Mogelpackung Kombinationshaltung

Ausstieg aus der Anbindehaltung muss vollständig erfolgen! 

Die Anbindehaltung von Rindern ist hoch umstritten und ihr Verbot wird seit Jahresbeginn 2024 durch die Überarbeitung des Tierschutzgesetzes (TierSchG) in Fachkreisen verstärkt diskutiert. Denn obwohl deren Tierschutzwidrigkeit durch zahlreiche Gutachten sowie Stellungnahmen und untermauert durch Gerichtsentscheide bestätigt wurde, ist es gesetzlich zulässig, Rinder über sechs Monate angebunden aufzustallen. So leben rund 10,9 Prozent der Rinder (Jungrinder, Milchkühe und Mastrinder) in Deutschland in Anbindehaltung. Die meisten dieser Tiere werden in Süddeutschland, vor allem in Bayern, gehalten. Vorherrschend sind dabei Kleinbetriebe mit unter 50 Tieren. In anderen Bundesländern spielt die Anbindehaltung eine geringere Rolle. Dabei sind grundsätzlich zwei Varianten der Anbindehaltung zu unterscheiden: die ganzjährige und die als saisonal oder kombiniert bezeichnete zeitweise Anbindehaltung außerhalb der Weidesaison.  

Im Mai 2024 beschloss das Bundeskabinett einen Entwurf zur Überarbeitung des TierSchG. Er sieht das Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern vor (§ 2b Abs. 1 S.1 TierSchG). Dies wertet PROVIEH als ersten guten Schritt zum Wohle der Rinder. Bedauerlicherweise soll das Verbot erst zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes greifen. Zudem soll die saisonale/kombinierte Anbindung, in der „Wintersaison“ für Betriebe mit bis zu 50 Tieren dauerhaft erlaubt bleiben. Diese Regelung ist aus Sicht des Tierschutzes als untragbar und vollkommen inkonsequent zu bewerten.  

Während der Bauernverband die Zukunft zahlreicher Betriebe in Gefahr sieht, fordern Tierschützer:innen die Einhaltung der Versprechungen des Ampel-Koalitionsvertrages aus 2021 und somit das vollständige Verbot der Anbindehaltung. 

Belegte Tierschutzwidrigkeit  

Rinder legen naturgemäß auf weiten Weidegründen bis zu 13 Kilometer am Tag zurück. Charakteristisch ist die hierarchische Herdenstruktur aus bis zu 80 Tieren, welche Cliquenbildung sowie langjährige feste Freundschaften beinhaltet. Dabei regeln die Herdenmitglieder ihre Rangordnung mithilfe von Rangkämpfen. Als Distanztiere halten sie individuell und je nach Rang in der Herde zwischen 0,5 und 5 Metern Abstand zueinander. Arttypisch ist auch die besondere Form des Ablegens- und Aufstehens, welche beispielsweise durch einen Ausfallschritt und einen ausladenden Kopfschwung gekennzeichnet ist.  

In der Anbindehaltung sind nicht nur die genannten, sondern sämtliche artgemäße Verhaltensweisen beschränkt bis nahezu unmöglich und kommt es zudem zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen: 

  • Die allgemeine Enge und die Fixiereinrichtung am Hals verhindern das bequeme rindertypische Hinlegen und Aufstehen.  
  • Oftmals zu kurze und schmale, teils ungenügend eingestreute Stände verursachen schmerzhafte und gegebenenfalls entzündliche Verletzungen von Hinterhand und Euter. Sie behindern zudem das naturgemäß sehr ausgeprägte Wiederkäu-, Ruhe und Schlafverhalten.  
  • Zu beobachten sind insgesamt im Vergleich zu anderen Haltungsverfahren erhöhte gesundheitliche Beeinträchtigungen. Betroffen sind hiervon auch die Geschlechts- und Verdauungsorgane, Haut und Fell sowie der Stoffwechsel.  
  • Aufgrund des langfristigen Bewegungsmangels und unbequemen Liegens kommt es zu Muskelabbau, Fehlbelastungen von Klauen und Bewegungsapparat und dadurch zu weiteren Schäden und Leiden.  
  • Die Ammoniakkonzentration in Anbindeställen belastet die Lungengesundheit. Das herdentypische Sozialverhalten ist bis auf minimale Interaktionen mit dem unmittelbaren Nachbartier nicht möglich. So entfallen unter anderem die natürliche Individualdistanz wie auch die stabilisierend für das Herdengefüge wirkende gegenseitige Fellpflege und das Belecken wie auch Spielverhalten, Rangkämpfe und Erkundungsverhalten.  
  • Darüber hinaus werden weite Bereiche des Komfortverhaltens, beispielsweise durch das erzwungene Koten und Harnen, an einem festen Ort gestört und unterdrückt, wie beispielsweise das Kratzen an Gegenständen und das Aufsuchen sonniger oder schattiger Orte zur Thermoregulation.  
  • Zahlreiche Kühe müssen überdies sogar in Anbindung ihre Kälber gebären. Hier werden das naturgemäße Absondern von der Herde, die natürlichen Bewegungsbedürfnisse im Geburtsverlauf sowie die instinktive Versorgung des Kalbes vollständig unterbunden. 
  • Jungtiere sowie Mastbullen trifft die Anbindung besonders hart, da sie naturgemäß einen sehr ausgeprägten Bewegungsdrang haben.  

