Wenn Muttersein nicht vorgesehen ist

Mütterlichkeit im System der Nutztierhaltung: Zwischen Instinkt und Industrie 

Am 11. Mai wird weltweit ein ganz besonderer Tag gefeiert: der Muttertag. Dieser hat seinen Ursprung in der griechischen Antike. Der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber brachte in den frühen 1920er Jahren die moderne Form aus den USA nach Deutschland. An jedem zweiten Sonntag im Mai nehmen unzählige Menschen sich seitdem alljährlich Zeit, um die Mutter-Kind-Beziehung zu ehren und den Müttern liebevoll zu danken. 

Doch während die mütterliche Liebe und Fürsorge in der menschlichen Gesellschaft selbstverständlich ist, wachsen in der modernen Nutztierhaltung weltweit unzählige Jungtiere mutterlos heran. Viele Kälber, Ferkel und Küken durften ihre Mütter niemals kennenlernen. 

Millionen Kühe, Sauen und Hennen dürfen keine richtigen Mütter sein

Die tatsächlichen Aufzucht- und Haltungbedingungen weichen von den natürlichen Bedürfnissen der Tiere stark ab. Anders als wir uns es vielleicht wünschen oder vorstellen, ist das Muttersein für Milchkühe, Sauen und Legehennen ein „hartes Geschäft“: In der industrialisierten Landwirtschaft dienen sie ausschließlich als Produzenten von Milch, Fleisch und Eiern. Ihre arteigenen Bedürfnisse und intensiven Mutterinstinkte werden missachtet.  

Kuh und Kalb: Natürliches Verhalten vs. gängige Praxis

Ein starkes Band ab der ersten Minute

Eine Kuh trägt ihr Kalb genauso lange aus wie eine Frau ihr Baby, nämlich neun Monate bzw. rund 280 Tage. Für die Geburt zieht sie sich gern an einen ruhigen und geschützten Ort zurück. Abseits der Herde leckt sie ihr Neugeborenes trocken und mobilisiert damit gleichzeitig dessen Kreislauf. Schon eine halbe Stunde bis Stunde nach der Geburt steht das Kälbchen und sucht nach dem Euter der Mutter, um die so wichtige Kolostralmilch zu trinken. Sie versorgt das Neugeborene mit den wichtigsten Abwehrstoffen, um gesund ins Leben starten zu können und ist in den ersten Stunden nach der Geburt am reichhaltigsten. Das kalb-eignene Immunsystem entwickelt sich erst im Laufe der nächsten Wochen. Acht bis zwölfmal am Tag trinkt das Kalb ganz nach seinen Bedürfnissen kleinere Milchmengen bei der Mutter. Zu Spitzenzeiten können es bis zu 15 Liter am Tag sein.

In aller Ruhe lernen sich Mutter und Kalb kennen. Das Kalb bekommt einen eignen Muh-Laut, vergleichbar mit einem Namen, mit dem es die Mutter rufen kann, wenn beide nach ungefähr einer Woche zur Herde zurückkehren. Nun ist das Band zwischen Mutter und Kalb stark gefestigt. Beide erkennen sich am Geruch und an der Stimme wieder und es ist Zeit, dass die Kuh sich wieder mehr ihrer Herde zuwendet und das Kalb gemeinsam mit anderen Kälbern stundenweise in einer Art Kälber-Kindergarten von einer „Tante“ oder dem Bullen beaufsichtigt wird. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass das gemeinsame Aufwachsen von Mutter und Kalb die emotionale Bindung stärkt und Stress reduziert, was sich positiv auf die Gesundheit des Kälbchens auswirkt. Zudem fördert das Aufwachsen im Familen- bzw. Herdengefüge die soziale Entwicklung des Kalbes, da es lernt, mit anderen Tieren zu interagieren und sich in die Gruppe zu integrieren. Kälber, die so aufwachsen sind nachweislich emotional stabiler und integrieren sich noch im Erwachsenenalter leichter in die bestehende oder eine neue Herde.

Mit der Zeit wird das Kalb immer eigenständiger, trinkt weniger Milch, lernt, welche Kräuter und Gräser gut schmecken sowie gesund sind und wächst in das Herdengefüge hinein. Die Mutter und auch die anderen Herdenmitglieder sind dabei wichtige Lehrmeisterinnen. Sieben bis zehn Monate trinkt das heranwachsende Kalb – weibliche Jungtiere sind hier meist schneller als die männlichen – bis zum natürlichen Absetzen noch bei der Mutter, währenddessen sich das Band zwischen beiden immer weiter lockert und das Jungrind immer selbstständiger wird.

