Geht Dressur auch pferdefreundlich?

Interview mit Anja Beran über die Auswüchse im modernen Dressursport

Die Bilder und Videos, die derzeit in den sozialen Medien kursieren, sind für jeden Tierfreund schwer zu ertragen. Mit Hilfszügeln und Gummibändern malträtierte Pferde, Menschen, die samt diesen Verschnallungen auf die Tiere eindreschen, aufgerollte, heruntergezogene Hälse, blutende Mäuler, die Aufreihung lässt sich leider fortsetzen. Kurzum, selbst für Laien deutlich erkennbar: panische, ja geschundene Pferde. Die Hilfsmittel und Methoden, die bei vielen, bis in die hohen Klassen ausbildenden, Betriebe angewandt werden, schreien zum Himmel – ebenso wie die Pferde, wenn sie es denn könnten. Selbst die dem Pferdesport zugewandte Fachpresse greift das inzwischen tierschutzrelevante Thema auf und fragt sich, wie es soweit kommen konnte. Fakt ist: Mit umsichtiger Ausbildung und der eigentlich gewünschten Einheit von Mensch und Tier hat dies nichts mehr zu tun.

Eine der renommiertesten Ausbilderinnen für klassische Reitkunst sieht diese Entwicklungen schon seit langem sehr kritisch und vertritt dies, unter anderem in Vorträgen, Artikeln und in ihrem aktuellen Buch „Blickschulung“, engagiert nach außen. Anja Beran geht seit mehr als 30 Jahren einen anderen Weg und betreibt in Bayern einen Ausbildungsstall, der höchsten Grundsätzen folgt.

Liebe Frau Beran, Sie führen im Allgäu einen Dressurstall, der Pferde aller Rassen ausbildet. Worin besteht für den Laien auf den ersten Blick der größte Unterschied, bei Ihrer Art mit den Pferden zu arbeiten, im Vergleich mit einem sogenannten Sportstall?

Um die Frage zu beantworten, möchte ich erst definieren, was Dressur eigentlich ist. Dressur ist nichts anderes als Gymnastik. Wenn das Pferd viele Probleme hat, wird aus Dressur sogar Krankengymnastik. Warum braucht das Pferd Gymnastik? Weil wir unser Gewicht auf seinen Rücken platzieren, bringen wir das Pferd aus seinem natürlichen Gleichgewicht. Deshalb müssen wir den Rücken stärken, Muskulatur aufbauen und das Pferd in Balance bringen. Dies führt nun zur Antwort auf Ihre Frage: Bei uns geht es im Gegensatz zum Sportstall nicht darum, Lektionen zu üben, um zu gewinnen, sondern vielmehr führt die individuelle Gymnastizierung allmählich zu den hohen Lektionen und unser Pferd wird auf diesem Weg stärker, schöner und selbstbewusster. 

Der fehlende Wettbewerbsdruck erlaubt uns, langsam in der Ausbildung vorzugehen und jedem Pferd die benötigte Zeit zu gewähren. Dadurch ergibt sich eine ruhige und entspannte Arbeitsatmosphäre. Dies ist auch der Grund, weshalb wir auf Hilfszügel verzichten und keine Verspannungen im Pferdekörper erzeugen. Die tägliche Zusammenarbeit soll zur Freude beider, Pferd und Reiter, stattfinden. Unser Erfolg besteht in motivierten, gesunden Pferden, die bis ins hohe Alter fit bleiben. Wir haben zum Beispiel momentan viele Pferde hier, die zwischen 25 und 35 Jahre alt sind und sich in bester Verfassung befinden. Der Erfolg des Turnierreiters besteht im Siegen – das ist ein gravierender Unterschied! 

Selbstverständlich bilden wir Pferde verschiedenster Rassen aus und nicht wie in den modernen Dressurställen fast ausschließlich das für den Wettbewerb gezüchtete Warmblut. Jedes Pferd wird im Rahmen seiner Kapazität individuell gefördert und nicht wie im Sport oft üblich, ausgetauscht, wenn es den Anforderungen nicht genügt. 

