen durch Kot, überlange Klauen/Hufe, starke Lahmheiten, bei denen die Tiere nicht gleichmäßig auf allen vier Gliedmaßen stehen können und stark humpeln sowie akute Notsituation, wie Verfangen in Zäunen, Festliegen, auf dem Rücken Liegen bei Schafen.
Psychische Auffälligkeiten: Apathie, Verstörtheit, Stereotypien/Verhaltensstörungen, deutliche Angst-/Stressäußerungen (extreme Unruhe, schwere Atmung, Hecheln, fortdauerndes Husten, etc.).
Lebensumfeld: Fehlen von Futter und/oder Wasser, extreme Enge, stark verschmutzte Stallungen (knietiefer Matsch), fehlendes Licht, fehlender Witterungsschutz/Liegefläche insbesondere im Winter bei großer Nässe und Kälte, insbesondere für Jungtiere, fehlender Sonnenschutz im Hochsommer
Direkte Misshandlungen: Ein Tier wird (mehrfach) geschlagen, grob behandelt, geschlagen oder ein bestimmtes Verhalten unverhältnismäßig erzwungen.
Tierschutzfall entdeckt – was tun?
Bei Tierschutzfällen kann es sich sowohl um ein akut verletztes Tier als auch um über längere Zeiträume vernachlässigte, zum Beispiel hungerleidende, Tiere handeln.
Möglichkeit 1: Eine akute Notsituation liegt vor
Sie haben von einem eindeutigen Tierschutz-Notfall erfahren oder diesen selbst beobachtet? Ein Tier hat sich in einem Stacheldraht verfangen oder ist anderweitig akut gefährdet, verletzt oder augenscheinlich schwer krank? In solch einer Situation müssen Sie tätig werden. Sind der oder die Tierhalter:in unbekannt, nicht festzustellen oder (als mutmaßliche:r Täter:in) aktiv
verwickelt, dann kontaktieren Sie umgehend die örtlich zuständige Veterinärbehörde, jede Polizeidienststelle oder wenden Sie sich per Notruf an die Polizei oder die Feuerwehr.
Sollten Polizei und Feuerwehr nicht zeitnah vor Ort eintreffen können oder der Tierhalter nicht zu ermitteln oder nicht zu erreichen sein, lassen Sie sich durch die Behörde bestätigen, dass Sie als Privatperson in diesem Einzelfall selbst aktiv werden und konkret handeln dürfen. Holen Sie sich Hilfe von anderen Personen (Zeug:innen!) hinzu, um das Tier beispielsweise aus einer akuten misslichen Lage zu befreien. In solchen akuten Notfällen und, wenn die Behörde Ihnen grünes Licht gegeben hat, dürfen Auslauf, Weide oder Stall betreten werden, um Tiere zu retten und/oder schwere Tierschutzverstöße festzustellen. Dabei geht die eigene Sicherheit selbstverständlich immer vor.
Möglichkeit 2: Tierschutzfall ohne unmittelbare Not-Situation
Einzelne Tiere weisen einen schlechten Ernährungszustand auf, sind verletzt oder lahmen beispielsweise? Pferde stehen auf einer abgefressenen, stark vermatschten Weide? Sie haben berechtigte Zweifel, dass die Tiere nicht ausreichend versorgt werden? So können sie vorgehen:
Dialog: Gehen Sie, wenn möglich, als erstes auf den Landwirt oder die Landwirtin zu, um zu erfragen, ob schon Maßnahmen in die Wege geleitet wurden und tauschen Sie sich über die nächsten Schritte aus. Ist der Betrieb nicht ausfindig zu machen oder nicht gesprächsbereit, kontaktieren Sie das örtlich zuständige Veterinäramt.
