Weidehaltung

Lass das Rind raus!

Haben Sie schon einmal Rinder beim Weideaustrieb beobachtet? Wer schon einmal in diesen Genuss kam, kann die Freude und Freiheit der Rinder auf der Weide nicht von der Hand weisen. Intuitiv wie aber auch wissenschaftlich kann die Güte der Weidehaltung für das Rind abgeleitet werden.   

Warum die Weide gut für das Rind ist 

Im natürlichen Lebensraum von Rindern werden viele ihrer wichtigsten arteigenen Bedürfnisse und Verhaltensweisen gestillt, die im Stall nur bedingt Berücksichtigung finden. Auf der Weide haben die Rinder Platz, können sich reichlich bewegen, aber auch ungestört und bequem ruhen.  Sie können sich in der Herde in arttypischen Kleingruppen organisieren, ihren Artgenossen aus dem Weg gehen und bei kleinen Rangkämpfen trittfest für ihre Rolle einstehen. Kälber und Jungtiere können wiederum ihren Spieltrieb und Bewegungsdrang ausleben und toben, austreten und galoppieren, was das Zeug hält. Der Stall schränkt all diese Verhaltensweisen stark ein. Zudem sind sie auf der auf der Weide weniger Stressoren ausgesetzt als im Stall. 

Zwei Kühe von Hinten auf der Weide
Foto: © PROVIEH

Neben der Bewegungsfreiheit, der guten Liege- und Lauffläche des weichen Bodens und der frischen Luft bringt die Weide die Rinder aber auch in den Genuss ihrer natürlichen Futtergrundlage. Zunächst ist das frische, unvergorene Gras besonders schmackhaft. Gleichzeitig findet die Futteraufnahme und das im Ruhen vollbrachte Wiederkäuen auf der Weide in artgemäßer Stellung statt, die Futteraufnahme unterliegt anders als am Futtertisch keinem Konkurrenzdruck und verläuft daher stressfrei. Rinder vollziehen das für ihre Verdauung und ihren Stoffwechsel ungemein wichtige Wiederkäuen ruhender Weise – dafür liegen sie jeden Tag bis zu zwölf Stunden. Erst bei ausreichend weicher, großzügiger Liegefläche kommen sie diesem Wiederkäuen uneingeschränkt nach. Kurzum: Der Platz, der weiche Boden als Liege- und Lauffläche und das frische, unvergorene Gras direkt vom Halm tun dem Rind einfach gut!

Die ökologischen Vorteile von Weidehaltung 

Der Weg auf die Wiede
Weideauftrieb nach der Winterpause. Die Rinder können es kaum erwarten und rennen dann im Galopp auf die Weide. Foto: © PROVIEH

Hinzu kommt, dass die Beweidung von Dauergrünland ökologisch sehr wertvoll ist, indem Grünland Lebensraum für viele unterschiedlichen Pflanzen, Insekten und Vögel bietet, große Massen an CO2 bindet und anders als Ackerland nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht. Als indirekte Nahrungsmittelquelle werden diese ökologisch und klimatechnisch wertvollen Flächen jedoch erst durch Wiederkäuer wie Rinder, Ziegen und Schafe erschließbar. Und der Clou: Jeder einzelne Kuhfladen ist auf der Weide ein Biotop für Insekten und so ein gedeckter Tisch für Vögel. Heute bekommen Rinder neben dem ökologisch minderwertigen gemähten, vergorenen Gras zusätzlich noch große Teile an Futtermais, Getreide, Raps- und Sojaschrot, deren Anbauflächen auch zur Nahrungsmittelproduktion nutzbar wären. Zusammenfassend ist die Weidehaltung somit für das Tier, für die Umwelt und das Klima ein großer Gewinn. Und vielen Menschen gefällt die Landschaft mit viel Grünland und weidenden Tieren besser als ohne, sodass auch der Mensch durch die Weide als Kulturgut profitiert.  

Die Weidehaltung geht zurück 

Trotz dieser vielfältigen Vorteile geht die Weidehaltung stetig zurück. Heute darf noch in etwa jedes dritte Rind saisonal auf die Weide. Der Anteil der Weidehaltung nimmt jedoch zeitgleich mit dem Strukturwandel der Landwirtschaft ab: Je größer die Betriebe, desto geringer der Weideanteil. Und weil die Betriebsgrößen derzeit rasant zunehmen, ist davon auszugehen, dass auch die Weidehaltung in den nächsten Jahren stark zurückgehen wird. Bedeutsame Gründe für den Rückgang sind außerdem fehlende politische und vermarktungstechnische Anreize und höhere Kosten für die Weidehaltung vor dem Hintergrund niedriger Milch- und Fleischpreise, die Hochleistungszucht von Milch- und Fleischrindern sowie steigende Bestandsgrößen.  