Anja Beran auf Diego. Fast spielerisch wirken gymnastische Übungen wie Seitengänge und auch Piroutten.

Wie verlief Ihre Entwicklung vom konventionellen Reitsport, hin zum klassischen Ausbildungsweg?

Auch ich bin in jungen Jahren Turniere geritten. Das Pferd auszutauschen oder mehr Druck aufzubauen, wenn der Erfolg nicht eintrat, war für mich aber nie eine Option, es standen immer die Harmonie mit dem Pferd und das Wohl des Pferdes an erster Stelle. 

Eine Reise nach Portugal hat mir dann gezeigt, dass es anders geht. Dort wurde damals noch klassisch ausgebildet und nicht für den modernen Pferdesport. Auch dort gingen die Pferde alle hohen Lektionen, aber mit großem Ausdruck, Stolz und Leichtigkeit. 

Was ist der Ursprung der Dressur beziehungsweise welches Ziel verfolgte man, um einem Pferd diese doch sehr aufwendig erscheinenden Lektionen beizubringen?

Das ursprüngliche Ziel der Dressur war, ein Pferd zu reiten, das komplett im Gleichgewicht ist, da die Reiter in der einen Hand die Waffe führen mussten und mit der anderen die Zügel. Ein leicht manövrierfähiges Pferd, das auf feinste Hilfen reagierte, war überlebenswichtig. Ein Pferd das kräftig und in Balance war, blieb auch länger gesund und konnte dem Reiter viele Jahre dienen. Somit war die sinnvolle, aber zeitintensive Ausbildung eine nachhaltige Investition. 

Für die unbedarften Zuschauer erscheinen die Übungen oftmals etwas unnatürlich. Sind diese Bewegungsabläufe denn grundsätzlich pferdegerecht?

Klassisch arbeiten heißt der Natur des Pferdes zu folgen. Deshalb kommen keine Bewegungsabläufe vor, die das Pferd nicht auch in der Natur zeigt. Die Ausbildung macht sie lediglich unter dem Reiter abrufbar. Die Bewegungsabläufe sind fest im Pferd verankert. Der Hengst macht sich beispielsweise groß und zeigt stolz die Piaffe, wenn er der Stute imponieren will. Unter dem Reiter ausgeführt ist die Piaffe eine der Lektionen, die dem Pferd viel Kraft und gute Muskulatur beschert – deshalb nutzen wir sie.

Wichtig ist, dass man individuell auf die Pferde eingeht und ihnen die Zeit gibt, die sie brauchen.

Ist denn jedes Pferd gleich? Vermutlich bringen auch die Vierbeiner, wie wir Menschen, unterschiedliche Voraussetzungen mit. Physisch wie mental.

Das stimmt, natürlich ist nicht jedes Pferd gleich. Sie sind alle vom Körperbau, aber auch von der Koordination, Geschicklichkeit und Psyche extrem unterschiedlich. Das ist das Gute an einer naturorientierten Pferdeausbildung (klassisch), dass diese eben Rücksicht nimmt auf die körperlichen und mentalen Gegebenheiten eines jeden Pferdes. Das Pferd gibt den zeitlichen Rahmen seiner Ausbildung vor. 

Es heißt, dass das im Sport überwiegend eingesetzte Warmblut eine andere Reitweise beziehungsweise Einwirkung benötigt als beispielsweise das iberische Pferd. Kann das sein?

Die reiterliche Einwirkung hat nichts mit der Pferderasse zu tun. Im Sport stehen Messbarkeit und Präzision im Vordergrund, deshalb kommt es teilweise zu rüder Einwirkung. Eine sichtbare Hilfengebung wird weniger bestraft, als eine Ungenauigkeit in der Ausführung. Bei uns steht die unsichtbare Hilfengebung und die motivierte Präsentation der Lektionen mit höchster Leichtigkeit im Fokus – nicht das punktgenaue Abreiten der Übungen. Im besten Fall verschmelzen Pferd und Reiter zu einer Einheit und es wird Kunst und deshalb ist es aus meiner Sicht auch schwer, Dressur um die Wette zu reiten. Fazit: Ein deutsches Sportpferd kann in allen Lektionen ebenso mit feinster Einwirkung geritten werden, wie ein iberisches Pferd.

