Unentdeckte oder ungestrafte Tierschutzfälle in der Landwirtschaft

Gründe und Strategien zur Verhinderung und Ahndung 

Die heutigen Bedingungen in der industrialisierten Tierhaltung missachten an sich bereits die arteigenen Grundbedürfnisse von Rind, Schwein, Huhn und anderen Tieren. Rinder werden statt auf Weiden überwiegend im Stall gehalten. Schweine können auf den Betonspalten ihrem Wühltrieb nicht nachkommen. Legehennen picken und scharren auf Plastikmatten statt im Freien, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Allein schon das durch die Haltungsform erzwungene Nicht-Ausführen-Können artgemäßen Verhaltens, bedingt erhebliches Leiden. Das ist nicht nur wissenschaftlich untersucht, sondern auch juristisch belegt.(1)   

Darüber hinaus leiden die “Nutztiere” unter zahlreichen weiteren Unzulänglichkeiten dieser nicht artgemäßen Haltungsbedingungen. Fehlende gesetzliche Vorgaben, die Missachtung geltenden Rechts, direkte oder indirekte Vernachlässigungen und anderes führen zu teilweise schlimmsten Tierschutzfällen: 700 qualvoll verendete Schweine und 1.000 jahrelang vernachlässigte Pferde in Schleswig-Holstein sowie mehrere Fälle misshandelter Milchkühe im Allgäu sind nur einige Beispiele, die aufgedeckt wurden und damit die Spitze eines vermutlich riesigen Eisberges bilden. 

Aber warum leiden so viele tausende Tiere unentdeckt und wie könnte dieses Leid zukünftig verhindert werden?  

PROVIEH erkennt für die Probleme beim Tierschutzvollzug drei Hauptursachen: 

  1. geringe Kontrolldichte und uneinheitliche Bewertung von Tierschutzfällen   
  1. fehlende Ahndung von Tierschutzverstößen durch Staatsanwaltschaften/Gerichte 
  1. hohe Eigenverantwortlichkeit der Tierhalter:innen 

Im Folgenden werden diese drei Problemfelder erläutert und jeweils Lösungsansätze skizziert. 

1. Kontrolldichte & Bewertung von Vorfällen 

A) Geringe Kontrolldichte – kaum Aufdeckung von Tierschutzverstößen 

Die Kontrollen von Nutztierhaltungen sind innerhalb der Europäischen Union vorgeschrieben (2)(3). Aber weshalb, werden dann so wenige Verstöße aufgedeckt und von wem? Schauen wir dazu einmal zurück: 2018 erklärte die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, dass anstelle von Tierschutzorganisationen und –aktivist:innen die Bundesländer mit ihren Veterinärbehörden für Vollzug und Durchsetzung von Tierschutzrecht in der Pflicht seien. Dieser Aussage folgte im Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung (4). Das Ergebnis war eindeutig. Gerade einmal 14.600 amtliche Tierärzt:innen und Fachassistent:innen kamen auf 1.22 Millionen registrierte Betriebe, die einer Lebensmittel-Überwachung unterlagen. Hier waren auch die landwirtschaftlichen Betriebe integriert. Je nach Bundeland ergaben sich mehr oder weniger erschreckend geringe Kontrolldichten (siehe Tabelle) 

Nutztierkontrollen nach Entscheidung 2006/778/EG – Durchschnittliches Kontrollintervall je Betrieb in Jahren

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Carina Konrad, Dr. Gero Clemens Hocker, Frank Sitta, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/2820 – Vollzug von Tier- und Verbraucherschutzrecht 

Verglichen mit den Aufgabenbereichen Lebensmittel und Tierseuchen wurden im Tierschutz von den Veterinärämtern nicht genug Kontrollen durchgeführt. Der Grund: Personalmangel. 2017 wurden deshalb bundesweit gerade einmal 6.184 Verstöße gegen das Tierschutzgesetz (TierSchG) aufgedeckt. Vier Jahre später, 2021, wurden weit mehr als doppelt so viele Verstöße wie 2017 aufgedeckt. Hat sich also die Einflussnahme der Ordnungsbehörden verbessert? Eine aktuelle Studie (5) zeichnet hier eher ein frustrierendes Bild: Die aktive Aufdeckung oder Zufallsentdeckungen von Verstößen gegen das TierSchG erfolgt zu 39 Prozent durch Tierschutzorganisationen und zu 11,9 Prozent durch Bürger:innen. Nur knapp die Hälfte (48,3 Prozent) wird durch Veterinärbehörden aufgedeckt. Die Polizei spielt mit unter einem Prozent eine verschwindend geringe Rolle.  

B) uneinheitliche oder zu geringe Bewertungen von Tierschutzverstößen  

Bei den Veterinärämtern bleiben viele Fälle unbearbeitet liegen oder fallen sogar unter den Tisch, sei es aufgrund von fehlendem Personal oder weil es sich um uneindeutige Sachlagen handelt. 

