Mecklenburgs wilde Waldlandputen

Ein Einblick in die ökologische Putenhaltung

Daniel Willnat

Die Putenhaltung in Deutschland ist vor allem durch die konventionelle Haltung geprägt. Unter deren Bedingungen wird den Puten beispielsweise nach wie vor der Schnabel gekürzt und auch ein Auslauf ist nicht vorgeschrieben. Anders sieht es in der ökologischen Landwirtschaft aus.

Daniel Willnat, der Geschäftsführer der Freiländer Bio Geflügel GmbH, gibt einen Einblick in einen seiner Betriebe und stellte sich für ein Interview zur Verfügung. Unter anderem verwirklicht er das Projekt “Waldlandputen” bei dem die Tiere nach einer sechswöchigen Aufzucht komplett im Freien leben. Darüber hinaus hat der Betrieb auch zwei Bio-Putenställe mit jeweils knapp drei Hektar Auslauf. Der Betrieb hat 350 Hektar Ackerland und 200 Hektar Grünland rein ökologische Landwirtschaft.

Lieber Herr Willnat, welche Putenrasse halten Sie und wie groß sind die Gruppen?  

Wir halten fast ausschließlich Bronzeputen, mit denen wir seit vielen Jahren sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Sie sind sehr robust und sehr gut angepasst an die entsprechenden klimatischen Verhältnisse. Die Ställe, die wir dort haben, sind nicht isoliert aber die Bronzeputen haben damit auch im Winter kein Problem. Für die Aufzucht der Küken verwenden wir andere Ställe, die kleiner sind und wärmer. In den Aufzuchtställen stehen zu gleichem Verhältnis weibliche und männliche Tiere in getrennten Ställen. Wetterabhängig kommen die Puten dann mit sechs bis acht Wochen raus. Auch draußen halten wir die Tiere nach Geschlechtern getrennt. Das machen wir mit den Waldlandputen zweimal im Jahr. An anderen Standorten haben wir noch andere Bio-Puten, die wir kontinuierlich vermarkten.

“Draußen” bedeutet tatsächlich eine Auslauffläche im Wald?

Ja genau. Die Fläche mit dem altgewachsenen Wald beträgt ungefähr drei Hektar für 2.500 Bio-Puten und die andere Gehölzfläche am Waldrand beträgt ebenfalls drei Hektar für 2.500 Tiere. Im Bio-Bereich sind zehn Quadratmeter Auslauf je Pute vorgeschrieben, aber wir stellen viel mehr zur Verfügung. Auch die vorgeschriebene Besatzdichte von maximal 21 Kilogramm je Quadratmeter unterschreiten wir so. Die Hennen halten wir, bis sie 18 Wochen alt sind und etwa 8,5 Kilogramm wiegen.  Die Hähne ziehen wir 22 bis 23 Wochen lang auf, bis zu einem Gewicht von 18 Kilogramm. 

Diese Waldlandputen haben viel Platz.


Im Wald oder am Waldrand können die Puten ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen. Welches Beschäftigungsmaterial bekommen die Puten im Stall?

Die Ställe sind zum artgemäßen Aufbaumen mit erhöhten Ebenen ausgestattet. Da sind die Herden immer unterschiedlich drauf, manche nutzen die Ebenen wenig und in anderen Herden sitzen alle Tiere nachts oben – ganz individuell. 
Zur zusätzlichen Beschäftigung haben wir Material wie Rauffutterkörbe und Strohballen. Saisonal bekommen wir auch Hokkaidokürbisse. Das ist immer eine Freude zu sehen, wie die Puten sich mit denen beschäftigen. Aber die Pute will vor allem eines: Laufen. Sie ist ein Laufvogel. Wenn es morgens hell ist, gehen sie raus und nutzen tagsüber die gesamte Auslauffläche. Wenn es Sommer ist, machen wir die Ställe gar nicht mehr zu nachts. Wir haben Herdenschutzhunde bei den Puten, die mit aufpassen, so können die Tiere rein und rausgehen, wie es ihnen passt. Dann jagen sie Insekten, gehen ganz weit weg raus und erkunden die Außenfläche.

