Erschreckende Häufung von Tierschutzskandalen bundesweit
Turbokühe und Wegwerfkälber – ein krankes System kommt an seine Grenzen
Kiel, 2. April 2025: Schockierende Videoaufnahmen belegen massive Tiermisshandlungen in einem brandenburgischen Milchviehbetrieb: Mitarbeiter der Wollschow-Menkiner Agrar GmbH – einem der größten Betriebe der Region mit rund 1000 Milchkühen – schlagen und treten Rinder, werfen wehrlose Kälber durch Futtergitter und zwingen kranke Tiere gewaltsam zum Aufstehen. Das Videomaterial, das der Tierschutzorganisation Aninova zugespielt wurde, dokumentiert systematische Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Aninova hat Strafanzeige erstattet; das Material liegt bereits der zuständigen Staatsanwaltschaft und der Kreis-Veterinärbehörde vor.
Systematische Ignoranz eines kranken Systems
Millionen Kühe leben ganzjährig in Ställen, hunderttausende von ihnen in Anbindehaltung. Die meisten von ihnen sind Qualzucht-Turbokühe, die bis zu 12.000 Liter im Jahr geben. Die Kälber, die notwendigerweise für den durchgehend hohen Milchfluss geboren werden müssen, werden von den Betrieben weitestgehend als Überschuss betrachtet und so im wahrsten Sinne zu „Wegwerfkälbern”. Diese Kühe und Kälber auch noch zu misshandeln, ist ein Akt unfassbarer Grausamkeit und zeigt die Abgründe und die systematische Ignoranz der Agrarindustrie. Das System-Milch hat versagt.“, resümiert Kathrin Kofent, PROVIEH-Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft.
Behördenversagen
Auch wenn dieser Fall besonders brutal ist, steht er nur stellvertretend für viele weitere Fälle. In weniger als der Hälfte aufgedeckter Tierschutzfälle sind dabei Ordnungsbehörden maßgeblich beteiligt. Vielmehr bringen zumeist aufmerksame Privatpersonen und Tierschutzorganisation solch grausame Zustände wie in Brüssow überhaupt an die Öffentlichkeit und durchbrechen wie in diesem Fall so den Kreis des Leidens für rund 1000 Kühe und ihre Kälber. Die eigentlich zuständigen Behörden reagieren nur, statt zu agieren. Die Kontrollhäufigkeit je Betrieb in Brandenburg beispielsweise liegt statistisch bei 16,4 Jahren.
Ethisch nicht vertretbare Verantwortungsverschiebung
Nicht nur in Milchviehbetrieben und nicht nur in Brandenburg hat die landwirtschaftliche Tierhaltung ein großes Problem. Vielmehr bundesweit und von Huhn und Kaninchen über Pferd, Pute und Rind bis hin zu Schaf und Schwein leiden über 700 Millionen Lebewesen in einem „Tierproduktionskonstrukt“, welches dringend reformiert werden muss. Sie werden u.a. durch Amputationen zurechtgestutzt für eine Agrarwirtschaft, welche ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Verantwortliche zu greifen, ist dabei nicht leicht. Die Gründe für aktive Tierquälerei und tierschutzrelevante Vernachlässigungen sind vielfältig. Auch viele Landwirt: innen sind Opfer des Systems. Eigentlich zuständige Landkreise verweisen an die Landesministerien, diese an den Bund und dort zeigt man mit dem Finger auf die Europäische Union, die doch erst einmal Vorschriften erlassen müsse. Und dort schiebt man die Verantwortung auf den Weltmarkt, für den man doch konkurrenzfähig bleiben müsse.
Die Lösung liegt so nah und doch so fern
Die jüngsten Skandale machen jedoch mehr als deutlich: Kein verantwortungsvoller Mensch mit Gewissen, keine Ordnungsbehörde, kein Ministerium und keine Regierung kann weiter auf die EU warten und Tierschutz wird nicht einfach so vom Himmel fallen. Ehrlicher Tierschutz muss von jeder Ebene im Rahmen ihrer Möglichkeiten verstanden und umgesetzt werden. Nach dem Motto „viele Hände…“ können zahlreiche Stellschrauben genutzt werden. PROVIEH erkennt für die Probleme beim Tierschutzvollzug drei Hauptursachen:
- geringe Kontrolldichte und uneinheitliche Bewertung von Tierschutzfällen,
- fehlende Ahndung von Tierschutzverstößen durch Staatsanwaltschaften/Gerichte
- hohe Eigenverantwortlichkeit der Tierhalter:innen. Mehr dazu: Unentdeckte oder ungestrafte Tierschutzfälle in der Landwirtschaft | PROVIEH
Die Zeit ist (über)reif für eine ehrliche, ethisch vertretbare Nutztierhaltung.
Im Rahmen der staatlichen Haltungskennzeichnung und des staatlich geförderten Umbaus der Tierhaltung muss für tierhaltende Betriebe durch strikte Vorgaben bei gleichzeitiger finanzieller Förderung und langfristiger Planungssicherheit ein solides Fundament geschaffen werden. In der Be- und Verurteilung von Tierschutzverstößen bedarf es zudem einer weitreichenden Reform, die Verstöße angemessen ahndet und damit klare Grenzen setzt. Hier fehlen unter anderem Anpassungen im Tierschutzgesetz sowie der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung.
Kontakt bei Rückfragen:
Kathrin Kofent
Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft
Telefon: 0431. 24828-05
E-Mail: kofent@provieh.de
Weitere Informationen rund um die Milchkuh:
Bisherige Texte zum Thema (Auszug):
Tierschutzskandale in der Nutztierhaltung | PROVIEH
Tierschutzskandal offenbart Kontroll- und Sanktionslücken in der Tierhaltung | PROVIEH