Die allermeisten Tierschutzfälle werden minderschwer als Ordnungswidrigkeit eingestuft, selbst wenn eigentlich Straftatbestände vorliegen. Folglich findet die Weitergabe an die Staatsanwaltschaft zur strafrechtlichen Verfolgung selten und häufig erst nach mehrmaligem Vergehen statt. Oftmals werden nur Verstöße wegen einzelner Tiere angezeigt, statt gegen ganze Tierbestände. So fallen Strafen regelmäßig ungerechtfertigt mild aus. Erschwerend hinzu kommt, dass die Ausbildung und Schulung der Amtsveterinär:innen nicht bundeseinheitlich erfolgt. Die Prüfung, Einschätzung und Durchsetzung von rechtlichen Vorgaben bei oder als Folge von Kontrollen unterscheiden sich innerhalb einzelner Landkreise, eines Bundeslandes wie auch bundesweit deutlich. Auch die Auslegung von Verstößen gegen Gesetze, Verordnungen, Leitlinien und Erlässe wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Dies hat sowohl individuelle/persönliche wie auch politische, administrative und strukturelle Gründe. 

Lösungsstrategien für mehr Aufdeckung von Tierschutzverstößen 

  • Schaffung neuer Stellen für Amtsveterinär:innen, um regelmäßige, unangekündigte Kontrollen, bei allen – sowie besonders engmaschig bei bereits aufgefallenen – Betrieben umsetzen zu können 
  • Regelmäßige Schulungen sowie bundesweite Vereinheitlichung der Ausbildung für Amtsveterinär:innen  
  • Unabhängigkeit von Amtsveterinär:innen durch eine ebenso unabhängige Instanz (beispielsweise durch die Bundestierschutzbeauftragte) kontrollieren  
  • Zuständigkeit von Landkreisen auf Landes- oder Bundesämter übertragen, um lokale Einflussmöglichkeiten zu begrenzen. 
  • Feste Rahmenrichtlinien zum Umgang mit auffälligen Betrieben (bundeseinheitliche Bewertungskonzepte für alle Tierarten) 
  • Konkretisierung gesetzlicher Vorschriften für eine vereinfachte Übertragbarkeit in die Praxis  
  • Etablierung kürzerer und für den Vollzug verbindlicher Fristen zum Abstellen bestehender Verstöße nach bundeseinheitlich festgelegten Ablaufprotokollen 

2. Fehlende Ahndung von Tierschutzverstößen durch Staatsanwaltschaften/Gerichte:  

Veterinärämter aber auch Staatsanwaltschaften und nachfolgend die Gerichte tun sich schwer. In 72,4 Prozent der Fälle wurden Verfahren eingestellt. Lediglich in 21,8 Prozent der Fälle wurden überhaupt Strafbefehle erteilt und gerade einmal 5,8 Prozent kamen zur Anklage. Verurteilungen sind sehr selten und fallen moderat aus. Bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten fehlen im Tierschutzrecht hinreichend ausgebildeten Jurist:innen. In der Praxis wird das Strafrecht im Tierschutz viel zu wenig und nicht umfassend genug angewendet. Zahlreiche Straftaten werden deshalb nicht geahndet. Ein weiterer Grund ist die schwierige Nachweispflicht. Wenn beispielsweise ein Schweinemäster mehr Tiere pro Bucht einstallt als in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) zulässig ist, verstößt er gegen § 29 Absatz 2 TierSchNutztV. Aber da insbesondere im Nachhinein ein Leiden der Schweine schwer nachzuweisen ist, erfolgt selten die Bestrafung nach § 17 TierSchG. (6)

Lösungsstrategien für mehr Ahndungen von Tierschutzverstößen 

  • Integration des Tierschutzes in die juristische Ausbildung sowie regelmäßige Schulungen von Staatsanwält:innen und Richter:innen im Bereich Tierwohlbewertung 
  • Bildung von Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften, um hier Kompetenzen zu bündeln 
  • Förderung der Kommunikation zwischen den Behörden (Veterinärbehörde <-> Staatsanwaltschaft) 
  • Weitere Konkretisierung der Anforderungen von Tierhaltungen im TierSchG und Aufnahme der fehlenden Tiergruppen in die TierSchNutzV zur Entlastung von Staatsanwaltschaften und Gerichten. 
  • Vereinheitlichte bundesweite, konkrete Leitlinien, welche für Landwirt:innen, Ordnungsbehörden und Staatsanwaltschaften bindend als Entscheidungs- und Ausführungs-grundlage sind 
  • Schaffung verwaltungsrechtsakzessorischer Straftatbestände, um die Problematik der Beweispflicht zu umgehen. Verstöße gegen Tierschutzverwaltungsrecht und tierhalterische Pflichtverletzungen wären ausreichend für eine Strafbarkeit: bereits ein erster Verstoß wäre strafbar, also bei wiederholter, systematischer oder grober Zuwiderhandlung gegen bestimmte verwaltungsrechtliche Vorschriften, zum Beispiel aus der TierSchNutzV (indem eine vorgeschriebene Stallfläche pro Tier oder Kilogramm Lebendmasse nicht oder nicht entsprechend den Vorgaben zur Verfügung gestellt wird.). Damit wäre nicht mehr der Nachweis zu erbringen, dass erhebliche Schmerzen/Leiden zugefügt wurden. Auch würde beispielsweise ein aufwändiges Sachverständigengutachten entfallen.  