Wie unterscheidet sich die ökologische Putenhaltung von herkömmlichen Methoden der Putenhaltung? Und was sind die Vorteile der ökologischen Putenhaltung für den Tierschutz?

Unser Familienunternehmen war bereits ein ökologischer Betrieb, als ich eingestiegen bin. Ich bin aber auch persönlich von der ökologischen Landwirtschaft überzeugt, weil wir hier über Kreisläufe sprechen und über Wertschöpfungsketten. Bio-Tierhaltung ist sehr viel mehr als die reine Tierhaltung. Das geht schon auf dem Acker los. Wir benutzen keine Pestizide oder Unkrautvernichtungsmittel und je länger ich in der Landwirtschaft arbeite, desto mehr sehe ich, was das ausmacht. Bei konventionellen Flächen, die wir ab und zu übernehmen, sieht man ja kaum einen Schmetterling drüber fliegen und nach zwei bis drei Jahren ökologischer Wirtschaft sieht man dann, wie das Leben dorthin zurückkehrt – Schlangen, Hasen, Insekten und Vögel. Deswegen leistet Bio-Landwirtschaft einen großen Beitrag für die Artenvielfalt und verdient es in die Breite getragen zu werden. 
Die Tierhaltung ist schwieriger zu beurteilen. Ich kenne mich nicht aus in der konventionellen Tierhaltung und will mich in die Diskussion der Kollegen da nicht einmischen. Das ist nicht meine Welt. Ich maße mir da nicht an, zu sagen, ob es den Tieren mit 30, 35 oder 40 Kilogramm besser geht. Es ist zu einfach zu sagen konventionell ist schlecht und Bio ist gut. Es gibt bestimmt Kollegen, die konventionell im Rahmen des Möglichen ihre Tiere gut halten und genauso gibt es andere Bio-Landwirte, die schwarze Schafe sind und die Tiere nicht so halten, wie wir uns das wünschen.
Aber je weniger Tiere ich auf einer Fläche halte, desto besser geht es denen erst einmal und das ist der große Unterschied zwischen Konventionell und Bio. Ganz plastisch sieht man das am Thema Schnabelkürzen. Es gab in den letzten Jahren viele Projekte im konventionellen Bereich, bei denen versucht wurde, die Schnäbel dran zu lassen – meines Wissens war da keines von Erfolg gekrönt. Im Bio-Bereich halten wie seit 25 Jahren Puten mit intaktem Schnabel und das funktioniert extrem gut. Also Verhaltensauffälligkeiten wie Beschädigungspicken können einfach minimiert werden, wenn die Puten Platz und Beschäftigung haben und wenn sie ihr natürliches Herdenverhalten ausleben können. Auch unsere Tiere sind keine Wildtiere, aber wir ermöglichen ihnen die bestmögliche Auslebung ihres natürlichen Verhaltens. Ich bin ein absoluter Verfechter der Biohaltung, so sollte man Tiere meiner Meinung nach heutzutage halten.

Wie sieht ein typischer Tag in einem ökologischen Putenbetrieb aus?

Puten ruhen gern erhöht.

Ja, das ist eine sehr gute Frage und da gibt es eine einfache Antwort: Es gibt keinen typischen Tag. Ich habe von meinen Vorgängern am Anfang gelernt “jeder Durchgang ist anders” und das ist wahr. Jede Herde verhält sich individuell. Manche sitzen oben, manche unten, manche gehen gerne raus, andere nähern sich erst ganz gemächlich in den Auslauf. 
Aber vom Arbeitsalltag ist es so: Bei Sonnenaufgang, spätestens um 7 Uhr, machen die Mitarbeiter:innen den ersten Durchgang durch den Stall und schauen was los ist. Dann schauen wir, ob alles funktioniert und ob es den Tieren gut geht. Ganz wichtig ist natürlich, dass die Klappen aufgehen und die Tiere raus können. Es wird nachgestreut und eventuell mal etwas repariert. Mittags und abends gehen wir dann noch einmal durch die Herden. Unser Team arbeitet aber auch in anderen Bereichen in unserem Betrieb, da ist selten Leerlauf. Besonders arbeitsintensiv sind die Umstallungen der Tiere von der Aufzucht in den Maststall, aber wenn die Tiere sich umgewöhnt haben, läuft es wieder ruhiger.