Die Anbindehaltung verursacht, vielfach wissenschaftlich untermauert und juristisch bestätigt, durch die oben ausgeführten deutlichen Einschränkungen des artgerechten Verhaltens ein hohes Maß an Leiden wie auch Schmerzen und Schäden. Da alternative Haltungsformen existieren, die deutlich geringere Belastungen für die Tiere aufweisen, sind dies vermeidbare Leiden, die den Tieren ohne vernünftigen Grund zugefügt werden.  

Aus den beschriebenen Fakten lässt sich ableiten, dass Rinder in Anbindehaltung entgegen § 2 Nr. 1 TierSchG nicht entsprechend ihrer Art und ihren Bedürfnissen angemessen untergebracht sind und ihre Bewegungsfreiheit entgegen § 2 Nr. 2 TierSchG rechtswidrig eingeschränkt ist.  

Saisonale Anbindehaltung bleibt Anbindehaltung 

Die saisonale beziehungsweise kombinierte Anbindehaltung – also Anbindehaltung in Verbindung mit kurzem Frei- oder Weidegang – ist aus Tierschutzsicht keine Alternative zur ganzjährigen Anbindehaltung: Die Freilaufzeiten sind je nach Region auf 90 bis 180 Tage begrenzt. Somit werden die Tiere mindestens 50 Prozent ihrer Lebenszeit angebunden gehalten. Das durch die Anbindung verursachte Leiden wird zwar dadurch zeitweilig gelindert. Dies rechtfertigt allerdings nicht, dass Rinder erhebliche Zeitspannen ununterbrochen in tierschutzwidriger Haltung fristen müssen. Denn außerhalb des Frei- beziehungsweise Weidegangs verursacht die Haltung in Anbindung über einen längeren Zeitraum Schmerzen, Leiden und Schäden (s.o.).  

Ausnahmen wie in der Biohaltung als Ausweg? 

Zur geplanten Ausnahmeregelung für Betriebe bis 50 Tiere ist klar zu sagen, dass diese als dauerhafte Lösung abzulehnen ist.  

Der Gesetzesvorschlag zum TierSchG übernimmt mit § 21 Abs. 1a S. 2 Nr. 2 eine Ausnahmeregelung der EU-Ökoverordnung (Anhang 1 Teil 2 Punkt 1.7.5. VO 889/2008), wonach Behörden auf Antrag genehmigen können: „dass Rinder in Kleinbetrieben angebunden werden, (…) sofern die Tiere während der Weidezeit Zugang zu Weideland gemäß Artikel 14 Absatz 2 und mindestens zweimal in der Woche Zugang zu Freigelände haben, wenn das Weiden nicht möglich ist“. Aus Tierschutzsicht ist diese Regelung keine annehmbare dauerhafte Kompromisslösung.  

Denn selbst ein zweimaliger Auslauf in der Woche bedeutet für die Rinder, dass sie über mindestens sechs Monate zu 97,6 Prozent ihrer Zeit stillstehen müssen, bei angenommen zwei Stunden je Auslauf. Dies führt unter anderem zu einem umfangreichen Muskelabbau und schwächt den gesamten Bewegungsapparat. In der gewährten „Auslaufzeit“ sind die Tiere zudem vor allem mit sich selbst oder Rangkämpfen beschäftigt: In der langen Zeit der Anbindehaltung fahren sie ihren Stoffwechsel herunter und werden sehr ruhig. Wenn sie dann auf einmal in den Auslauf getrieben werden, müssen sich Kreislauf und Muskulatur erst “warmlaufen”. Es kann zu punktuellen Überlastungen des Herz-Kreislaufsystems, des Bewegungsapparates und besonders bei rangniederen Tieren zu Verletzungen durch abrupte Bewegungen im Zusammenhang mit Rangkämpfen (Ausweichen, Flucht) kommen, wodurch zusätzlicher Sozialstress entsteht. Zudem ist der Auslauf in der Regel räumlich sehr begrenzt und bietet keine ausreichende Bewegungsmöglichkeit. Für eine optimale Rindergesundheit ist jedoch eine kontinuierliche, tägliche Bewegung essenziell.  