3.  Hohe Eigenverantwortlichkeit der Tierhalter:innen 

Die Einhaltung von TierSchG, der TierschSchNutzV und sämtlichen Leitlinien und Ländererlässen liegt derzeit allein in der Eigenverantwortung der Landwirt:innen. Aber eine Ausbildung und regelmäßige Schulung im Bereich Tierwohl gibt es in kaum einem Lehrplan der Berufsschulen und Universitäten sowie auch nicht im Ausbilder:innenbereich. Es wird erwartet, dass Tierhalter:innen aus eigener Motivation heraus Tierschutz erlernen und betreiben. Sie werden mit der Umsetzung von Tierschutz in der Praxis allein gelassen. Sowohl bei Tierbeobachtungen, Tierbedürfnissen sowie der Umsetzung bestehender und neuer Regelungen stehen sie in der Pflicht. Da dies auch in sämtlichen anderen Bereichen der Fall ist, verlieren sich manche in Paragrafendschungel und Papierbergen, sind körperlich, mental und/oder finanziell bereits vollkommen ausgelastet.  

Lösungsstrategien zur Unterstützung der Tierhalter:innen 

  • Aufnahme des Tierschutzes und der bedürfnisorientierten/artangepassten Tierhaltung als Lehrinhalte für angehende Landwirt:innen an Berufsschulen und anderen Ausbildungsstätten  
  • Leicht zugängliche und vor allem praxisnahe kostenfreie Beratungs- und Bildungsangebote für alle Tierhalter:innen 
  • Sachkundenachweise für Tierhalter:innen im Bereich Tierwohl 
  • Förderprogramme für verbesserte Tierhaltungen    
  • Schaffung unabhängiger Anlauf-/Beratungsstellen, beispielsweise durch hauptamtliche Tierschutzvertrauenspersonen in allen Bundesländern für Tierhalter:innen sowie besorgte Bürger:innen 

Darüber hinaus könnten durch die Etablierung von Monitoring-Systemen auffällige Betriebe herausgefiltert werden. Zentral in einer Datenbank eingepflegt, könnten Tiergesundheitsdaten, auffällige Schlachtbefunde und andere Daten dafür genutzt werden. Kontrollen wie auch Beratungs- und Hilfsangebote könnten so gezielt ansetzen.  

Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben aufgrund der festgestellten mangelnden Kontrolldichte sowie festgestellten massiven Tierschutzverstößen die Schaffung weiterer Arbeitsplätze in den Veterinärbehörden geplant. Die Effektivität der Kontrollen soll erhöht werden. Nordrhein-Westfalen hat dafür eine neue Tiergesundheitsdatenbank eingerichtet. Dieses Informationssystem soll vorhandene Daten aus der Überwachung, Informationen zu Schlachtbefunden und Arzneimitteln zusammenführen und als Frühwarnsystem zur Verbesserung der Tiergesundheit dienen. Anhand dieser Daten können Tierhalterinnen und Tierhalter frühzeitig bei Auffälligkeiten benachrichtigt werden und gegensteuern.  

2021 beschloss überdies die Bundesregierung, dass zukünftig neben der Kontrolle von Tierhaltungsbetrieben, auch Kontrollen auf Verarbeitungsbetrieben tierischer Nebenprodukte (VTN-Betriebe) stattfinden dürfen. Dort könnten tierschutzrelevante Befunde erhoben werden und daraus Rückschlüsse auf Probleme in Tierhaltungsbetrieben gezogen werden. Der aktuelle Referentenentwurf des TierschG sieht diese Möglichkeit vor.   

Kathrin Kofent

26.03.2024

Quellen

(1) Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 4. Auflage 2023, § 17 Rn. 99; so auch Hahn/Kari, Leiden Nutztiere unter ihren Haltungsbedingungen? – Zur Ermittlung von Leiden in Tierschutzstrafverfahren, NuR 2021, 599 (600). 

(2) Entscheidung der Kommission 14. November 2006 über Mindestanforderungen an die Erfassung von Informationen bei Kontrollen von Betrieben, in denen bestimmte landwirtschaftliche Nutztiere gehalten werden.

(3) VERORDNUNG (EG) Nr. 882/2004 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz

(4) Wie oft werden tierhaltende Betriebe kontrolliert?: BZL (landwirtschaft.de), Drucksache 19/3195 (bundestag.de)

(5) Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft – eine empirische Studie, Johanna Hahn, LL.M. (Harvard), Doktorandin, Universität Leipzig

(6) Johanna Hahn | Elisa Hoven (Hrsg.) Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft Eine empirische Untersuchung; Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft (nomos-elibrary.de)

Beitrag teilen