Wissenschaftlich bestätigt: Pferde leiden im Dressursport
Die Vereinbarkeit von Tierwohl und Höchstleistungen im Reitsport wird seit langem von Pferdefreunden wie Expert:innen in Frage gestellt (PROVIEH berichtete, siehe unten).
Oftmals wurde bei öffentlichen Veranstaltungen seitens der Richter wesentlich häufiger zugunsten der reiterlichen Erfolge entschieden, anstatt zum Wohle der Pferde. Zuletzt applaudierten Tausende bei den Olympischen Spielen. Hätte jemand dabei die Pferde selbst gefragt, wäre der Applaus jedoch sicher sehr schnell verstummt.
Aufgrund der immer lauter werdenden Kritik um Trainingsmethoden und Reitweisen musste nun auch der internationale Reitsportverband, Fédération Équestre Internationale (FEI) reagieren:
„Die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 in Paris haben das Beste gezeigt, was unser Sport im Wettkampf zu bieten hat, aber auch Herausforderungen ans Licht gebracht, die uns dazu veranlasst haben, in der Zeit nach den Spielen nachzudenken und neu zu bewerten“, so FEI-Generalsekretärin Sabrina Ibáñez.
Während eines Treffens am ersten Oktober 2024 in Lausanne wurden Möglichkeiten zu einer einheitlichen Ausrichtung des Dressursports diskutiert:
„Unser Ziel ist es, uns anzugleichen und in dieselbe Richtung zu gehen. Wir haben klar definiert, was wir als Sport sehen wollen, und der nächste Schritt besteht darin, dass alle Parteien prüfen, wie wir unsere Praktiken und Ansätze anpassen können, um sicherzustellen, dass diese Standards erfüllt werden. Diese Bemühungen liegen nicht in der Verantwortung einer einzelnen Gruppe; es ist eine kollektive Aufgabe für die gesamte Dressurgemeinschaft, und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit der breiteren Gemeinschaft, insbesondere mit unseren nationalen Verbänden.“, sagte FEI-Dressurdirektor Ronan Murphy.
Konkreter soll es mit der „FEI-Pferdewohlfahrtsstrategie“ auf der FEI-Generalversammlung am 12. November werden. Weiter könnte es dann auf dem FEI-Sportforum im April 2025 gehen. Ob großen Worten dann auch wirklich Taten Richtung Tierwohl folgen werden, bleibt abzuwarten und wird von PROVIEH kritisch begleitet werden.
Metha-Analyse zur Rollkur
Sehr interessant und gerade zur rechten Zeit kommt hierbei die Metha-Analyse zur sogenannten Rollkur, welche die negativen Auswirkungen des insbesondere im Dressursport in den Focus gekommenen Reitens hinter der Senkrechten (Hyperflexion, Rollkur) bestätigt: Hyperflexion des Pferdehalses: eine systematische Überprüfung und Metaanalyse, Uta König von Borstel, Kathrin Kienapfel, Andrew McLean, Cristina Wilkins & Paul McGreevy, Veröffentlichung in der Zeitschrift „Nature“ am zweiten Oktober 2024.
Zur Erklärung: Mit der “Rollkur” wird teilweise eine derartig starke Beugung des Halses erzwungen, dass die Pferde sich in die Brust beißen bzw. mit der Nase die Brust berühren. Das Sichtfeld des Pferdes ist in dieser Haltung stark eingeschränkt. Durch die beschriebenen Gesamtumstände von Zäumung und erzwungener Haltung ist die Zunge schlecht durchblutet und das Abschlucken von Speichel wird gestört, was schlussendlich in Kombination mit der extremen Beugung die Atmung behindert. Ziel der meist mit stärkerer Zügeleinwirkung, scharfen Gebissen und zu fest gezogenen Nasenriemen einhergehenden Rollkur ist ein “Gefügig machen”, “besseres Lenken“ des Pferdes, meist mit dem Ziel größere Erfolge im Reitsport zu erlangen. Während Wettkämpfen selbst ist die Rollkur offiziell verboten. Auf dem Abreiteplatz darf sie bislang nicht „länger andauernd“ erfolgen. Als gängige Trainingsmethode wird sie immer wieder beschrieben bzw. zumindest geduldet. Ein „leichtes“ Reiten hinter der Senkrechten wird aber auch innerhalb der Wettkämpfe akzeptiert und so gerittene Pferde zum Teil hoch bewertet.
Anhand der Auswertung zahlreicher Untersuchungen stellen die Autor:innen der Metha-Studie klar heraus, dass die vielfach übliche Reitweise mit übermäßiger Beugung des Halses Pferden vielfältig Leiden, Schmerzen und Schäden zufügt.
Die Metha-Analyse stellt klar heraus: „…dass Auswirkungen [der Rollkur] auf das Wohlergehen unabhängig von Faktoren wie dem Niveau der Dressurausbildung der Pferde, früheren Erfahrungen mit der Haltung, der Art und Weise, wie die Hyperflexion erreicht wurde, oder der Dauer oder dem Grad der Hyperflexion auftreten.“
Durch ihre großartige weitreichende Beleuchtung einer riesigen Datenmenge gelingt es Borstel, Kienapfel, McLean, Wilkins und McGreevy klare Tatsachen zu schaffen und so einen unübersehbaren wie auch unverrückbaren Pflock für das Pferdewohl einzuschlagen. Diese Studie könnte ein großartiger Toröffner zu mehr Tierschutz im Pferdesport werden. Wir sind hoffnungsvoll, werden jedoch gleichzeitig kritisch beobachten, ob tatsächliche Verbesserungen erfolgen werden.
Kathrin Kofent
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15.10.2024