Fragt doch mal die Pferde

Am 20. August war Welt-Pferdetag. An diesem internationalen Gedenktag soll das Bewusstsein für den Schutz von Pferden gestärkt werden. PROVIEH hofft, dass dadurch auch in diesem Jahr viele Menschen erreicht wurden und sich ein wachsendes Bewusstsein für die Bedürfnisse dieser wundervollen Tiere etabliert. Wir nehmen dieses Datum zum Anlass, um Grundsätzliches zur Haltung, zum Umgang und zum Tierschutz zu erläutern.

Von Tierschutzproblemen in Pferdehaltung und -nutzung

Wenn Pferde sprechen könnten, dann hätten sie ganz sicher eine Menge zu berichten. Von Überforderungen und Gewaltanwendungen in Ausbildung, Training und Turniersport bis hin zu Vernachlässigung und schlimmen Haltungs- und Fütterungsbedingungen. Obwohl wir heute mehr als je zuvor über die Bedürfnisse der Pferde und die Auswirkungen von falschem Reiten, Trainieren, Füttern und Halten wissen, leiden viele Pferde still.

Ein paar Zahlen

Ein Pferd krümmt seinen Hals aufgrund des Zaumzeugs
Foto: © Angelika Schmelzer

In Deutschland leben offiziell rund 1,25 Millionen Pferde und Ponys in Privatbesitz. Neben Zuchtstuten und –hengsten sowie Fohlen und Jungpferden, sind dies vor allem Pferde, die in unterschiedlichen Disziplinen im Sport- und Freizeitbereich geritten und zu einem Fünftel im Fahrsport eingesetzt werden. An die 2,32 Millionen Menschen in Deutschland reiten derzeit. 2022 wurden in Deutschland über 3.500 offizielle Pferdesportveranstaltungen mit insgesamt über 59.000 Prüfungen und über 1.11 Millionen Starts gezählt. Auf nahezu allen Reitturnieren sehen wir teilweise überforderte Pferde, mit Zaumzeug, welches Schmerzen verursacht, und schlecht ausgebildeten Reiter:innen auf ihren Rücken. Sowohl auf großen öffentlichen Veranstaltungen wie auch auf kleineren Turnieren. Und eines ist sicher: wir sehen hier nur einen kleinen Teil der Spitze des Eisberges. Pferde können nicht um Hilfe rufen und somit bleibt vieles verborgen.

Neben der eigentlichen Nutzung gibt es zum Teil umfangreiche Defizite im täglichen Umgang, der Fütterung und insbesondere auch der Haltung. Wissentlich und unwissentlich werden Pferden andauernd oder wiederkehrend vermeidbare Leiden und Schmerzen zugefügt. Nur einige wenige tierschutzrelevante Fälle kommen an die Öffentlichkeit und noch weniger Halter:innen werden zur Verantwortung gezogen. Der Rest bleibt unentdeckt und die Pferde leiden täglich weiter.

Bekannte Tierschutzfälle

Ein abgemagertes Pferd aus dem Tierschutzskandak Allwörden
© Foto: Privat

Im Sommer 2023 wurde Anklage erhoben gegen einen sehr bekannten Pferdezüchter aus Schleswig-Holstein. Bis zu 1000 und mehr Pferde aus seinem Besitz sollen im Landkreis Herzogtum Lauenburg zwischen Juni 2021 und Oktober 2022 zum Teil schweren Leiden und Schmerzen durch Unterlassen ausgesetzt worden sein. Es gibt Berichte, dass auch zum Zeitpunkt der Anklage nicht alle Unzulänglichkeiten ausgeräumt worden sind und mangelnde Hufpflege, Versorgung und nicht tiergerechte Unterbringung nach wie vor mindestens auf einen Teil der Tiere zutreffen. Manfred von Allwörden soll laut Anklage verantwortlich sein für den Tod von sechs Pferden. Presseberichten folgend handelt es sich sogar um 14 offizielle Opfer, die aufgrund fehlender Entwurmung letztendlich notgetötet werden mussten.

