Das Gesetz zur Haltungskennzeichnung kommt – was ist gut, was ist schlecht?

Kampagne ”Haltungskennzeichnung jetzt!”

PROVIEH fordert seit 2021 im Rahmen der Kampagne ”Haltungskennzeichnung jetzt!” die Einführung einer flächendeckenden gesetzlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung für alle Tierarten und alle tierischen Produkte! 

Nach zunächst vielversprechenden Ideen, wird im April 2024 voraussichtlich ein Kennzeichengesetz abgeschlossen, welches weit hinter den Forderungen von PROVIEH zurückbleibt. Die geplanten Haltungsformen des BMELs stellen allesamt die tatsächlichen Haltungsbedingungen fälschlich dar und führen zu Verbrauchertäuschung statt zu Transparenz.

Das waren die wichtigsten Wegpunkte: 

  • November 2021: Verpflichtende Haltungskennzeichnung wird im Koalitionsvertrag verankert – dafür hat PROVIEH seit 2017 intensiv gekämpft und mit der gemeinsamen Naturland-Kampagne Druck gemacht
  • April 2022: PROVIEH legt eigenes Konzept als Vorschlag für Gesetzentwurf vor
  • August 2022: PROVIEH legt umfassende Forderungen an den bislang völlig unzureichenden Gesetzentwurf des BMEL vor
  • Januar 2023: PROVIEH spricht im Bundestag, um Änderungen hervorzubringen
  • März 2023: Nach Koalitionsausschuss werden nochmals deutliche Verschlechterungen durch die FDP erwirkt

Das Vorhaben: Verpflichtende Haltungskennzeichnung zur Förderung der Transparenz 

Im nächsten Jahr soll eine gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung eingeführt werden. PROVIEH fordert seit Jahren eine Kennzeichnung, um die Haltungsbedingungen von sogenannten Nutztieren transparent zu machen: beim Verkauf von tierischen Produkten in Supermärkten und Metzgereien, Kantinen und Imbissen sowie Hotels und Restaurants sollte es gelten und zeigen, in welcher Haltungsform das hinter dem Produkt stehende Tier gelebt hat. So können sich Menschen über die Haltung der Tiere informieren und eine informierte Kaufentscheidung treffen. Es gibt also Grund zur Freude? Fehlanzeige! PROVIEH kritisiert das geplante staatliche Haltungskennzeichen des BMELs scharf: Anstatt eine Orientierungsgrundlage zu schaffen, werden Menschen durch die Stufen und unzureichende Kriterien im Kennzeichen verunsichert und zum Teil sogar getäuscht.

Wie soll die gesetzlich verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung aussehen?

Geplant ist ein Haltungskennzeichen, das fünf Haltungsformen unterscheidet: vom gesetzlichen Mindeststandard „Stall“ über eine minimal verbesserte geschlossene Stallhaltung „Stall+Platz“, einen Stall mit Außenklimareizen „Frischluftstall“ bis zu den Haltungsformen „Auslauf/Weide“ und „Bio“. Der aktuelle Gesetzentwurf ist der erste Schritt zur Einführung der Kennzeichnung und bezieht sich nur auf die Haltung während der Mast und auf erste Absatzwege von Schweinefleisch im Einzelhandel, in Metzgereien und im Online-Versand. Später soll das Kennzeichen für den kompletten Lebenszyklus und alle Absatzwege von Schweinefleisch erweitert werden. Schrittweise soll es dann für Milchkühe, Mastrinder und Geflügel eingeführt werden. Die verpflichtende Kennzeichnung ist daher noch nicht der große Wurf, u.a. weil nur ein sehr kleiner Teil des Schweinefleischs einbezogen wird und mit Blick auf alle tierischen Produkte nur ein marginaler Teil verpflichtend gekennzeichnet werden soll. Der Gesetzentwurf ist jedoch von großer Relevanz, weil jetzt die Haltungsformen und Kriterien festgelegt werden, die in den nächsten Schritten auf andere Tierarten und Absatzwege übertragen werden. Das Gesetz wurde im Juni 2023 vom Bundestag beschlossen. Geplant ist, die Haltungskennzeichnung 2024 in die Praxis umzusetzen. 

Kennzeichnung bietet keine Orientierungsgrundlage und ist sogar verbrauchertäuschend

PROVIEH kritisiert, dass die Haltungsformen Verbesserungen suggerieren, die die Tierschutzorganisation als tierschutzwidrig ablehnt und zu verbieten versucht. So lehnt PROVIEH „Stall+Platz“ komplett ab. Diese Haltungsform suggeriert als Stufe über dem Mindeststandard eine deutlich verbesserte Haltung und illustriert außerdem deutlich mehr Platz, obwohl tatsächlich nur 12,5 Prozent mehr Platz gefordert sind. Das entspricht etwa anderthalb DIN-A4-Blättern mehr Platz für ein ausgewachsenes Schwein.

