Nach dem Verbot des Kükentötens

Wie geht es den männlichen Küken seit dem Verbot des Kükentötens?

Seit Anfang 2022 ist das Kükentöten in Deutschland gesetzlich verboten. Doch was bedeutet dies nun für die circa 45 Millionen Brüder der hierzulande gehaltenen Legehennen? Wurde den männlichen Küken durch das Verbot des Tötens nun ein gutes Leben geschenkt? 

Der Weg zum Verbot des millionenfachen Kükentötens 

Ein männliches Küken
Foto: © DenisNata/Adobe-Stock.com

Durch die einseitige Hochleistungszucht von Legehennen und Masthühnern setzen männliche Tiere der Legelinien nur wenig Fleisch an und legen natürlich auch keine Eier. Aus ökonomischer Sicht sind die männlichen Tiere daher nutzlos, sie werden aussortiert und in großen Brütereien mittels Kohlendioxids getötet. Rechtlich wurde diese Praxis jahrelang mit dem “vernünftigen Grund” laut §1 Tierschutzgesetz gerechtfertigt: Da die mageren Hähne nur ein „Beiprodukt“ der Legehennen sind, die 320 Eier und mehr im Jahr legen, sind sie wirtschaftlich nicht tragbar – ein vernünftiger Grund sie zu töten. Seit Jahrzehnten engagiert sich PROVIEH für die Abschaffung dieser grausamen Praxis und setzt sich politisch für die Küken ein. 

Seit 2015 sprach die Bundesregierung endlich konkret davon, das tierschutzwidrige Töten der Küken zu unterbinden. 2019 entschied das Bundesverwaltungsgericht Leipzig, dass dieses Verfahren nicht länger mit dem Tierschutz vereinbar sei: “Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten.“ Zum 01.01.2022 kam dann das Verbot des Kükentötens in Deutschland. 

Was passiert jetzt mit den männlichen Küken?  

Als Alternative zum Töten der männlichen Küken gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder müssen die Eier mit männlichen Embryonen nun vorher aussortiert oder die männlichen Küken als sogenannte Bruderhähne aufgezogen werden. In den Supermärkten fluten Kartons mit der Aufschrift “Ohne Kükentöten” und ähnlichem die Eierregale. Aber was genau steckt dahinter? 

Geschlechterbestimmung im Ei 

Bei dieser frühzeitigen Geschlechterbestimmung wird bereits im Ei festgestellt, ob es sich um ein männliches oder weibliches Küken handelt. Wird im Ei ein männlicher Embryo festgestellt, wird der Brutvorgang abgebrochen. Bei der zukünftigen Legehenne wird die Bebrütung fortgesetzt, so dass nach insgesamt 21 Tagen die Küken schlüpfen. Für die Geschlechterbestimmung im Ei gibt es bislang drei kommerziell einsetzbare Verfahren: Flüssigkeitsbasierte Verfahren an Bebrütungstag 9, Bestimmung der Gefiederfarbe an Bebrütungstag 13 (nur Braunleger) und Magnetresonanz-Tomografie am Bebrütungstag 12. Anlässlich eines Gutachtens der TU München zum Schmerzempfinden des Hühnerembryos sind alle Verfahren bis zum 12. Bruttag zulässig. Diese Methoden sind jedoch noch nicht ganz fehlerfrei und teilweise umstritten. Eine gewisse Fehlerquote bleibt und einige männliche Küken schlüpfen doch. Diese Fehlerhähne brauchen dann einen Platz um als sogenannte Bruderhähne aufgezogen und vermarktet werden zu können. 