Ein weiterer Fall aus dem Landkreis Warendorf wurde im Winter 2023 publik. Hier quälte ein Stallbetreiber mindestens 15 Pferde durch das Schlagen/Stechen mit einer Mistgabel oder andauerndes Festbinden, sodass die Wasser und Nahrungsaufnahme für die Tiere unmöglich waren. Erst grauenvolle Videoaufnahmen von mutigen Zeugen ermöglichten es, den Verdächtigen zu überführen.

Abgebrochene Hufe eines Pferdes
© Foto: Privat

Pferdeschutz – was ist geregelt?

So vielschichtig Rassen und Nutzungsarten auch sein mögen, alle Halter:innen von Pferden und Ponys haben gegenüber ihren Tieren laut Tierschutzgesetz folgende Verpflichtung:

„Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.“

Pferde stehen eng gedrängt auf einer nassen Wiese
© Foto: Privat

Soweit das Gesetz. Und EIGENTLICH ist eine gute Pferdehaltung tatsächlich nicht schwer, wenn man sich an ein paar Grundsätze hält:

Pferde sind Fluchttiere, die sich in Herden ursprünglich einmal in Steppen- und Waldlandschaften bewegten und sich von Gras, Kräutern, Laub und Baumrinde ernährten. Ihr Bewegungsapparat ist für eine kontinuierliche Bewegung mit wiederkehrenden Pausen angelegt und als ausgesprochene Dauerfuttersucher darf ihr Magen nur ganz kurzen Zeitspannen ohne Futterzufuhr ausgesetzt werden. Aber unterscheiden sich die heutigen Pferderassen nicht sehr von den Wilden von damals? Nein, denn tatsächlich haben sich die ursprünglichen Instinkte und Lebensansprüche auch über die Jahrtausende nicht wegzüchten lassen. Jedes Pferd ist auch heute noch “im Herzen wild”.

Auf den Punkt gebracht, muss eine bedarfsorientierte Pferdehaltung grundsätzlich folgende vier Bedingungen erfüllen:

•            Soziale Kontakte zu Artgenossen

•            Viel Licht und frische Luft

•            Tägliche, mehrstündige freie Bewegung

•            Gutes Raufutter/ Gras mit maximal dreistündigen Fresspausen 

Diese Bedürfnisse nach einem Leben in der Herde, viel freier Bewegung an frischer Luft bei gutem, dem Energieumsatz der jeweiligen Rasse angepasster Futterversorgung, sollten also die verantwortungsvolle Pferdehalter erfüllen, um ihren Tieren ein akzeptables Pferdeleben zu ermöglichen.

Pferde in ihrer natürlichen Umgebung in einer Herde auf einer weiten Wiese
Foto: © Koniks/PROVIEH

Was Probleme im Umgang und beim Reiten, etc. angeht ist hervorzuheben, dass in aller Regel der Mensch falsch handelt, weil er dem Tier (meist unbewusst und unbeabsichtigt) falsche Signale setzt, sein Verhalten falsch deutet oder es schlichtweg überfordert. Richtiges, tiergerechtes und feines Reiten erlernt man nicht bei ein paar wöchentlichen Reitstunden. Es erfordert Geduld. Ebenso sollte für die Ausbildung des Pferdes viel Sachverstand, Geduld und Zeit eingeplant werden und die Individualität jedes Pferdes berücksichtigt werden. Übrigens: Forschungen haben ergeben, dass kein Pferd aus dem Ansinnen heraus handelt, sich vorsätzlich zu entziehen oder gar Reiter:innen zu ärgern oder ihnen bewusst zu schaden. Es liegt am Menschen, sich dies einzugestehen und sein Denken und Handeln zum Wohle von Mensch und Pferd zu wandeln.