Veterinärbehörde: Im Idealfall zeigen Sie den Tierschutzfall schriftlich per Mail oder Brief an. Eine kurze telefonische Vorabinfo kann sinnvoll sein, um die Behörde im Voraus in Kenntnis zu setzen und beispielsweise direkt zuständige Sachbearbeiter:innen und Kontaktdaten zu erfragen oder im Einzelfall direkte Maßnahmen anzustoßen. Die Veterinärbehörde bearbeitet Fälle, die unter das Ordnungsrecht fallen. Bei begründetem Verdacht erfolgt eine amtliche Kontrolle und den Tierhalter:innen werden Auflagen erteilt. Für sehr schwere Vergehen gegen das Tierschutzrecht ist die Staatsanwaltschaft zuständig.
Staatsanwaltschaft: Um sicherzugehen, dass das mutmaßliche Tierschutzvergehen „bestmöglich“ verfolgt wird, können Sie Ihre Anzeige, zusätzlich zur Meldung an die Veterinärbehörde, auch an die Staatsanwaltschaft senden. Weisen Sie in diesem Fall jeweils schriftlich darauf hin, dass Sie entsprechend verfahren haben. Das Veterinäramt gibt die Sache zwar an die Staatsanwaltschaft ab, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tat eine Straftat ist (vgl. § 41 Absatz 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes). Jedoch können hier subjektive Fehleinschätzungen der zuständigen Veterinäre im Einzelfall leider nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Dadurch besteht die Gefahr, dass Straftaten nicht erkannt und als bloße Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, obgleich ein erhöhtes Strafmaß anzuwenden wäre.
Online-Workshop: “Wie erstatte ich eine Anzeige bei einem Verstoß gegen das Tierschutzrecht?”
Was Menschen tun können, die einen Tierschutzfall bemerkt haben, wird auch in diesem Workshop ausführlich behandelt, der durch die Berliner Landestierschutzbeauftragte Dr. Kathrin Herrmann initiiert wurde. Dr. med. vet. Jens Hübel und Felix Aiwanger erläutern hier, was alles zu bedenken und beachten ist, wenn Bürger:innen einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz erleben oder davon erfahren und dies gegebenenfalls zur Anzeige bringen möchten. Hier gelangen sie zur Aufzeichnung des Workshops.
Hintergrund
Die Aufdeckung von schweren Verstößen gegen den Tierschutz erfolgt in deutschen Nutztierhaltungen nur zur Hälfte durch Veterinärbehörden (48,3 Prozent) und in Einzelfällen durch die Polizei (0,8 Prozent). Eine sehr wichtige Rolle spielen tatsächlich die aktive Aufdeckung oder Zufallsentdeckungen durch Tierschutzorganisationen (39 Prozent) sowie Bürger:innen (11,9 Prozent).[1] Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte also tätig werden, wenn ein Tierschutzfall entdeckt oder Kenntnis darüber erlangt wurde, denn es kann Leid verhindern und Leben retten.
[1] Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft – eine empirische Studie, Johanna Hahn, LL.M. (Harvard), Doktorandin, Universität Leipzig, Vortrag für „Tierschutzfälle vor Gericht“, Stabstelle der Landesbeauftragten für Tierschutz BW und Ministerium für Ernährung, ländlichen Raum und Verbraucherschutz BW, 21.9.2023.)
Rechtliche Hintergrundinformationen
§ Klicken Sie hier zum Aufklappen der rechtlichen Hintergrundinformationen. ↓
Allgemein sind Tierhalter:innen und –betreuer:innen zu Folgendem verpflichtet (§ 1 des Tierschutzgesetzes):
“Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.”
Straftatbestände gemäß § 17 des Tierschutzgesetzes können gegeben sein, wenn ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund getötet wird oder einem Wirbeltier entweder aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder auch länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Demgegenüber handelt (lediglich) ordnungswidrig, wer beispielsweise vorsätzlich oder fahrlässig einem Wirbeltier, das er hält, betreut oder zu betreuen hat, ohne vernünftigen Grund erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt (§ 18 Absatz 1 Nummer 1 des Tierschutzgesetzes). Dabei ist der „vernünftige Grund“ ein unbestimmter Rechtsbegriff, der dem gesellschaftlichen Wandel unterliegt. Als vernünftiger Grund ist beispielsweise die Fleischgewinnung zu Ernährungszwecken, aber nicht ein Versterben-Lassen in Haltungsbetrieben zu werten. Je nach Ausprägung wird ein Tierschutzfall als Ordnungswidrigkeit oder Straftat bewertet und entsprechend mit Auflagen, Geldbußen oder Geldstrafen bzw. selten auch Freiheitsstrafen geahndet.]