Künstliche Aufzucht statt Mutterliebe

In der modernen Milchkuhhaltung ist es seit rund 70 Jahren üblich, dass die Kälber ihren Müttern nach der Geburt vollständig weggenommen werden. Die Kälber werden in konventioneller Landwirtschaft bis zu acht Wochen einzeln und danach in Kälbergruppen gehalten. Die üblichen Kälberboxen müssen anfangs 120 cm lang, 80 cm breit und 80 cm hoch sein; ab der dritten Lebenswoche kommen ein paar Zentimeter hinzu. Die Kälber werden, statt ständigem Zugang zu gut verdaulichen Milchportionen zu haben, oftmals nur zweimal täglich aus einem Nuckeleimer mit einem günstigeren Milchersatzprodukt gefüttert. Pro Portion werden bis zu drei Liter auf einmal angeboten. Das ausgehungerte Kalb trinkt diese hastig und bekommt dadurch häufig Durchfall wie auch Magengeschwüre – und hat bei einer Gesamtmenge von nur sechs Litern insgesamt immer noch Hunger. So wird die größtmögliche Milchmenge für den menschlichen Verzehr gewonnen und die Mutter-Kind-Bindung wird quasi unmittelbar im Keim erstickt. Erst nach einigen Wochen der Isolation kommen die Kälber in Gruppenhaltungen mit Gleichaltrigen zusammen. Ab dem 28. Tag dürfen Kälber über weite Strecken transportiert werden. Dies geschieht in großem Maße zu den spezialisierten Aufzucht- und Mastbetrieben im In- und Ausland. 

Eine solche Praxis steht im vollkommenen Widerspruch zu den Instinkten und Bedürfnissen von Kuh und Kalb. Ein unfassbarer Umstand, wenn man bedenkt, dass die Kuh damit das einzige Säugetier ist, welchem dieser ureigene Sinn des Säugens und Mutterseins vollkommen abgesprochen wird. Derzeit sind fast alle der 3,6 Millionen Milchkühe davon betroffen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine solche Trennung zu Stress, Angst und Verhaltensstörungen bei den Kälbern führt, da sie ihre Mutter und den vertrauten Geruch und Klang ihrer Stimme vermissen und zudem in den ersten Lebenswochen unter der isolierten Einzelhaltung leiden. Mütter rufen und suchen zum Teil tagelang nach ihren Jungen. 

Sau und Ferkel: Natürliches Verhalten vs. gängige Praxis

Säugen, spielen, beschützen – enge Bindung zwischen Sau und Ferkeln

In der freien Natur trägt die Sau ihre Ferkel rund drei Monate, drei Wochen und drei Tage aus. Kurz vor der Geburt separiert sie sich von der Gruppe und beginnt mit dem Nestbau. Dafür sucht sie eine windgeschützte, trockene Stelle auf und sammelt weiches Material zur Polsterung. Das Nest dient den Neugeborenen als Schutz vor Feinden und Kälte. Wildschweine gebären, meist im Frühjahr bis zu acht, selten bis zu zwölf Ferkel. Sofort nach der Geburt suchen die Ferkel die Zitzen der Muttersau und beginnen die wertvolle Kolostralmilch zu trinken. Nach wenigen Tagen hat sich eine feste Saugordnung innerhalb der Ferkelgruppe entwickelt. Da nun jedes Ferkel eine feste Zitze für sich erkämpft hat, treten nachfolgend kaum noch Kämpfe um die Milch auf. Bis zur Bildung einer Unterhaut-Fettschicht sind die jungen Schweine besonders kälteempfindlich, und brauchen deshalb in den ersten Tagen eine sehr warme Umgebungstemperatur. Um Wärmeverluste möglichst gering zu halten, liegen die Ferkel im Nest eng beieinander. Bereits mit zwei Wochen entwickeln sie einen ausgesprochen großen Spieltrieb. Sie rennen, raufen, schubsen und bespringen sich gegenseitig. Beim Spielen lernen Ferkel unter anderem das angemessene Verhalten in einer sozialen Gruppe. Nach ein bis zwei Wochen kehrt die Muttersau mit ihren Ferkeln zum Familienverband zurück. Bis dahin ist eine starke Mutter-Kind-Bindung entstanden und Mutter und Ferkel erkennen sich gegenseitig am Geruch, Grunz- und Quieklauten. Insgesamt werden die Ferkel – bei Wildschweinen auch Frischlinge genannt – von ihrer Mutter für drei bis vier Monate gesäugt. Sie wachsen in kleinen Familienverbänden mit fester Rangordnung zu gut sozialisierten Tieren auf. Die natürliche Gruppe besteht aus wenigen Muttersauen sowie deren Jungtieren und Ferkeln. Sauen sind sehr fürsorglich, schützen ihre Ferkel vehement vor Gefahren und zeigen ihnen, wo es das beste Futter gibt und wie man es erreicht. 