Das Pferd im Recht

Pferde sind nicht wie bereits andere Nutztierarten in der Tierschutz-Nutztierhaltungverordnung berücksichtigt. Ergänzend zu den allgemeinen Anforderungen durch das Tierschutzgesetz wurden aber zumindest Regelwerke in Form zweier Leitlinien erstellt. In den “Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten” wie auch in den “Leitlinien zum Tierschutz im Pferdesport” sind die Anforderungen an eine akzeptable Pferdehaltung und -nutzung festgelegt. Die beiden Leitlinien sind aus Sicht der Tierschutzverbände und Forscher:innen lediglich als Minimalforderungen zu betrachten, die noch viel Luft nach oben lassen. Aber trotz der niedrigen Messlatte in Sachen Pferdeschutz erfolgt die Umsetzung der Leitlinien in Deutschland sehr unterschiedlich und leider häufig mehr schlecht als Recht. Zum einen akzeptieren die “Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten” von der Einzelhaltung in Boxen bis zur Offenstallhaltung in Gruppen alle Haltungsformen. Zum anderen erfolgen Haltungskontrollen sehr selten und oftmals erst Anlassbezogen, wenn bereits Verstöße gegen die Leitlinien oder das Tierschutzgesetz vorliegen.

Das Einzeltier im Blick

Ob Haltungsform Aktivstall, Paddock Trail, Offenstall, Einzel- oder Gruppenbox mit oder ohne Paddock, neben der Deckung der vier oben genannten Grundbedürfnisse, kommt es auch auf die Ausgestaltung und Umsetzung an. Nicht jeder Offenstall ist automatisch besser als eine zeitweilige Boxenhaltung. Weitläufige Weiden mit Schattenplätzen und im Winter gut befestigte Ausläufe mit Unterständen, Bewegungsanreizen, Ruhezonen, die passende Herdenzusammensetzung, ausreichende Liege- und Fressplatzanzahl (immer mehr als Pferde vorhanden) sowie ein gutes Futterangebot sind in jeder Haltungsform von großer Bedeutung. Die Tiere müssen die Möglichkeit haben, sich mehrere Stunden am Tag in allen Gangarten frei zu bewegen. Untersuchungen haben Strecken von drei bis acht Kilometern ergeben, die beispielsweise Boxenpferde tagsüber auf der Weide laufen. Also sind knietiefe matschige Weiden und Ausläufe ebenso unzumutbar wie kleine “Stehausläufe” ohne Futterangebot oder eine Boxenhaltung ohne tägliche freie Bewegung. In Gruppenhaltungen muss jedes Pferd stressfrei fressen und ruhen können. Eingliederungen in bestehende Herden sollten Schritt für Schritt erfolgen und die Tiere gut beobachtet werden. Bei all dem Wunsch nach “so viel Freiheit wie nur irgend möglich”, müssen Tierhalter:innen die einzelnen Individuen mit ihren speziellen Befindlichkeiten und sich daraus ergebenen Bedürfnissen im Blick haben. Denn für manche Pferde kann beispielsweise ein ruhiger, abgetrennter Bereich die Lebensqualität erheblich verbessern. Besonders ältere Pferde, benötigen mehr Zeit für die Nahrungsaufnahme und oftmals spezielles Futter. So können sie in aller Ruhe fressen und ruhen. Auch kranke oder rangniedrige Pferde können von einem Rückzugsraum und so erst möglichen Erholungsphasen profitieren. Hier kann eine zeitweilige Trennung, beispielsweise auf ein separates Stück Weide mit Sichtkontakt zur Herde oder auch (ausnahmsweise) eine Boxenhaltung beispielsweise über Nacht, tatsächlich pro Pferd wirken.

Im Zweifel immer pro Pferd

Zwei Pferde im sozialen Austausch
Foto: © Koniks/PROVIEH

Ebenso wie im Bereich der Haltung und Fütterung gibt neben den schon wertvollen “Leitlinien zum Tierschutz im Pferdesport” für Umgang, Ausbildung, Training und in Punkto Reiten und Fahren eine Vielzahl guter Wissensplattformen und Fortbildungsangebote. Dieses weitgefächerte Angebot sollte von allen Pferdefreund:innen eigenverantwortlich genutzt werden. Sämtliche Wissenslücken rund um die Grundbedürfnisse und den Umgang müssen eigeninitiativ geschlossen werden.

Somit heißt es in jeder Haltungsform und auch im Umgang genau hinzuschauen, alles einmal mit den Augen der Pferde zu betrachten und wenn nötig die Haltung pro Pferd anzupassen. Das Wohl der Pferde liegt in der Verantwortung des Menschen, nicht nur am Welt-Pferdetag, sondern an jedem einzelnen Tag.

Kathrin Kofent


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