Gesetzentwurf Haltungskennzeichnung:
Umstrukturierung der Haltungsformen unerlässlich
PROVIEH hat zum Gesetzentwurf der Haltungskennzeichnung im Rahmen der Verbändeanhörung offiziell Stellung genommen. In der jetzigen Form ist der Gesetzentwurf aus tierschutzfachlicher Sicht unzureichend und mangelhaft ausgestaltet. Der Erfolg der verpflichtenden Kennzeichnung steht aus Sicht von PROVIEH auf der Kippe. PROVIEH appelliert mittels der Stellungnahme an die politischen Entscheidungsträger:innen, sich für eine erfolgsversprechende und zukunftsweisende Form der verpflichtenden Kennzeichnung einzusetzen und hierfür folgende Änderungen am Gesetzentwurf vorzunehmen:
- Glaubwürdige Orientierung schaffen: „Stall“ durch „Stall+Platz“ ersetzen
- Haltungsform „Auslauf” und Haltungsform „Freiland” unterscheiden
- Konventionelle Tierhaltung nicht benachteiligen: Keine eigene Bio-Stufe
- Haltung des gesamten Tierlebens abbilden
- Haltungskriterien Stroh und Anteil Spaltenboden unerlässlich
- Haltungskennzeichnung auf verarbeitete Produkte und Gastronomie ausweiten
Was ist für die gesetzliche Tierhaltungskennzeichnung geplant?
Teil eins einer umfassenden Einführung
Die verpflichtende Haltungskennzeichnung soll für die wichtigsten Tierarten und Absatzwege eingeführt werden und mittelfristig für alle tierischen Produkte gelten. Die Einführung dieser Kennzeichnungspflicht wird in Einzelschritte aufgeteilt. Im ersten Schritt wird die Tierart Schwein mit dem Haltungsabschnitt der Mastperiode kennzeichnungspflichtig. Nur für diesen Lebensabschnitt werden im Gesetz fünf Haltungsformen herausgestellt. Die Dauer zwischen Geburt und Mast bleibt bislang außen vor. Im ersten Schritt gilt diese Schweine-Haltungskennzeichnung dann auch nur verpflichtend für Frischfleisch im Einzelhandel: von Supermärkten über Metzgereien über den Online-Versand. Erst zu einem späteren Zeitpunkt soll die Kennzeichnung dann für verarbeitete zusammengesetzte Produkte, wie zum Beispiel Wurstwaren und für andere Absatzwege öffentliche Verpflegungseinrichtungen, Restaurants und Hotels gelten. Die umfassende Einführung in Teilschritte aufzuteilen, ist ein sinnvolles Vorgehen. PROVIEH fordert jedoch, die weiteren Schritte der Einführung mit verbindlichen Zeitplänen schon jetzt im Gesetzentwurf zu verankern.
Wie soll die verpflichtende Haltungskennzeichnung dem aktuellen Gesetzentwurf nach aussehen?
Die verpflichtende Haltungskennzeichnung soll dem Gesetzentwurf nach fünf Haltungsformen enthalten. Die hinter dem Produkt tatsächlich stehende Haltungsform wird mit einem schwarzen Kästchen herausgestellt. Der QR-Code leitet zu einer Informationswebseite weiter, die über die jeweiligen Haltungsformen informiert. Hinter den Haltungsformen stehen – ausgenommen der Bio-Stufe – im Wesentlichen zwei Kriterien, das Platzangebot und die Öffnung des Stalls. Bislang wird nicht ersichtlich, dass sich die Kennzeichnung nur auf den Haltungsabschnitt der Mast bezieht.
Was taugt die Kennzeichnung aus Sicht des Tierschutzes?
Das Vorhaben ist im Grundsatz zu unterstützen, weil hierdurch mittelfristig alle tierischen Produkte verpflichtend eine Information über die Haltung enthalten und nicht nur Produkte mit freiwilligen Label-Systemen. Dieser verpflichtende Charakter ist mit Blick auf die Transparenz über tierische Produkte sehr zu begrüßen. Für PROVIEH ist dies seit Jahren ein wichtiges Anliegen.