Was macht Ihrer Meinung nach eine artgerechte Puten-Haltung aus?

Neben dem erwähnten Auslauf und dem Verzicht auf das Schnabelkürzen mit all den Aspekten, die dazu beitragen, liegt uns auch viel daran, die Tiere entsprechend gut zu ernähren. Wir haben eine Futtermühle in der Nähe von Leipzig, die für nahezu alle unsere Betriebe unser Bio-Futter herstellt. Alles, was wir anbauen, geht auch wieder ins Futter und zurück zu unseren Tieren. So schließen wir hier den Stoffkreislauf. Dabei haben wir dann auch Einfluss auf die Rezeptur und können eingreifen, falls irgendetwas nicht stimmt. Die Fütterung ist im Bio-Bereich die größte Herausforderung. Seit diesem Jahr ist die Verfütterung von tierischem Eiweiß zugelassen, hierbei ist natürlich das Kannibalismusverbot einzuhalten. Allerdings gibt es wenig Betriebe, die verschleppungsfreie Ware anbieten, das heißt bei der garantiert werden kann, dass das Eiweiß sicher nicht von Puten oder Hühnern stammt. Insektenmehl wäre ein hier ein Ansatz der spannend ist. Die konventionellen Kollegen lösen das Problem mit synthetischen Aminosäuren. Diese Möglichkeit haben wir Bios nicht, daher beschäftigt uns dieser Aspekt sehr. Im Freien jagen die Puten eigenständig mit viel Freude und Leidenschaft Insekten. Wir füttern außerdem Raufutter dazu. 

Wie wird sichergestellt, dass die Puten in einer ökologischen Haltung gesund bleiben?

Stets aufmerksam!

Sicherstellen kann man das natürlich nie. Man kann nur das Risiko minimieren, um die Tiere gesund zu halten. Die wichtigsten Faktoren sind hier Futter und Luft. Zwei Knackpunkte der Putengesundheit sind Atemwegserkrankungen und Darmerkrankungen, hier passen wir sehr genau auf. 
Die Fußballen halten wir durch genügend Einstreu gesund. Im Winter ist das schwieriger als im Sommer, da kann es dann sehr feucht werden. Hier muss man ein entsprechendes Management fahren, um das aufzufangen. Die Veterinäre am Schlachthof begutachten inzwischen genau die Fußballen der abgelieferten Puten und haben das im Blick.
Die Schwarzkopfkrankheit ist eine riesige Herausforderung, die man präventiv kaum verhindern kann. Die Puten fressen alles an Insekten, was draußen unterwegs ist und somit kann man eine Erkrankung nicht verhindern. Tritt die Krankheit auf, sind die Verläufe in den Herden sehr unterschiedlich: von kaum Mortalitäten und Anzeichen bei den Puten, bis hin zu Herden, in denen viele Tiere schwer betroffen sind und sterben. Wir sind zum Glück sehr lange von schweren Fällen verschont geblieben, aber leider gibt es immer wieder Partien im Putenbereich mit sehr hohen Verlusten durch Schwarzkopf. Unsere Mortalitätsraten waren die letzten Jahre insgesamt bei vier bis fünf Prozent bei den Hähnen und drei Prozent bei den Hennen.

Haben Sie Probleme mit Prädatoren, wenn die Puten im Auslauf sind?

Bei Prädatoren muss man ganz klar zwischen Hühnern und Puten unterscheiden. Hühner werden von so ziemlich allem angegangen, was unterwegs ist, sowohl aus der Luft als auch auf dem Boden. Puten verteidigen sich ab einem gewissen Alter selbst. Was wir in Mecklenburg-Vorpommern aber haben, ist der Seeadler. Dieser greift sich hin und wieder eine Pute, auch wenn sie schon vier oder fünf Kilogramm wiegt. Die Herdenschutzhunde sind eine Prävention gegen Landraubtiere, allein ihre Anwesenheit ist da sehr nützlich. Wir hatten hier noch keine Probleme mit Wölfen oder anderen Raubtieren.
Die Pute hat außerdem ein sehr ausgeprägtes Instinktverhalten, sie suchen sofort Schutz, und wenn der nicht da ist, rotten die sich zusammen und machen Theater. Die sind sehr widerstandsfähig, was das angeht.