Reizarme Umgebung statt natürlicher Entwicklung

In der industriellen Haltung wird die Muttersau künstlich besamt und in geschlossenen Ställen auf Spaltenböden aus Beton gehalten. Kurz vor der Geburt wird sie in einem Metallkäfig fixiert, wo sie kein Nestbauverhalten ausüben kann, und nahezu bewegungsunfähig bis zu 16 Ferkel zur Welt bringt. Die Fixierung verwehrt es der Sau sich umzudrehen, um aktiv Kontakt zu ihren Jungen aufzunehmen. Sie kann sich auch nicht zum Koten und Harnen von dem „Nest“ entfernen, wie sie es natürlicherweise stets tun würde. Begründet wird die Fixierung der Muttersau mit dem Schutz der Ferkel vor dem Erdrücken beim Ablegen des Muttertiers. Allerdings zeigt die Erfahrung aus Betrieben mit nicht fixierten Sauen (freie Abferkelung), dass die Gesamtverlustrate der Ferkel nicht zwangsläufig steigt, wenn man die Sauen frei gebären und säugen lässt.

Nach der Geburt versuchen die Ferkel sofort eine Zitze der Muttersau zu erreichen. Die glatten Spaltenböden erschweren gerade schwächeren Ferkeln diesen Weg und es kommt nicht selten zu Verletzungen durch Wegrutschen und Ausgrätschen der Hinterbeine. Um dem Wärmebedürfnis der Ferkel Genüge zu tun, werden sogenannte „Ferkelnester“ installiert. Wie so oft in der industriellen Tierhaltung ist der Begriff „Ferkelnest“ äußerst beschönigend. Denn der kleine überdachte Bereich ohne Einstreu hat außer einer Beheizung nichts mit den warmen, weichen Nestern gemein, die die Sau unter natürlichen Bedingungen für ihre Ferkel herrichtet. Nach einer nur etwa dreiwöchigen Säugezeit werden die Ferkel von der Mutter getrennt und in größere Abteile mit Plastikspaltenböden, sogenannte Flatdecks, umgestallt. Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sieht für Ferkel mit fünf bis zehn Kilogramm 0,15 Quadratmeter, mit 10 bis 20 Kilogramm 0,2 Quadratmeter und über 20 Kilogramm 0,35 Quadratmeter Platz vor. Aufgrund des Platzmangels, der fehlenden Strukturierung, des unzureichenden Beschäftigungsmaterials und der ungünstigen Bodenbeschaffenheit können sie weder ihren Spieltrieb ausleben noch ihrem Bewegungsdrang freien Lauf lassen. Dies kann schon früh Ersatzhandlungen wie Ohrennagen oder Schwanzsaugen hervorrufen, aber auch bei ersten Rangordnungskämpfen zu Problemen führen. Mit zehn Wochen werden die Jungtiere, dann Läufer genannt und, zum Teil über lange Strecken, in die Mastbetriebe transportiert.

