Tierschutzskandale in der „Nutz“tierhaltung

Lösungen müssen her

Immer wieder schockieren in den Medienberichterstattungen auftauchende Tierschutzskandale uns bis aufs Tiefste. Dramatische Bilder, die nachts heimlich oder mit versteckter Kamera gedreht wurden, offenbaren, dass in so manchem deutschen Stall alles andere als die „gute fachliche Praxis“ angewendet wird.

Halbtote Schweine, angefressen von ihren Artgenossen, verendete Kälber auf Misthaufen oder in der Güllegrube, überquellende Kadaverbehälter mit teils noch lebenden Hühnern, Puten, Schweinen, kurzerhand erschlagene, überzählige Ferkel oder halb verhungerte, kranke Milchkühe mit schlimmen Verletzungen, die auf Anhänger geprügelt oder geschleift werden, um aus ihnen noch Profit zu schlagen – die Liste ist lang. Demgegenüber ist die Zahl der tatsächlich ernsthaft geahndeten Verstöße verwunderlicherweise sehr kurz. Bis in Deutschland ein Tierhaltungsverbot erwirkt wird, muss schon sehr viel passieren. In schlimmeren Fällen folgen aus einem massiven Verstoß Geldauflagen und äußerst selten eine Bewährungsstrafe. Ein Gefängnisaufenthalt wurde unserer Recherche nach bislang erst ein einziges Mal als Strafe verhängt. Es muss sich also schon um außerordentlich schwerwiegende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz handeln, damit “überhaupt etwas Nennenswertes” passiert. Im Bereich der Ausgestaltung der Tierhaltung kommt erschwerend hinzu, dass nicht alle Tierarten in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung berücksichtigt sind. Somit fehlen beispielsweise für Milchkühe, Jungrinder, Bullen und auch für Puten und Enten grundlegende gesetzliche Vorgaben.

Der Allgäuer Tierskandal

Schauen wir uns einen Fall mal genauer an: Im Sommer 2019 ging erstmals der “Allgäuer Tierskandal” durch die Presse. Im Zuge einer Groß-Razzia der Polizei, bei der sieben Allgäuer Milchviehbetriebe sowie mehrere Tierarztpraxen und Wohnungen überprüft worden waren, wurde man leider “fündig”. Auf insgesamt fünf der sieben Milchviehbetriebe im Ober- und Unterallgäu konnten teilweise extreme Zustände aufgedeckt werden.

Großbetriebe müssen nicht zwangsläufig schlecht sein, aber auf vier der fünf konkret betroffenen Betriebe wurden zwischen 500 und 1.800 Rinder gehalten. Schwere Vernachlässigungen und nachweislich brutaler Umgang in einem riesigen Ausmaß wurden dort festgestellt. Über den ersten der fünf Fälle wurde im Dezember 2021 vor Gericht entschieden und drei Haftstrafen zwischen einem Jahr und drei bis zu einem Jahr und acht Monaten verhängt, die drei Jahre auf Bewährung festgesetzt wurden. Bewährungsstrafen für wochen- wenn nicht jahrelanges, teilweise schwerstes Leiden unzähliger Rinder. 107 Einzelfälle wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz wurden angeklagt. Jedes dieser Tiere musste länger anhaltende Leiden und Schmerzen aushalten. Trotz mehrfacher Aufforderungen der Kontrollbehörde im Zuge etlicher Kontrollen, Missstände abzustellen, hatten sich die Angeklagten uneinsichtig gezeigt und die Tiere mehr oder weniger sich selbst überlassen. Laut Aussage einer Tierärztin hätte es, obwohl laut Haltungsverordnung vorgeschrieben, weder Wasser noch Heu für die Kälber gegeben. Zudem seien die Ställe stark verschmutzt und überbelegt gewesen. In einem Fall hätte es für 42 Kühe nur 27 Liegeplätze gegeben. Rinder seien unterernährt gewesen, auffällig viele entzündete Klauen, deformierte Gelenke und offenen, eiternde Wunden sind festgestellt worden. Mit weiteren Details möchten wir an dieser Stelle die Leser:innen verschonen. Seitens der Anwälte der drei Angeklagten wurde kein aktiver Verstoß gegen das Tierschutzgesetz gesehen, sondern höchstens ein Unterlassen. 