Sonderfall „Nutztier“
Empathie zum Tier ist für jeden tierliebenden Menschen eine Selbstverständlichkeit. Aber wichtig ist, die Tiere dabei nicht zu vermenschlichen. Tiere haben ihrer jeweiligen Art entsprechend Bedürfnisse und sind gegenüber Umwelteinflüssen je nach Tierart, Alter und Gesundheitsstatus „robuster“ als wir Menschen.
Allerdings stellt die landwirtschaftlichen Nutztierhaltung insgesamt einen „Sonderfall“ da:
Zunächst nicht offensichtlich, aber in der Auslegung des Rechts und der Rechtssprechungshistorie erkennbar, ist, dass Rind, Huhn, Schwein und Co (leider) nicht gleichgestellt zu Hund und Katze sind. Sie sind vielmehr dem allgemeinen Verständnis nach grundsätzlich dafür da, dass Sie dem Menschen Lebensmittel liefern. Somit werden Ausnahmen akzeptiert und es ergibt sich allein durch diese Einordnung ein gewisses Maß an Leiden. Wirtschaftliche Interessen werden vor das Wohl und Weh der Tiere gestellt. Tierhaltung muss sich für den Landwirt rechnen und er kann nicht alle artgemäßen Bedürfnisse der Tiere abdecken, sondern wird sich im Idealfall an die gesetzlichen Vorgaben, Leitlinien, etc. halten: Für einige Tierarten (Ferkel, Sauen, Mastschweine, Kälber, Legehennen, Masthühner, Kaninchen und Pelztiere finden sich in der „Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung“, kurz Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung dies bezüglich Spezifizierungen zu den geforderten Haltungsbedingungen: https://www.gesetze-im-internet.de/tierschnutztv/. Für die nicht aufgeführten Tiergruppen- und -arten gelten das (unspezifisch formulierte) Tierschutzgesetz, zum Teil Leitlinien des Bundes oder der Länder, Erlässe oder freiwillige Vereinbarungen. Nehmen Tierhalter:innen an Tierwohlprogrammen teil oder sind diese einem Bioverband angeschlossen, werden höhere Haltungsstandards in einem gewissen Umfang honoriert. Das Maß an Tierwohl steigt und die Wahrscheinlichkeit für Leiden und Schmerzen sinkt.
Mögliche Beweggründe und Ursachen für Tierquälerei
Klicken Sie hier zum Aufklappen der möglichen Beweggründe ↓
Tierquälereien und Vernachlässigungen können in jeder Haltungsform und aus unterschiedlichen (Beweg-)Gründen und in unterschiedlichen Formen stattfinden:
1. Unwissenheit: Tiere werden durch fehlende Sachkunde falsch oder unzureichend versorgt, behandelt oder es erfolgt eine Fehleinschätzung der Not.
2. Überforderung: Physisch und/oder psychisch überforderte Tierhalter:innen versorgen Tiere unzureichend.
3. Unterlassen: Tierhalter:innen blenden die konkreten Bedürfnisse oder Not der Tiere trotz besseren Wissens aktiv aus und überlassen sie im schlimmsten Fall sich selbst.
4. Berechnung: Es wird absichtlich unterlassen, Tiere angemessen zu füttern oder beispielsweise mit einer trockenen Liegefläche zu versorgen oder der Tierarzt wird nicht verständigt, um Arbeitszeit und Kosten einzusparen
5. Aggressionsabbau: Tiere werden unangemessen hart behandelt, lauthals angeschrien, mit Gegenständen traktiert und geschlagen.
6. Sadismus: Tiere werden absichtlich und aktiv grausamst gequält
Kathrin Kofent
Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft
Telefon: 0431. 24828-5 (Di., Do. und Fr.)
Mail: kofent@provieh.de