In der jetzigen Ausgestaltung muss der Gesetzentwurf jedoch als mangelhaft und unambitioniert bewertet werden. Dies liegt an der Ausgestaltung der fünf Haltungsformen und daran, dass nicht die Haltung des gesamten Tierlebens, sondern nur die Dauer der Mast abgebildet wird. Daran schließt sich an, dass PROVIEH die verpflichtende Haltungskennzeichnung in der bislang geplanten Form aus tierschutzfachlicher Sicht nicht empfehlen kann.
Folgende Änderungen fordert PROVIEH am Gesetzentwurf
- Glaubwürdige Orientierung schaffen: „Stall“ durch „Stall+Platz“ ersetzen
Für den Erfolg der Kennzeichnung ist es unerlässlich, eine deutliche Abgrenzung gegenüber dem gesetzlichen Mindeststandard zu schaffen. Die erste höhere Stufe „Stall+Platz“ erfüllt diese Anforderung jedoch keineswegs. Schweine bekommen hier 20 Prozent mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard. Für ein ausgewachsenes Schwein sind dies lediglich 0,15 Quadratmeter. Einzelne Elemente wie zum Beispiel verschiedene Klimabereiche, Tageslicht, eine Kratzbürste oder Kontaktmöglichkeiten zwischen Buchten bieten zwar einen kleinen Mehrwert, ändern die Haltung aber nicht nennenswert.
„Stall+Platz“ darf keineswegs eine Stufe über dem Standard sein, weil sie zur Verbrauchertäuschung bei vermeintlich verbesserten Haltungsverfahren beiträgt. Stattdessen müssen die Anforderungen von „Stall+Platz“ schnellstmöglich zum neuen gesetzlichen Mindeststandard werden. PROVIEH fordert daher, Haltungsform „Stall“ zu streichen und als neuen Standard „Stall+Platz“ einzuführen. Als erste Stufe über dem gesetzlichen Mindeststandard sollte der „Frischluftstall“ folgen, der eine tatsächlich deutlich verbesserte und verständlich abgrenzbare Haltung von Schweinen darstellt.
- Haltungsform „Auslauf” und Haltungsform „Freiland” unterscheiden
Hinter der Stufe „Auslauf/Freiland“ stehen zwei unterschiedliche und aus tierschutzfachlicher Sicht vollkommen unterschiedlich wertige Haltungssysteme. Ein geschlossener Stall mit einem räumlich begrenzten Auslauf und eine weitläufige Freilandhaltung von Schweinen auf Naturboden mit einem Unterstand müssen unterschieden und in die zwei Haltungsformen „Auslauf“ und „Freiland“ unterteilt werden. Nur so folgt die Kennzeichnung ihrem Ziel, wesentliche qualitativ unterschiedliche Haltungsverfahren herauszustellen. Nur mit einer eigenen Stufe kann die Haltungsform Freiland gesondert honoriert und hiermit über den Markt gefördert werden.
- Konventionelle Tierhaltung nicht benachteiligen: Keine eigene Bio-Stufe
Haltungsform Bio entzieht sich vollkommen der Logik der Kennzeichnung: Nicht Haltungskriterien beziehungsweise ein bestimmtes Haltungsverfahren werden mit dieser Bio-Stufe abgedeckt, sondern einzig die zertifizierte Bio-Tierhaltung liegt dieser Stufe zugrunde. Konventionelle Betriebe mit einer gleichen oder gar anspruchsvolleren Haltung von Schweinen kommen immer nur in die zweithöchste Stufe „Auslauf/Freiland“ und werden somit benachteiligt. PROVIEH fordert, die Bio-Stufe zu streichen und konventionelle wie ökologische Haltungsverfahren entweder in die Haltungsform „Auslauf“ oder „Freiland“ einzusortieren.
