Zu viele Pillen für Sauen, Masthühner und Co?
Interview mit Tierarzt Dr. Rupert Ebner zum Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft
Dr. Rupert Ebner betreibt eine Tierarztpraxis für Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine und Neuweltkameliden (Kleinkamele ohne Höcker) in Ingolstadt. Er war Umwelt- und Gesundheitsreferent von Ingolstadt sowie lange Zeit Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer. Neben seiner Praxistätigkeit ist Dr. Ebner Buchautor, aktiv bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sowie in der Slow Food Deutschland Bewegung, und Mitinitiator der jährlichen „Wir haben es satt“-Demo in Berlin.
Herr Dr. Ebner, nach wie vor ist der Antibiotikaeinsatz in der „Nutztier“haltung sehr hoch. Dadurch werden Mängel der „modernen Landwirtschaft“ ausgeglichen. Ein Beispiel sind Hochleistungsmilchkühe. Sie können nicht mehr allein mit Gras ernährt werden, um die Energie für die Produktion unnatürlich großer Milchmengen aufzubringen und sehr häufig entgleist ihr Stoffwechsel, wenn nicht massiv mit Zusätzen und Medikamenten gegengesteuert wird. Was muss sich hier ändern?
Wenn Tiere so gezüchtet werden, und da spricht jetzt der Milchviehtierarzt, dass sie unnatürlich gefüttert werden müssen, dann ist das ein Widerspruch in sich. Die Zucht sollte nur Eigenschaften der Tiere weiterfördern, die ihre natürliche Physiologie berücksichtigt. Wir dürfen aus der Kuh kein Schwein machen. Die evolutionäre Bedeutung des Wiederkäuers und die Entwicklung des Pansens können wir nicht einfach ausklammern. Alles was wir in der modernen Fütterung machen, ist, diesen Pansen möglichst zu umgehen. Ganz wichtig ist also: Ein artgerechtes Leben ist für die Tiere nur möglich, wenn die Zucht ein Tiermodell entwickelt, in dem die natürlichen physiologischen Fähigkeiten des Tieres berücksichtigt und nicht überstrapaziert werden. Daran schließt sich dann konsequenterweise die Fütterung an.
Wie schätzen Sie die Situation beim Geflügel ein?
Momentan ist es so, dass gerade im Mastgeflügelbereich der kurze Darm des Huhns durch hochverdauliches Futter so überstrapaziert wird, dass geringste Fütterungsfehler zu Durchfällen führen. Und diese Durchfälle sind für den Landwirt existenzbedrohend und deswegen wird er, um seine wirtschaftliche Situation zu retten, auf ein derzeit sehr preiswertes und leicht verfügbares Antibiotikum wie zum Beispiel Colistin zurückgreifen. Man kann den Antibiotikaeinsatz nur senken, indem man Rassen züchtet, die bei geringeren Zuwächsen mit Futterrationen auskommen, die weniger Durchfälle verursachen, und so weniger Antibiotikaeinsätze nötig machen.
Sie sprechen in Ihrem Buch und in Ihren Vorträgen auch von Mogeleien, wo Antibiotika versteckt als Leistungsförderer angewendet werden.
Da gab es früher den Wachstumsförderer Monensin, für den es sehr niedrige Rückstandswerte für Milch und Fleisch gab. Heute sind Antibiotika als Wachstumsförderer verboten. Allerdings kehrte der Wirkstoff Monensin in die Tiermedizin zurück: als prophylaktischer Ketoseverhinderer (Anm. d. Red.: Ketose ist eine Stoffwechselkrankheit bei Milchkühen). Es darf in dieser Form, ohne die Möglichkeit für den Tierarzt eine Diagnose zu stellen, einfach direkt durch den Landwirt angewandt werden. Die Gabe erfolgt als Bolus sechs bis acht Wochen vor der Geburt mit 90-tägiger Depotwirkung. Obwohl Monensin antibiotisch wirksam ist, gibt es in dieser neuen Form der Anwendung keine Wartezeiten für den Verkauf der Milch und des Fleisches der behandelten Milchkuh, da die Rückstandswerte für den Wirkstoff inzwischen um ein Mehrfaches erhöht wurden.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler bei der Anwendung von Antibiotika in der Landwirtschaft und wo liegen die Gefahren?
Oftmals werden Antibiotika methaphylaktisch (quasi prophylaktisch) im gesamten Bestand gegeben. Das hat zwei Gründe. Man kann in einem Tausenderbestand das Einzeltier nur schwer gut beobachten und nicht isoliert behandeln. Ob die Antibiotika zur Gesunderhaltung, also als Therapeutikum verwendet werden, oder ob sie als Wachstumsförderer verabreicht werden, lässt sich im Einzelfall schwer nachvollziehen.