Aufzucht der männlichen Küken 

Ein Hahn im Freien
Bruderhahn in Freilandhaltung © Foto: PROVIEH

Bei der Aufzucht der männlichen Küken handelt es sich um die sogenannte Bruderhahnaufzucht. Schon vor dem Verbot des Kükentötens gab es Initiativen, die sich für die Aufzucht der Bruderhähne stark gemacht haben. Besonders der Bio-Bereich setzt sich für die Brüder ein. So gibt es hier mittlerweile Anforderungen zur Haltung des Bruderhahns in der EU-Öko-Verordnung und immer mehr Höfe, die auch die Bruderhähne unter anspruchsvollen Öko-Kriterien aufziehen. Die beiden großen Öko-Verbände Demeter und Bioland waren hier unter den Ersten. Auch der Verein KAT für kontrollierte alternative Haltungsformen hat mittlerweile einen Leitfaden zur konventionellen und ökologischen Aufzucht der Bruderhähne erstellt. Die Bestimmungen zur Aufzucht der Bruderhähne sind wichtig, denn Bruderhähne sind keine Masthybriden sondern männliche Legehybriden. Sie zeigen ein anderes Verhalten, haben andere Bedürfnisse und brauchen demnach andere Haltungsbedingungen!  

Bruderhähne haben in der konventionellen Branche leider einen schlechten Ruf. Zu wenig Gewichtszunahme bei zu viel Futterverbrauch, dazu Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus, so die Vorurteile. Fortschrittliche und findige Betriebe beweisen das Gegenteil und das nicht erst, seitdem das Kükentöten verboten wurde. Vorreiter finden sich zum Beispiel in der Bruderhahn-Initiative Deutschland (BID): Wird der Bruderhahn entsprechend seiner Bedürfnisse und Verhaltensweisen gehalten, lässt er sich vernünftig aufziehen und zeigt keine Verhaltensauffälligkeiten – für PROVIEH eigentlich klar. Da der Bruderhahn aufgrund seines geringeren Gewichts nicht in gängigen Schlachthäusern für Masthühner geschlachtet werden kann, passiert dies häufig im Ausland, was für die Tiere lange Transportwege bedeutet. Ein Teil der Bruderhähne wird in Deutschland aufgezogen. Es kommt aber auch nicht selten vor, dass die männlichen Küken bereits als Küken ins Ausland, überwiegend Osteuropa, gehen. Dort werden sie teilweise unter tierschutzwidrigen Bedingungen aufgezogen, geschlachtet und als Billigfleisch weiter nach Afrika transportiert. Für den heimischen Geflügelmarkt in Afrika sind diese Billigimporte ein großes Problem. 

Die Vermarktung der Brüder in Deutschland ist nach wie vor schwierig. Das Fleisch sieht anders aus, schmeckt anders und der langbeinige Bruderhahn wirkt neben seinem dicken Verwandten eher unattraktiv im Kühlregal. Dadurch sind für die Bruderhähne verarbeitete Produkte wie zum Beispiel Baby-Gläschen das Mittel der Wahl. Insgesamt muss die Aufzucht des Bruderhahns eine Zwischenstation auf dem tiergerechten Weg hin zum Zweinutzungshuhn sein. Übergangsweise ist es wichtig sich für eine artgemäße Haltung stark zu machen. 

Folgen des Verbots 

Viele der Zucht- und Vermehrungsbetriebe haben sich allerdings mit dem Verbot des Kükentötens für einer weiteren Möglichkeit entschieden und das Brutgeschehen in andere Länder verlagert. Dort ist das Töten der männlichen Küken nach wie vor erlaubt. Die Abwanderung der Brütereien spiegelte sich auch in der Menge der geschlüpften Küken in Deutschland wider. Diese sank im Jahr 2022 um 45 Prozent. Im Jahr 2022 wurden daher fast 70 Prozent mehr Hühnerküken von Legelinien aus anderen Ländern nach Deutschland importiert als im Vorjahr. Im Zuge des Verbots erlaubt die Geflügelwirtschaft nicht mehr, dass vom KAT-System zertifizierte Legehennen aus Brütereien mit Kükentöten stammen. In Deutschland sind zwar viele Legebetriebe von KAT zertifiziert, jedoch nicht alle. 