Zusammenfassend ergeben sich sodann vier Haltungsformen entsprechend PROVIEHs-Modell:
- Stall+Platz
- Frischluftstall
- Auslauf
- Freiland
- Haltung des gesamten Tierlebens abbilden
Bislang bezieht die Haltungskennzeichnung für Schweinefleisch nur den Haltungsabschnitt während der Mast mit ein. Die Haltung zwischen Geburt und Masteintritt wird ausgeklammert. Und das wird im Produktkennzeichen nicht einmal klargestellt. Die gesetzliche Haltungskennzeichnung muss selbstverständlich die Haltung des gesamten Tierlebens abbilden, von der Geburt bis zur Schlachtung. Alles andere wäre Verbrauchertäuschung.
PROVIEH erkennt jedoch an, dass diese Abbildung des gesamten Tierlebens von Schweinen in einer höheren Haltungsform wie zum Beispiel „Frischluftstall“ aktuell noch eine große Herausforderung darstellt. Denn diese Haltungsverfahren sind in Deutschland rar gesät und müssen im Rahmen des Umbaus von landwirtschaftlicher Tierhaltung erst ausgebaut werden. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es erst wenige Schweine, die von Geburt an bis zur Schlachtung in den strengeren Haltungsverfahren gelebt haben. Für die Einführung der Kennzeichnung ist es daher ein akzeptables Vorgehen, für die Abbildung des gesamten Tierlebens eine Übergangsfrist einzuführen und in dieser Zeit nur den Haltungsabschnitt der Mast abzubilden. Spätestens 2025 muss jedoch die Haltung zwischen Geburt und Schlachtung den Haltungsformen zugrunde liegen. Dies muss im Gesetzentwurf verbindlich festgelegt sein.
- Haltungskriterien Stroh und Anteil Spalten unerlässlich
Im bestehenden Gesetzentwurf gründen die fünf Haltungsformen – ausgenommen der Bio-Stufe – im Wesentlichen nur auf den zwei Kriterien Platzangebot und Öffnung des Stalls. So soll die verpflichtende Kennzeichnung nur die übergeordneten Haltungssysteme von Schweinen unterscheiden und nicht wie freiwillige Label umfangreiche Haltungskriterien abbilden. Das zentrale und einzig zukunftsweisende Haltungssystem wird hiermit jedoch ausgelassen: die Haltung von Schweinen auf Stroh! Auch in den höheren Haltungsformen „Frischluftstall“ und „Auslauf/Bio“ ist die Haltung auf Vollspalten ohne eine abgetrennte und weich eingestreute Liegefläche zulässig. Dabei ist fachlich unumstritten, dass die Haltung in einer Zweiflächenbucht und auf Stroh für Schweine das einzige Stallhaltungsverfahren ist, indem sie ihre arteigenen Verhaltensweisen ausleben können. PROVIEH fordert daher, das Kriterium Stroh und den maximalen Spaltenanteil einer Bucht den Haltungsformen zugrunde zu legen und in den höheren Haltungsformen eingestreute Liegeflächen vorzuschreiben.
- Haltungskennzeichnung auf verarbeitete Produkte und Gastronomie ausweiten
Bislang bezieht sich die Kennzeichnung nur auf Frischfleisch im Einzelhandel. Drei Viertel des Schweinefleisches wird jedoch über die industrielle Verarbeitung und Gastronomie vermarktet. Die Haltungskennzeichnung erlangt folglich erst dann ihre Bedeutung als Orientierungsgrundlage, wenn sie für die wesentlichen Produkte von Schweinefleisch gilt. PROVIEH fordert daher, im Gesetzentwurf schon jetzt die weiteren Absatzwege von Schweinefleisch zu verankern und für diese verbindliche, schnellstmögliche Zeitpunkte für den Beginn der Kennzeichnungspflicht festzulegen.
Die Haltungsformen, die den Haltungsformen zugrundeliegenden Kriterien und das Abbilden der Haltung während der gesamten Lebensspanne entscheiden über die Qualität der Kennzeichnung als Orientierungsgrundlage wie auch als Gradmesser des Haltungsniveaus. PROVIEH fordert von den politischen Entscheidungsträger:innen, sich für die genannten Änderungen im Gesetzentwurf auszusprechen.
Anne Hamester
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01.09.2022
Weitere Informationen zur gesetzlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung finden Sie hier: