Reitsport – wann endlich pro Pferd?

In der Vergangenheit gab es zahlreiche Skandale im sogenannten Pferde-Spitzensport. Auch aktuell reißen die Berichte um die Aufdeckung tierschutzwidriger Trainingsmethoden nicht ab. Brutales Handling und tierquälerische Methoden bei der Ausbildung von Pferden wie systematisches Schlagen mit bleibenden Verletzungen, extremes Ausbinden, Zusammenbinden der Vorderbeine oder Sporeneinsatz mit blutigen Wunden – sieht so die Zukunft des Reitsports aus? 


PROVIEH sagt “nein” zu Tierquälerei im Reitsport

Bekannte „Spitzensportler:innen“ und Pferde“ausbilder:innen“ auf der ganzen Welt stehen in der Kritik, aber machen weiter.  Zahlreiche Fotos und Videoaufnahmen diverser Pferde zeigen grausame Praktiken und Trainingsmethoden im sogenannten Pferdesport. Es handelt sich um gezielte massive Gewaltanwendung und Hilfsmittel, die langanhaltende Zwangshaltungen erzwingen, zum Beispiel blaue, vernarbte Zungen von scharfer Gebisseinwirkung bei zu engen Nasenriemen und Halshaltungen des Kopfes hinter der Senkrechten (Hyperflexion). Diese grausamen Praktiken wurden in großer Zahl nachgewiesen, aber auf unzähligen Turnieren – auch bei Olympia 2024 – nicht beanstandet. Ganz aktuell kursieren Videos eines bekannten Vielseitigkeitsreiters, der Pferde im Springtraining mehrfach mit heftigen Schlägen an den Kopf traktiert. (Link:  Andrew McConnon Videos über Pferdemissbrauch – Cleo Murphy – Pferdeberaterin (foxvalleyequestrian.ie))

Pferde werden für den Erfolg im Sport gezielt gequält. Schwere Leiden, Schmerzen und zum Teil lebenslange Schäden sind die Folge und bleiben nahezu ungeahndet. Das muss aufhören. Erste Sponsoren ziehen sich von nachweislichen Tierquälern im Pferdesport zurück, aber das sind leider bislang nur wenige. Pferde können leider nicht um Hilfe rufen könnten, sie leiden still. Vielleicht würde Ihnen dann endlich angemessen Gehör geschenkt werden. PROVIEH macht sich dafür stark, dass Pferden endlich angemessenes Gehör geschenkt wird. 

Eine fachkompetente Frau, die sich seit Jahrzehnten für das Wohl der Pferde einsetzt, ist Julie von Bismarck. Sie erhebt ihre Stimme für die leidenden Pferde und ruft alle Reiter:innen auf, Verantwortung zu übernehmen:

Lesen Sie hier ein Interview, dass PROVIEH im Mai 2024 zum Thema mit ihr geführt hatte. 

Kathrin Kofent  


Julie von Bismark mit ihrem Pferd Polar Bear

Frau von Bismarck, Sie setzen sich seit vielen Jahren für das Pferdewohl ein, geben den Pferden in Ihren Büchern und Beiträgen in den Medien eine Stimme und werden nicht müde, immer wieder auf die Missstände im Pferdesport und die schlimmen Folgen für die Pferde hinzuweisen. Denken Sie manchmal daran, aufzugeben, wenn wieder der nächste Skandal zeigt, dass sich scheinbar nichts verändert hat?

Es gibt zum Glück durch die Aufklärungsarbeit inzwischen ein ganz anderes Bewusstsein für das Pferd und sein Wesen sowie viel mehr und lautere Stimmen, die eine Veränderung in der Reiterei fordern. Aber ich gebe zu, dass man ein ziemlich dickes Fell haben muss für diese Art Tätigkeit. Anfangs war ich ziemlich allein mit meinen Forderungen nach einer Rückkehr zu den alten Werten und Regeln der Reiterei, so, wie ich sie gelernt hatte. Da wurde mir häufig Überheblichkeit und Arroganz unterstellt. Manch einer sah es wohl als Privileg an, noch so reiten gelernt haben zu dürfen wie ich. Wahrscheinlich ist es das sogar. Aber meine Arbeit hat und hatte nichts mit Überheblichkeit zu tun, sondern mit echter Sorge um die Pferde und um die Reiter. 

Wie meinen Sie das?

Ich beobachte eine Verrohung der Reiterschaft, die sich nicht mehr an ethische und persönliche Werte wie Verantwortung, Respekt, Demut, Dankbarkeit, Selbstreflexion, Disziplin und Freundlichkeit gebunden fühlt. Ohne diese Werte ist die Gefahr aber sehr groß, dem Pferd zu schaden. Reiten erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin sowie die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten und den Fehler immer zuerst bei sich zu suchen. Andersherum kann man sich nicht diesen Werten verpflichtet fühlen und gleichzeitig ein Pferd misshandeln, sei es absichtlich oder zum Beispiel durch Einsparungen bei der eigenen Ausbildung – was leider ein sehr häufiger Grund für Erkrankungen und Verletzungen im Pferd ist. Schnell mal „reiten lernen“ oder ein Pferd „turnierfertig machen“ ist mit der Rückkehr zu den angesprochenen Werten und Regeln schlicht nicht mehr möglich. Das wäre für viele, die damit ihr Geld verdienen, ein Desaster. 