Springende Kühe auf einer Weide
Viele Kühe rennen und springen, wenn sie wieder auf die Weide dürfen. Ein klarer Ausdruck ihrer Bewegungsfreudigkeit!
Foto: © Samara-AdobeStock.com

So hat sich die Milch- als auch Fleischproduktion von Rindern in den vergangenen Jahren stark verändert. Beide Nutzungsrichtungen wurden zunächst auf maximale Leistungen gezüchtet. Gaben Milchkühe 1970 durchschnittlich noch 3.600 Liter im Jahr, sind es heute im Durchschnitt 8.000 Liter, mit angestrebten Spitzenleistungen von weit über 12.000 Litern im Jahr. Simultan dazu wurden die Fleischrinder auf sehr hohe Tageszunahmen gezüchtet, sodass Mastrinder wie auch Milchkühe einen sehr hohen und anspruchsvollen Futter- und Nährstoffbedarf haben. Das natürliche Grünfutter auf der Weide kommt bei derart hohen Leistungen nicht mehr hinterher und das Zufüttern von energieintensiven Kraftfutterkomponenten wird bei den Hochleistungsrindern zur Notwendigkeit. Hinzu kommt, dass die Tierbestände immer größer werden und eine Weidehaltung von sehr großen Herden auf der einen Seite sehr große hofnahe Flächen erfordert und auf der anderen Seite eine sehr große Herausforderung ist. Dem „Strukturwandel“ folgend, sind heute schon Milchviehherden von 200 oder 500 Tieren gang und gäbe. Diese vielen Tiere täglich auf die Weide und zurück in den Stall zu treiben, ist anspruchsvoll, risikoreich und zeitintensiv.  

Was fehlt: eine klare Kennzeichnung und politische Unterstützung 

Abhilfe könnten hier Anreize der Politik und der Vermarktung schaffen. Zum einen würde eine einheitliche und leicht verständliche verbindliche Haltungskennzeichnung Verbraucher:innen die Möglichkeit geben, sich informiert und bewusst für die Weidehaltung zu entscheiden. Die derzeitige Vermarktung von Milch- und Fleischprodukten setzt hier jedoch falsche und irreführende Anreize. Denn ein Großteil der Produktverpackungen zeigt Rinder auf der Weide – ohne dass die Haltung der Kühe diesem Idealbild tatsächlich entsprechen muss. Auch deshalb gehen derzeit viele Menschen davon aus, dass Rinder auf der Weide gehalten werden. Für PROVIEH ist dies ein klarer Fall der Verbrauchertäuschung.  

Gleichzeitig steht die Politik in der Verantwortung, erstens eine verpflichtende Tierwohl- beziehungsweise Haltungskennzeichnung einzuführen und zweitens die Weidehaltung über Ausgleichszahlungen zu honorieren: Denn für öffentliche Güter wie den Artenschutz, die CO2-Speicherung, Wind- und Wasserschutz sowie ein positives Landschaftsbild, die am Markt nicht entlohnt werden können, muss die Politik einstehen und Tierhalter:innen entlohnen. Dieses Ziel hat die Bundesregierung just verfehlt, indem sie die Weidehaltung nicht in die Förderkulisse der milliardenschweren europäischen gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) integriert hat. 

Eine Kuh auf einer Wiede
Foto: © PROVIEH

Da weder Politik noch Vermarktung ihren Pflichten nachkommt, hat sich PROVIEH der Weideinitiative PRO Weideland angeschlossen. PRO Weideland ist ein Zusammenschluss aus Landwirtschaft, verarbeitenden Molkereien und Fleischereien, landwirtschaftlichen, umwelt- und tierschutzfachlichen Verbänden und landwirtschaftlichen Institutionen, die sich gemeinsam mit der sogenannten Weidecharta darauf verständigt haben, tatkräftig für den Erhalt und den Ausbau der Weidehaltung einzutreten. Als Meilenstein wurde ein anspruchsvolles, einheitliches Label für die Weidehaltung erschaffen: das gleichnamige PRO Weideland-Label. Dieses sichert hohe Mindestwerte der Weidedauer, des Flächenangebotes und des Futteranteiles. Darüber hinaus stellt es aber auch Ansprüche an die Haltung, an die Ökologie und eine faire Vergütung, sodass Mensch, Tier und Umwelt profitieren.  

PROVIEH möchte an dieser Stelle motivieren selbst für die Weidehaltung einzutreten und beim Kauf von Milch- und auch Fleischprodukten auf Verbands-Bio-Kennzeichen oder aber auf das PRO Weideland-Label zu achten. Es kursieren andere, nahezu gleich aussehende Label, die weniger hohe Ansprüche an die Weidehaltung stellen und damit den Zusammenschluss aus so vielfältigen Akteuren und das daraus entstandene Commitment zu einem integrativ anspruchsvollen Label untergraben. Zeitgleich fordert PROVIEH Politik und Vermarktung auf, endlich für den Ausbau der Weidehaltung von Rindern einzustehen. Kühe und ihre Kälber, Jungrinder, Bullen und Ochsen – sie alle profitieren im Vergleich zur Stallhaltung ungemein von der Haltung auf der Weide.  

Anne Hamester