Somit wäre ein Haltungskonzept aus Anbindehaltung mit Freilauf lediglich sinnvoll, wenn dieser für die Rinder täglich, am besten zur selben Zeit, umgesetzt werden würde. In seiner Stellungnahme zur Tierschutznovelle führt PROVIEH diese Regelung als mögliche Übergangslösung bis zu einem vollständigen Verbot aus (siehe unten). 

Ausstieg nur vollständig sinnvoll 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine annähernd artgerechte Rinderhaltung nur durch ein ausnahmsloses, vollständiges Verbot der Anbindehaltung möglich ist.  

Bereits im Juni 2022 legte PROVIEH – bezugnehmend auf den Koalitionsvertrag – dem Bundeslandwirtschaftsministerium ein Positionspapier mit einem konkreten Fahrplan zum vollständigen Ausstieg vor. Diese Forderungen wurden anlässlich der Novelle des TierSchG – mit der darin geplanten Weiterführung der saisonalen/kombinierten Anbindehaltung – in einer umfangreichen Stellungnahme aktualisiert und verschärft (siehe dazu auch: www.provieh.de/legalisierte-tierqual-beenden)   

PROVIEH fordert als aus Tierschutzsicht einzig annehmbare Lösung die vollständige Abschaffung der Anbindehaltung in zwei Stufen: 

Zunächst muss ein Verbot für die ganzjährige Anbindehaltung innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten der Novelle des TierSchG wirksam werden. 

In einem zweiten Schritt muss ein Verbot der saisonalen Anbindehaltung mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren folgen.  

Für die Übergangszeit müssen rechtsverbindliche Mindestanforderungen zur Haltung und weitere Bestimmungen gelten:   

  • Zur Minderung der haltungsbedingten Belastungen und Schäden muss den Tieren über § 21 Abs. 1a S. 2 TierSchG hinaus unter anderem täglich mehrstündiger Zugang zu einer Weide oder einem geeigneten Freigelände gewährt werden, sofern Weiden nicht möglich ist.  

Umsetzung möglich machen – Betriebe unterstützen 

Für die rinderhaltenden Betriebe käme ein vollständiges Verbot nicht überraschend. Spätestens seit den Plänen zur Abschaffung der Anbindehaltung im Koalitionsvertrag war die Marschrichtung klar vorgezeichnet.  

Trotzdem fordert PROVIEH ausdrücklich die systematische größtmögliche Unterstützung der von einem Verbot betroffenen Betriebe, beim Umbau ihrer Haltungseinrichtungen, der betrieblichen Neuorientierung beziehungsweise Diversifizierung oder dem gegebenenfalls vorgezogenen Ausstieg aus der Tierhaltung. Betriebe dürfen keinesfalls allein gelassen werden. Das Ende der Anbindehaltung muss menschenfreundlich, betriebsindividuell und sozialverträglich gestaltet werden. 

Kathrin Kofent 

INFOBOX Leider wurde das Verbot der saisonalen Anbindehaltung als eines der Tierschutz-Kernanliegen der Fachausschüsse seitens des Bundestages im Juli 2024 abgelehnt. Der Bundestag wird das Tierschutzgesetz voraussichtlich noch in diesem Jahr verabschieden. PROVIEH setzt sich weiterhin vehement für eine umfassende Überarbeitung im Sinne des Tierschutzes ein:  Anbindehaltung sowie auch Qualzucht und Verstümmelungen müssen ein Ende haben. PROVIEH fordert das Ende der legalisierten Tierqual und ein TierSchG, das landwirtschaftlich genutzte Tiere endlich wirksam schützt.  

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Kampagnenseite „Legalisierte Tierqual beenden!“ und in unserer ausführlichen Stellungnahme zum TierSchG-Entwurf.

06.09.2024

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