Die Haltungsform „Frischluftstall“ sollte zunächst als Offenfrontstall gestaltet sein und damit Ställe mit geöffneten Stallseiten umfassen, die jedem Tier den Blick nach Draußen, frische Luft und Außenklimareize ermöglicht. Tatsächlich ist in dieser Stufe jedoch nur ein Einfluss des Außenklimas im Stall gefordert und kein Zugang zu offenen Stallseiten für jedes Tier. Zudem ist auch in dieser Stufe die Haltung auf Vollspalten zulässig: Die Belastung durch Schadgase sowie fehlende Funktionsbereiche und weiche Liegeflächen gehen bei Schweinen mit großen Leiden einher. 

Die ersten drei Haltungsformen „Stall“, „Stall+Platz“ und „Frischluftstall“ muss PROVIEH daher als tierschutzwidrig ablehnen. Verbraucher:innen werden die Stufen zwei und drei jedoch als deutliche Haltungsverbesserung interpretieren. Aus Sicht des Tier- und Verbraucherschutzes ist das fatal. Leider müssen auch die zwei Premium-Haltungsformen stark kritisiert werden.

Die Stufe „Auslauf/ Weide“ vermischt die völlig unterschiedlichen und ungleichwertigen Haltungsformen der Stallhaltung mit kleinem betoniertem Auslauf und die Freilandhaltung. Zudem täuscht die Haltungsform mit der Bezeichnung und Inkludierung der Weide über die tatsächlich überwiegende Stallhaltung mit Betonauslauf hinweg. Für den Wandel hin zu artgemäßen Haltungsbedingungen braucht es unbedingt eine eigene Stufe für die Freilandhaltung. Denn nur die Haltung von Tieren im Freien auf Naturboden lässt alle artgemäßen Verhaltensweisen zu: Rinder, die weiden, Hühner, die scharren und Schweine, die im Erdreich wühlen.

Eine eigene Stufe „Bio“ für die ökologische Tierhaltung ist aus Sicht von PROVIEH fachlich nicht begründbar. Jeder konventionelle Stall, der den ökologischen Haltungskriterien genügt, ist eine gleichwertige Haltungsform, wird jedoch mit der höchsten Bio-Stufe als minderwertig dargestellt.

PROVIEH warnt vor Fehlstart im Umbau der Nutztierhaltung: PROVIEH warnt vor einem Fehlstart im Umbau der Tierhaltung. Denn die Haltungsformen im Kennzeichen sollen die Grundlage sein für zahlreiche andere Maßnahmen, wie zum Beispiel finanzielle Förderprogramme oder privilegierte Baugenehmigungen im Sinne der Transformation. Die Haltungsformen und zugrundeliegenden Kriterien sind dafür aber völlig unbrauchbar.

Fehlleitendes staatliches Kennzeichen: umfassende Aufklärungs- und Informationskampagne nötig

Die aktuell geplante staatliche Haltungskennzeichnung zementiert den tierschutzwidrigen Status-Quo und fällt als Transparenz- und Orientierungsgrundlage in Bezug auf Tierhaltungssysteme durch. Anders als bei der Eier-Kennzeichnung ist eine eindeutige Identifikation tierquälerischer Haltungsbedingungen von Schweinen auf Grundlage der Haltungskennzeichnung nicht möglich. Ein Auslisten dieser Haltungsverfahren durch Verbraucher:innen, Supermärkte und Außer-Haus-Verpflegung ist zwar möglich, aber sehr unwahrscheinlich.

Dieses fehlleitende und nicht verständliche Kennzeichen bedarf umfassender Aufklärungsarbeit, denn erste Umfragen zeigen, dass das staatliche Kennzeichen völlig missverstanden wird. Ohnehin plant die Bundesregierung eine Informationskampagne. Ähnlich wurde auch das deutsche Bio-Siegel mit einer großen Kampagne eingeführt. PROVIEH fordert für diese Kampagne nunmehr, dass sowohl mittels breiter Öffentlichkeitsarbeit als auch Informationen am Kaufregal die Haltungsformen eindeutig beschrieben und bewertet werden sollen. Der Gesellschaft muss der gigantische Haltungsunterschied zwischen den Stufen „Stall“, „Auslauf/Weide“ und „Bio“ eindeutig vermittelt werden. Andernfalls droht den Menschen in Deutschland mehr Intransparenz mit dem staatlichem Haltungskennzeichen als ohne. 

Anne Hamester

Hintergrundinfos finden Sie auf unserer Kampagnen-Webseite.

Dieser Artikel ist im PROVIEH-Magazin „Respektiere leben.“ 02-2023 erschienen.

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