Henne und Küken: Natürliches Verhalten vs. gängige Praxis

Geborgenheit unter dem Flügel 

Im natürlichen Umfeld sucht die Henne einen geschützten Ort auf und baut dort aus vorhandenem Pflanzenmaterial ein weiches Nest. Sie legt nach und nach rund acht bis zwölf Eier und brütet diese durchschnittlich 21 Tage lang aus. Dabei verlässt sie nur selten zur Wasser- und Nahrungsaufnahme sowie zum Koten das Nest. Während der Brutzeit, wärmt sie die Eier und schützt sie vor Fressfeinden. Etwa in der Mitte der Brutzeit beginnt die Henne (auch Glucke genannt) mit den Küken zu kommunizieren. Zu diesem Zeitpunkt sind diese bereits so weit entwickelt, dass sie Geräusche außerhalb des Eis wahrnehmen können. Zwei Tage vor dem Schlupftermin, also um den 19. Tag herum, piepst es auch aus den Eiern heraus. So kündigt sich der Glucke das baldige Schlüpfen an und es entsteht bereits eine erste Bindung zwischen Mutter und Kükenschar. Hühnerküken sind Nestflüchter und erkunden bereits sehr schnell die Umgebung und gehen auf Nahrungssuche. Zunächst bleiben sie sehr nah bei der schützenden Mutter, die sie an alles heranführt und unter deren wärmenden Federkleid sie ruhen und schlafen. Die Erkundungstouren werden Stück für Stück länger. Dabei zeigt die Mutter ihren Jungen die Futtersuche, Wasserquellen und das unerlässliche Verhalten bei Gefahr. Die enge Mutter-Kind-Bindung fördert die emotionale Sicherheit, das Lernen sozialer Verhaltensweisen und die Entwicklung der Küken. Sind die Küken größer, werden sie immer selbständiger und lernen die anderen Artgenossen kennen. Nach durchschnittlich acht Wochen sind die jungen Hennen und Hähne dann vollkommen mütterunabhängig unterwegs und die Glucke geht als Huhn wieder ihrer Wege. Sie brütet dann natürlicherweise noch ein weiteres Mal in der wärmeren Jahreszeit. 

Keine Fürsorge, kein Sozialkontakt – Aufzucht im System

In der industriellen Haltung werden die Eier, aus denen die späteren Legehennen, Bruderhähne und Masthühner schlüpfen, jeweils von speziellen Zuchttieren mit besonderen Merkmalen (Legeleistung, Fleischansatz) gelegt. Die Eier werden diesen Hennen allerdings weggenommen. Die natürliche Brut ersetzen Inkubatoren in rieseigen Brütereien. In der Legehennenzucht werden männliche Küken durch die Geschlechterbestimmung im Ei herausgefiltert und entsorgt oder nach dem Schlupf als Bruderhähne aufgezogen. Die weiblichen Küken werden zu Aufzuchtbetrieben transportiert und im Alter von 20 Wochen an Legehennenbetriebe verkauft und dort in unterschiedlichen Haltungsformen als reine Eierlegerinnen genutzt (Mehr dazu lesen Sie hier: https://www.provieh.de/2025/04/ostereier-und-tierhaltung-was-hinter-der-schale-steckt/). Bei den Masthühnern werden männliche wie auch weibliche Tiere ausgebrütet und bereits als Eintagsküken zu den Mastbetrieben geliefert. Üblich ist die Aufzucht in Ställen mit bis zu 26 Tieren auf nur einem Quadratmeter. All diese Tiere hatten niemals Kontakt zu ihren Müttern. Die Mutterhennen versuchen immer wiederkehrend in der kargen Haltungsumgebung ein Nest zu bauen und legen weiter nahezu täglich ein Ei. Weder den Bruttrieb noch die Mutterinstinkte beim Schützen und Führen der Küken können sie jemals ausleben. Dasselbe gilt für alle Legehennen. Weibliche Masthühner in der konventionellen Landwirtschaft werden bereits lange vor ihrer Legereife mit durchschnittlich 32 Tagen geschlachtet. 

Wege zu einer tiergerechteren Zukunft

Die moderne auf Masse und Profit ausgerichtete Landwirtschaft lässt keinen Platz für arteigene und schon gar nicht für individuelle Bedürfnisse. Mutterinstinkte werden unterdrückt und Tierkinder wachsen isoliert oder unter Massen von Gleichaltrigen auf. Fühlende Lebewesen werden zu reinen Produktionseinheiten.

PROVIEH setzt sich dafür ein, dass Kuh, Sau und Henne ihre Mütterlichkeit zurückgegeben wird und wo immer möglich Kälber, Ferkel und Küken mütterliche Liebe und Führsorge erfahren können. 

So unterstützen wir die mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht:

Einkaufen | PROVIEH

Leuchtturmbetriebe sind wichtig, denn sie zeigen, dass es auch anders geht. Auf diesem Biohof dürfen Ferkel deutlich länger bei Ihren Müttern bleiben:

Lieber weniger, aber dafür gut – zu Besuch beim Biohof Muhs | PROVIEH

Möchten Sie das Schicksal von Hühnern selbst in die Hand nehmen? Informieren Sie sich über die Hühnerhaltung im eigenen Garten:

Eigene Hühner halten – Bauernhahn statt Turbohuhn | PROVIEH

Kathrin Kofent

09.05.2025

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