Der Herdenschutzhund beschützt die Puten vor Landraubtieren

Was sind die größten Herausforderungen bei der ökologischen Putenhaltung?

Die bedarfsgerechte Fütterung, die Seuchenprävention für Krankheiten wie eben Schwarzkopf oder die Geflügelgrippe sind die größten Herausforderungen.

Was sind die wichtigsten Faktoren in der Haltung, wenn der Schnabel ganz bleiben soll?

Auch im Winter gehen Puten nach draußen.

Platz und Beschäftigung. Das lässt sich gut beantworten. Da gibt es bei uns auch keine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tieren. Unsere Gruppengröße von maximal 2.500 Tieren funktioniert ebenfalls wunderbar. Auch die Putenrasse spielt nach unseren Erfahrungen beim Verzicht auf Schnabelkürzen keine maßgebliche Rolle, wenn die Tiere bedarfsgerecht gehalten werden. So haben wir bei unseren Haltungsbedingungen keine Unterschiede gesehen, zwischen der weißen Putenrasse B.U.T. 6 und den Bronze-Puten. Wenn das Federpicken dennoch mal auftritt, sieht man die Verletzungen bei weißem Gefieder natürlich besser und das lockt die anderen Tiere an. Also ist es hier eine Herausforderung, dass schnell wieder in den Griff zu bekommen, bevor es in der Herde um sich greift. Als wir der aufgrund der Geflügelpest unsere Tiere aufstallen mussten, haben wir auch keine Probleme gehabt. Wir haben hier ja weniger als ein Tier pro Quadratmeter in den Ställen. Wenn wir die Tiere, die bereits draußen waren, aufgestallt lassen müssen und die an den Auslauf gewöhnt waren, ist das schon schwerer. Hier muss man dann mit dem Management aufpassen und die Tiere gut im Stall beschäftigen, mit ganz vielen unterschiedlichen Dingen und nach ein bis zwei Wochen geht das dann auch. Das ist wie bei Kindern, die im Sommer mal beim Regentag drinnen bleiben müssen.

Was muss das Ziel der ökologischen Putenhaltung für die Zukunft sein und wie kann es erreicht werden?

Grundsätzlich wollen wir den Anteil der ökologischen Landwirtschaft ausbauen. Wertschöpfungsketten sind aber nun mal eine Kette – die kann ich nicht drücken, sondern die muss gezogen werden. Das heißt die Kunden müssen da sein – beziehungsweise die Nachfrage muss stimmen. Alle Erzeugung nützt ja nichts, wenn es am Ende nicht gekauft wird. Auch bei den Kosten wäre es gut, wenn die wahren Kosten bei den Produkten abgebildet werden würden. Bio leistet mehr als gutes Fleisch zu erzeugen, wie ich schon gesagt habe.
Auch von den Regularien würde ich mir wünschen, dass sich einiges weiterentwickelt. Auch aus Tierwohl- und Nachhaltigkeitssicht würde ich mir wünschen, dass es in Zukunft einige Möglichkeiten mehr gibt, zum Beispiel in Hinblick auf synthetische Aminosäuren.

Wollen Sie noch etwas zu unseren Leser:innen sagen?

Ich glaube es ist ganz wichtig für uns alle, dass wir uns damit beschäftigen, was wir essen und dass wir bewusst essen. Auch wenn ich ein Unternehmer in der Fleischbranche bin, vertrete ich die Meinung, dass wir nicht jeden Tag Fleisch essen sollten, und wenn dann gutes Bio-Fleisch, dass auch hilft unseren ökologischen Fußabdruck kleinzuhalten.

Vielen Dank!

Das Interview führten Mareike Petersen und Ada Brandt

Fotos: © Daniel Willnat

25.04.2023


Mehr Informationen über Puten finden Sie auf unserer Kampagnenseite „Puten jetzt schützen!“

Zwei Puten im freiland
Foto: © ReichderNatur_AdobeStock

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