Zukunft des Tierschutzes

Wenn nun selbst solch ein schwerer Fall von Tiermisshandlung bestenfalls als Unterlassen eingestuft, mit einer Bewährungsstrafe bedacht und vermutlich bald wieder in Vergessenheit geraten wird, was können dann überhaupt Erlässe, Verordnungen und Gesetze ausrichten? Fest steht: Im bestehenden Kontroll-System sind die Kontrollbehörden, also Ordnungs- beziehungsweise Veterinärbehörden, hoffnungslos unterbesetzt. Die Auffassung von der Beurteilung einer Tierquälerei ist zudem von Landkreis zu Landkreis sehr unterschiedlich, zum Teil politisch zum Teil durch persönliche oder wirtschaftliche Verstrickungen geprägt. Eine unabhängige Kontrollinstanz der Veterinärämter sollte dringend geschaffen werden. Die Landestierschutzbeauftragten, die zum Teil sogar nur ehrenamtlich tätig sind, können dies nicht leisten. Hier fehlen bundeseinheitliche Befugnisse, die seitens der Bundesregierung zu regeln wären. Mehr Personal, Rückhalt durch Landes- und Bundeserlässe sowie eine Kontrolle der Kontrollen sind essenziell, um eine tragfähige, einheitliche Tierschutzbasis zu schaffen.

Lichtblick: Tierquälerei ins Strafgesetzbuch

Eine Kuh im Transporter
Foto: © Jo-Anne-McArthur_We-Animals-Media

Es bleibt zu hoffen, dass der von den Grünen eingebrachte Gesetzesentwurf auf Grundlage des Gutachtens „Reform des Tierschutzkriminalstrafrechts zur effektiven Bekämpfung von Tierquälerei” von dem renommierten Professor Jens Bülte erfolgreich ist und Tierquälerei ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird. Ein Tierschutz-TÜV, die Stelle eines Bundestierschutzbeauftragten sowie eine Verschärfung des Strafmaßes bei Verstößen gegen den Tierschutz sind im aktuellen Koalitionsvertrag als angedachte Maßnahmen benannt. Die Umsetzung wäre mehr als wünschenswert.

Tierquälerei ist nicht wie Falschparken

Die bisherigen rechtlichen Maßnahmen, Tierquälerei zu bestrafen, noch besser aber zu verhindern sind unzureichend. Es fehlt an vielen Ecken: es gibt zu wenige, zu lasche Kontrollen und zu wenig Kontrollpersonal. Die Möglichkeiten der Veterinärämter auf Verstöße gegen den Tierschutz zu reagieren, sind dadurch stark begrenzt. Selbst wenn jedoch Verstöße festgestellt werden sollten, gibt es zu lasche Strafnormen und damit zu wenig Möglichkeiten, sofort und konsequent ein Abstellen der Missstände durchzusetzen. Vieles wird nur als Ordnungswidrigkeit (also ähnlich wie Falschparken!) gewertet. Dies muss sich dringend ändern. Mit dem juristischen Gutachten von Jens Bülte aus dem letzten Jahr und dem Koalitionsvertrag sind dafür die Grundsteine gelegt. Jetzt kommt es auf eine konsequente Umsetzung an. Tierquälerei darf nicht weiter ein “Kavaliersdelikt” sein.

PROVIEH wird die Entwicklung aufmerksam begleiten und sich als Anwalt der “Nutz”tiere fortlaufend in vielen Bereichen und mit konkreten Aktionen und Projekten dafür einsetzen, dass die Tiere als fühlende und leidende Individuen entsprechend wertschätzend behandelt werden und ihre artgemäße Unterbringung und Fütterung als essentiell angesehen und durchgesetzt wird. Tierquälerei darf keine Bagatelle mehr sein!

Kathrin Kofent

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