Kälber an Ketten – Tierschutzskandal in Brandenburg offenbart generelles Problem der Milchviehhaltung

Pressemitteilung

Berlin, 11. Oktober 2021: Ein besonders drastischer Fall von Tierquälerei ist in der letzten Woche in Brandenburg aufgedeckt worden: In einem Milchviehbetrieb wurden die Kälber nicht nur unzulässigerweise mit Ketten angebunden, sie wurden offenbar auch systematisch vernachlässigt und sind möglicherweise zum Teil an den Folgen der unterlassenen Versorgung verstorben. PROVIEH verurteilt diese Tiermisshandlung zutiefst und fordert Aufklärung.

Schlechte Bedingungen für die Kälber in der Milchviehhaltung sind kein Einzelfall, sondern strukturell bedingt. Die aktuellen Bilder der Sendung “Report Mainz” zeigen jedoch einen besonders schweren Fall von Tierquälerei. Die Amtsveterinärin des zuständigen  Landkreises Havelland, äußert sich dagegen auf Nachfrage zu den Umständen und dem bereits bekannten Betriebsleiter wie folgt: „Der hat sich um die Kälber gekümmert im Rahmen seiner Möglichkeiten. Die Sachkunde erscheint mir nicht ausreichend.”  PROVIEH kritisiert diese Sichtweise, denn die Defizite gehen über mangelnde Sachkunde weit hinaus.

Dazu Anne Hamester, Fachreferentin für Rinder bei PROVIEH: “Es mangelt hier offensichtlich nicht nur an Sachkunde. Die angebundene Haltung von Kälbern ist verboten, der Tierhalter entzog sich seiner Fürsorgepflicht für eine angemessene Futter- und Wasserversorgung, vor allem aber der gesundheitlichen Betreuung der Tiere. Bislang ist die einzige Konsequenz für den Betrieb eine Geldstrafe. Dies zeigt ein strukturelles Problem bei Tierschutzskandalen: Betriebe mit offensichtlich sehr großen Problemen werden zum einen unzureichend sanktioniert, zum anderen fachlich nicht angemessen begleitet. Außerdem deutet dieser Fall auf das Defizit von Kontrollen und den Mangel an Konsequenzen hin. Amtsveterinäre müssen in solchen Fällen strikt durchgreifen!” 

Kälber an Ketten anzubinden ist schon seit vielen Jahren verboten. Dass diese grausame Praxis und die strukturelle Vernachlässigung wertarmer Kälber in dem Betrieb bisher noch immer folgenlos geblieben sind, zeigt ein besonders schweres Vollzugsdefizit geltender Gesetze im Landkreis Havelland. PROVIEH fordert strukturelle Änderungen im Milchviehbereich, besonders in Bezug auf die Kälber! 

Hintergrund: 

Kälber in der Milchviehhaltung, insbesondere die Bullenkälber, sind durch die einseitige Zucht auf eine möglichst hohe Milchleistung benachteiligt. Sie eignen sich durch diese nur schlecht zur Mast und sind dadurch als Nebenprodukt der Milch zum „Wegwerfkalb“ verkommen: Die Preise für zu mästende Kälber von Milchviehrassen sind ruinös, liegen häufig bei unter zehn Euro und bedeuten damit für die ohnehin finanziell angeschlagenen Milchviehbetriebe ein Verlustgeschäft. Diese Preise finanzieren nicht einmal die Futterkosten, mehr Arbeitszeit für das Kümmern um kranke Tiere oder aber teure Tierarztbehandlungen bedeuten immer hohe Kosten durch das Kalb. So sind die wertarmen Kälber strukturell Vernachlässigung ausgesetzt. Das daraus entstehende Tierschutzproblem belegen schon heute Statistiken: Die Kälbersterblichkeit ist mit über 15 Prozent erschreckend hoch und bei Bullenkälbern noch einmal signifikant erhöht. Die Milchviehbranche, vor allem die Zucht, muss sich diesem Problem durch eine Zucht auf einen höheren Fleischansatz annehmen, um den Kälbern einen besseren wirtschaftlichen Wert zu geben. Klar ist aber auch: Deutschland produziert zu viel Milch. Durch die vier Millionen in Deutschland gehaltenen Milchkühe kommen jedes Jahr auch vier Millionen Kälber auf die Welt – und auf einen Markt, der sie nicht will. Als klassisches Koppelprodukt der Milch sollten die Kälber eigentlich durch den Milchpreis mitfinanziert werden. Leider ist auch dieser Milchpreis seit langem nicht kostendeckend. Das kranke System Milch muss endlich gesund werden.

Ansprechpartnerin
Anne Hamester
Fachreferentin für Rinder
Mail: hamester@provieh.de

Pressestelle
PROVIEH e.V.
Küterstraße 7-9 | 24103 Kiel
Telefon: 0431. 248 28 0
Mail: info@provieh.de

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