Das klingt nach ziemlich viel Gegenwind…

(lacht) Ja, das ist wohl so. Da habe ich Glück, dass ich eine echte Norddeutsche bin. Sturm ist erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben – soll heißen, wir sind ziemlich windfest. Aber im Ernst, dass es so viele Menschen gibt, die um jeden Preis an ihren Methoden und Gewohnheiten festhalten wollen, obwohl sie wissen, dass sie den Pferden damit schaden, sagt schon ganz schön viel darüber aus, welche Motivation heute vielerorts hinter dem Begriff „Reitsport“ steht. Liebe zum Pferd und das Bestreben, die Reitkunst so zu perfektionieren, dass sie nur über Gedanken und Freundschaft funktioniert, ist es in vielen Fällen leider nicht. 

Was würden Sie diesen Menschen gerne sagen?

Das, was ich seit Jahren sage: Die Pferde schulden uns nichts. Dass sie uns überhaupt in ihrer Nähe oder gar auf ihrem Rücken dulden, ist eigentlich völlig verrückt und nur ihrer unglaublichen Sanftmütigkeit zuzuschreiben. Es ist ein unfassbar großes Privileg, auf einem Pferd sitzen zu dürfen. Demut und Dankbarkeit wären die richtigen Reaktionen darauf. 

Wie wird es Ihrer Ansicht nach weitergehen mit dem Pferdesport?

Das große Glück, das die Pferde und ich gerade haben, ist, dass die Öffentlichkeit nicht mehr gewillt ist, mit anzusehen, wie fühlende und denkende Lebewesen zum Zweck der Selbstdarstellung oder finanzieller Bereicherung in einer Weise behandelt werden, die selbst für absolute Laien als nicht vereinbar mit dem Pferdewohl zu erkennen ist. Die Sorge um die sogenannte „social license“, also die Anerkennung des Pferdesports in der Gesellschaft, treibt die Verbände inzwischen schon um. Auch wenn sie bis auf ein paar Hashtags und oberflächliche Aktionen erstaunlich wenig tun, um das Bild zu verändern. Und das ist übrigens auch das große „aber“: Denn wenn sich nichts ändert, ist das Risiko groß, dass man das Reiten ganz generell abschaffen wollen wird. Einfach, weil keiner mehr weiß, wie schön und faszinierend gutes Reiten ist. Das ist wohl auch das Dilemma, in dem sich die Gruppe von Menschen befindet, die so viel Geld damit verdient: Sie wollen auf diese Einkommensquelle nicht verzichten, sind daher in Sorge um die Anerkennung des Pferdesports in der Gesellschaft und sich gleichzeitig darüber bewusst, dass das, was diese social license sichern könnte, nämlich Bilder schönen Reitens, ihre Lobby in Gefahr bringt. Denn je mehr Menschen verstehen, wie schön gutes Reiten anzuschauen ist, welch eine Faszination es sogar auf komplette Pferdelaien ausüben kann, wenn Pferd und Reiter tatsächlich zusammenarbeiten, desto mehr wird der Respekt für das schwinden, was heute vielfach zu sehen ist. Das ist quasi eine Sackgasse, in die man sich da hineinmanövriert hat. 

Wie könnte der Reitsport aus der Sackgasse wieder hinauskommen?

Durch die Wand brechen zu wollen, vor der man da jetzt steht, wäre eine schlechte Idee. Es gibt in meinen Augen nur zwei Möglichkeiten, und beide wiederhole ich seit Jahren: Umkehren und den ganzen Weg zurückgehen, bis man wieder bei den alten Werten und Regeln der Reiterei angekommen ist, oder mit Sinn und Verstand Stein für Stein aus der Mauer nehmen, bis man einen einsturzsicheren Durchgang geschaffen hat. Denn auf der anderen Seite stehen – Überraschung – die Werte und Regeln der Reiterei, wie sie einmal zum Schutz der Pferde erdacht wurden. Das ist in meinen Augen das einzig mögliche Ergebnis. Am Ende geht es ja nun einmal um das Reiten. Und das hat eben bestimmte Anforderungen an diejenigen, die es betreiben wollen. Wenn sich wieder alle daran halten, gibt es ganz automatisch keine Bilder mehr, die niemand sehen möchte. Auf welchem Weg das erreicht wird, ist eigentlich egal.

Vielen Dank!

Das Interview führte 
Kathrin Kofent

Weitere Informationen zu Julie von Bismarck, ihren Büchern und ihrer Arbeit finden Sie hier: 
www.julievonbismarck.com

Foto oben © andrewrybackphotography: Brendan Wise auf seinem Pferd Lyric: Ein harmonisches Team in Balance, ohne Kopfstück, frei von Druck und Zwang.

11.09.2024

Das Interview ist erschienen im PROVIEH-Magazin 02/2024.

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