Sei es die Abwanderung der Brütereien ins Ausland wo das Kükentöten weitergeht, oder der Export der männlichen Küken in andere Länder, wo sie dann entweder getötet oder als Bruderhähne unter teils tierschutzwidrige Umstände aufgezogen werden. Die Zeit seit dem Verbot des Kükentötens zeigt, dass sich das Leben der männlichen Küken nicht verbessert hat.  Die tierschutzrelevanten Probleme wurden einfach nur verlagert. Das Verbot des Kükentötens war ein wichtiger Schritt, aber das Problem der männlichen Küken ist damit noch nicht gelöst. 

Die Lösung – Das Zweinutzungshuhn 

Ein Lachshuhn
Lachshuhn, eine alte Hühnerrasse. Foto: © Simon Sven

Das Zweinutzungshuhn ist ein Huhn wie es ursprünglich einmal war. Ein Huhn was sowohl Eier legt, als auch Fleisch ansetzt. Die weiblichen Hühner werden als Legehennen gehalten, die Hähne werden aufgezogen und geschlachtet. Zweinutzungshühner haben eine moderatere Legeleistung als die Legehybriden, die auf Hochleitung gezüchtet sind und meist sind die Eier kleiner. Die Zweinutzungshähne wachsen zwar schneller als die Bruderhähne aus den “dünnen” Legelinien, aber langsamer als die herkömmlichen Masthybriden. Durch die geringere Leistung der Tiere sinkt auch das Risiko für leistungsbedingt Probleme unter der eine Vielzahl der Hochleistungshühner heute leiden. Die Ökologische Tierzucht gGmbH (ÖTZ) forscht schon lange an einem Zweinutzungshuhn der Zukunft für den Bio-Bereich. Denn die Aufzucht der Brüder oder das Aussortieren im Ei löst nicht die gesundheitlichen Probleme, die die Qualzucht der Legehennen und Masthühner mit sich bringt.  

Auch wenn es leider noch immer ein Nischenprodukt ist, ist und bleibt das langfristige Ziel, das robuste und gesunde Zweinutzungshuhn. 

PROVIEH zur Politik gegen das Kükentöten: Nichts Halbes und nichts Ganzes 

Die damalige Bundesregierung hat die Landwirtschaft im vor- und nachgelagerten Bereich schlicht hängen lassen und ihr Vorhaben zur Beendigung des Kükentötens nicht zu Ende gedacht. Ja, das Ende des Kükentötens war lange überfällig und aus Tierschutzsicht ein Muss. Dennoch hätten sich die Entscheidungsträger:innen folgende Fragen stellen müssen: Wie bestehen deutsche Landwirt:innen den Preiskampf? Wie schaffen die Brütereien die Umstellung? Wohin mit den Bruderhähnen? Nach welchen Vorgaben werden sie gehalten? Wo soll man sie schlachten lassen und wie werden sie vermarktet? Und vor allem: Wer kontrolliert diese Prozesse? Weil all diese Zusammenhänge und Folgen nicht bedacht wurden, fehlt es den Bruderhähnen an gesetzlichen Haltungsgrundlagen und Mindeststandards und das Kükentöten geht im Ausland weiter. Nach dem ernüchternden Start und den verlagerten Tierschutzproblemen ist PROVIEH nicht blind für die Konsequenzen, die der Alleingang Deutschlands für die Landwirt:innen und Co. bedeutet hat. Doch genau solche Schritte können wichtige Signalgeber für eine gemeinsame Europapolitik sein.  

Anja Höhne

31.05.2024

Infokasten: Was ist beim Einkaufen zu beachten?
Wählen Sie beim Einkauf Eier vom Zweinutzungshuhn oder achten Sie auf einen Hinweis zur Aufzucht der Bruderhähne. Allerdings ist ein sehr großer Anteil der Eier, die in Deutschland konsumiert werden, in verarbeiteten Produkten wie zum Beispiel Backwaren oder Mayonnaise enthalten. Für diese gibt es bisher keine klar geregelte Kennzeichnung bezüglich der Herkunft und der Haltung der Legehennen oder ihrer Brüder. Wählen Sie hier am besten Bio-Produkte aus.

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