Was sagen Sie zu den aktuellen Bildern und Entwicklungen? Hätten Sie es für möglich gehalten, dass die Tierschutzverstöße derart eklatant sind? 

Diese Verstöße sind mit nichts zu rechtfertigen. Darauf müssten extreme Sanktionen folgen. Sperren für die Reiter und eigentlich auch für deren Pferde. Damit würden diese nämlich im Wert sinken, denn ohne permanente Turniererfolge fällt der Preis solcher Pferde erheblich und das Geschäftsmodell wäre damit zerstört. 

Ich hätte es eigentlich nicht für möglich gehalten, dass die Methoden und Tierschutzverstöße so extrem sind, aber Tendenzen waren erkennbar. Man sieht es an Ausdruck, Spannung, Dynamik und verfälschten künstlichen Bewegungsabläufen. Das Problem ist, dass die mangelnde Losgelassenheit und die extrem spektakulären Tritte, von der Richterschaft honoriert und somit zum angestrebten Ziel werden. Teilweise werden sogar die natürlichen Gangarten des Pferdes zerstört. 

Damit wird die klassische Reitkunst und die Gesundheit des Pferdes mit Füßen getreten! Diese artifiziellen Bewegungsmuster sind mit pferdegerechten klassischen Ausbildungsmethoden nicht zu erreichen! Deshalb wird zu Hilfsmitteln gegriffen und extremer Druck ausgeübt, so dass es inzwischen leider schon so weit gekommen ist, dass viele Ausbilder den natürlichen Weg gar nicht mehr kennen! 

Hat sich auch bei der Ausrüstung, wie zum Beispiel bei Zäumungen und Hilfszügeln, etwas geändert?

Exemplarisch für die moderne Ausrüstung ist das schwedische Reithalfter, mit welchem man den Pferden im wahrsten Sinne des Wortes „den Mund verbietet“. Ausgestattet mit einem Flaschenzug wird es so eng zugezurrt, dass die Pferde meist weder schlucken noch kauen können und deshalb auch ihr Unbehagen gegenüber einer rüden Reiterhand nicht mehr ausdrücken können – das gab es früher nicht! Im Gegenteil, vor rund einem halben Jahrhundert noch, war es ausdrücklich erwünscht, dass ein Pferd in den Dialog mit der Reiterhand tritt – es sollte „gesprächig“ sein. Das bedeutet, der Reiter gibt eine feine Hilfe mit dem Zügel und das Pferd antwortet durch leichtes Kauen und Nachgeben im Unterkiefer. Heute gibt es gehäuft blau angelaufene Pferdezungen oder Blut im Pferdemaul – das Schwedische Reithalfter und jedes zu enge Verschnüren sollte deshalb umgehend verboten werden.

Hilfszügel gab es schon immer. Wie der Name sagt, sollen diese dem Pferd helfen, eine bestimmte Haltung einzunehmen. Heute werden sie pervertiert und falsch eingesetzt; nämlich um das Pferd zu unterjochen und es in eine Haltung zu zwingen, in der es sich gegen die grobe Einwirkung des Ausbilders kaum noch wehren kann.

Wie sieht Ihrer Ansicht nach ein guter Ausbildungsweg eines Reitpferdes aus? Bis hin zu den schwierigen Lektionen wie Piaffe oder Passage?

Wie bereits gesagt, muss das Pferd den zeitlichen Rahmen bestimmen. Eine gute Ausbildung eines Dressurpferdes beginnt frühestens mit drei Jahren und dauert mindestens sechs, teilweise acht Jahre. Das Pferd soll auf dem Weg dahin immer stolzer, schöner und kräftiger werden und immer feiner mit dem Reiter kommunizieren. 

Was müsste nun nach all den Veröffentlichungen passieren und warum wurde so wenig von fachlicher Seite kritisiert? Eine tragende Rolle müsste doch hier auch der Verband der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) spielen.

Eigentlich müsste man sich jetzt dringend auf die Richtlinien für Reiterei besinnen, die ja existieren und korrekt formuliert sind. Nur klaffen seit einigen Jahren Theorie und Praxis immer weiter auseinander. Der Grund, warum von fachlicher und offizieller Seite so wenig unternommen wird, ist einfach: Deutschland ist immer noch die führende Reiternation und auch die führende Nation in der Pferdezucht! Was bedeutet, dass es keine Motivation gibt, am System etwas zu ändern. Es funktioniert und es fließt sehr viel Geld – das Pferdewohl bleibt jedoch auf der Strecke.

Wann glauben Sie in etwa ist der Dressursport „falsch abgebogen“ und warum funktioniert dieses System dennoch so gut?

Ich würde sagen vor ungefähr 30 Jahren. Er wurde immer mehr zum Spektakel, damit man ausreichend Sponsoren und Zuschauer gewinnt. Und wie oben schon erwähnt, funktioniert das System offensichtlich sehr gut.

Bei all den unschönen Entwicklungen, gibt es auch Positives zu sehen?

An der Basis gibt es immer mehr Reiterinnen und Reiter, die den Weg nicht mehr mitgehen wollen. Sie wollen, dass ihr Pferd gesunderhaltend trainiert wird und sie bis ins hohe Alter Freude an ihm haben. An der Basis regt sich deshalb zum Glück etwas. Leider ist hiervon im Spitzensport noch nichts zu merken. 

Mein Gesamteindruck ist: Das Pferd wurde immer mehr zum Sportgerät degradiert. Um die Akzeptanz der Reiterei in der Öffentlichkeit zu gewährleisten, muss das Wohl des Pferdes wieder Priorität haben. 

Liebe Frau Beran, ganz herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch und weiterhin viel Kraft für Ihre engagierte Arbeit!

Das Interview führte Edith Mews, PROVIEH-Regionalgruppe München.

https://www.anjaberan.de


Zwei „Happy-End“- Beispiele, welche auf dem Gut Rosenhof strandeten, weil sie nicht mehr „nutzbar“ waren, bei Frau Beran aber wieder zu neuem Glanz fanden.

Diego

Diego da Silva hatte Probleme mit dem Druck der Körung und Leistungsprüfung und wurde nach immer wiederkehrenden Schwierigkeiten zu Anja Beran gebracht, wo er schließlich ein „Für-immer-Zuhause“ gefunden hat.

„Dressur kann nicht nur pferdefreundlich, sie muss!“ (Anja Beran)

No Name

No Name wechselte als strahlender gekörter Hengst, 2,5 jährig, für einen sechsstelligen Betrag, über eine Auktion den Besitzer. Das viel zu frühe und harte Training, welches er bereits 2-jährig durchlaufen musste, hat ihm körperlich sehr zugesetzt, so dass er in den folgenden 2 Jahren stetig lahm war und seine erforderliche Leistungsprüfung nicht ablegen konnte und somit wertlos wurde. Die Anja Beran Stiftung konnte ihn schließlich für einen dreistelligen Betrag vor dem Schlachthof retten.


Negativbeispiele

Dieses Video zeigt Dr. Cesar Parra, Olympiareiter und Weltcup-Finalist – inzwischen von der FEI (Fédération Équestre Internationale, sinngemäß internationaler Reitsportverband) suspendiert.

Dem dänischen Dressurreiter Andreas Helgstrand wird Tierquälerei in mehreren Fällen vorgeworfen. Der Dänische Reitverband hat Helgstrand daraufhin bis Anfang 2025 gesperrt. Die Turniersperre für Andreas Helgstrand soll bis einschließlich 31. Dezember 2024 gelten, wie der Dänische Reitverband bekannt gab. Unterdessen könnte Helgstrand wegen Tierquälerei vor Gericht landen.

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