Richtig wäre der Einsatz eines Antibiotikums nach entsprechender Diagnostik und nicht „prophylaktisch“. Also wenig und das richtige und in der richtigen Dosierung. Wie derzeit bei Schwein und Geflügel üblich, über die Tränke oder Fütterung, ist es hoch problematisch, weil im Idealfall 50 Prozent über- oder unterdosiert wird (das sind gute Ergebnisse!), aber auch bis zu 90 Prozent-Abweichungen möglich sind. Denn die Dosiergenauigkeit ist einfach nicht gegeben, wenn man den ganzen Bestand behandelt. So steht das kranke Tier zum Beispiel nicht „gern“ auf, um zur Tränke oder zum Futter zu gehen. Somit sind die, die es am meisten brauchen bei vorgeschriebener Antibiotikadosierung häufig unterdosiert und der Bildung multiresistenter Keime sind Tür und Tor geöffnet. Würde man aber so behandeln, dass das kranke Tier wirksam dosiert wird, dann sind die gesunden Tiere im schlimmsten Fall stark überdosiert. Darüber hinaus erfolgt ein hoher Eintrag von Antibiotika über die Gülle auf die Felder und damit in den Nahrungsmittelkreislauf und das Grundwasser.
Was müsste sich also ändern auch in Hinblick auf die Bildung von multiresistenten Keimen?
Wichtig wäre ein sachgerechter Einsatz, also eine tierärztliche Diagnose, und dann müssen Dosierung und Anwendungsdauer so gestaltet werden, dass eine Resistenzbildung, wenn irgend möglich, vermieden wird. Bei den sogenannten Reserveantibiotika (in Bezug auf den menschlichen Gebrauch) ist eine klinische Untersuchung, also eine physische Vor-Ort-Diagnostik, durch den Tierarzt gesetzlich vorgeschrieben. Diese Regelung findet sich in der tierärztlichen Hausapotheken Verordnung (TÄHAV). Aber trotzdem werden Colistin und Makrolide – beides für den Menschen besonders wichtige Reserveantibiotika – in großen Mengen an „Nutz“tiere verabreicht und für die Anwendung auf Vorrat nach Diagnose durch den Tierarzt an die Tierhalter abgegeben. Für bis zu sieben Tage ist dies offiziell zulässig.
Bei allem darf man nicht außer Acht lassen, dass Bakterien unserem Knowhow weit überlegen sind. Es werden immer welche überleben. Aber man kann den Prozess beschleunigen oder durch gezielte Maßnahmen – einem maximal reduzierten und sachgerechten Einsatz – drastisch reduzieren.
Es wird oft argumentiert, dass Großbetriebe einen besonders hohen Medikamenteneinsatz haben. Stimmt das?
Ja, dazu gibt es eindeutige Zahlen. Insgesamt müssten die Bestandsgrößen drastisch gesenkt werden. Bei tausenden Tieren pro Stallabteil, wie im Geflügelbereich, ist keine Einzeltierentnahme und Behandlung möglich. Hier wird ein Problem unter Umständen erst erkannt, wenn es zu spät ist. Aber kleinere Stalleinheiten/Gruppen würden es wieder erlauben, die Tiere besser zu beobachten und „prophylaktische“ Gaben verhindern. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch der Betreuungsschlüssel Tiere pro Arbeitskraft. Im Rinderbereich sollte beispielsweise eine Vollzeitkraft pro 50 Milchkühe nie unterschritten werden. So ließen sich gesundheitliche Probleme erkennen und viel Tierleid könnte vermieden werden.
Wenn Sie zusammenfassend drei zentrale Botschaften nennen sollten, welche wären das?
- Wenn wir weder Zucht noch Fütterung im Auge behalten, dann kann es keine akzeptable Tierhaltung geben, die den Tierschutzvorstellungen, also einer annähernd artgerechten Haltung, entsprechen.
- Ohne dass man die Rolle der Tierärzte betrachtet, wird sich nichts ändern. Die derzeitige Standesvertretung der Tierärzte steht in großer Abhängigkeit von der Pharmaindustrie und vom Bauernverband. Es ist keine klassische Korruption, aber es kommen zum Beispiel Sponsorengelder zur Finanzierung eines Tierärztetages und das ermöglicht so niedrigere Kosten für die teilnehmenden Tierärzte. Die Programme und Fortbildungsthemen können so nicht unabhängig gestaltet werden. Das muss sich ändern! Auf der anderen Seite ist zum Beispiel der Bundesverband Praktischer Tierärzte Mitglied im Forum Moderne Landwirtschaft. Dort sitzen Konzerne wie Bayer und Monsanto, also alle, die das Tierwohl in der Landwirtschaft nicht wirklich wollen, da sie im jetzigen System gut verdienen. Tierärzte dürften hier nur als Beobachter dabei sein und nicht als Mitfinanzierer.
- Das Dispensierrecht, also die gesetzliche Erlaubnis, Arzneimittel herzustellen, zu lagern, abzufüllen und zu verkaufen, ist für Tierärzte problematisch, solange die großen Tierarztpraxen die Betriebe in einem weiten Einzugsgebiet über Landes- und sogar Bundesgrenzen hinaus „behandeln“, sprich mit Medikamenten versorgen. Festpreise würden den Verbrauch mit Sicherheit senken, denn derzeit verdienen spezialisierte Tierarztpraxen über die Menge durch ein unsägliches Rabattsystem. Des Weiteren muss der Arzneimittel abgebende Tierarzt in vertretbarer Zeit den Betrieb aufsuchen können (30 Minuten Entfernung), damit eine Erfolgskontrolle und Bestandsbetreuung wirklich möglich sind. Laut der TÄHAV muss der Hof-Tierarzt (hier bräuchte es eine verbindliche Definition) eine Erfolgskontrolle seiner Antibiotika Verschreibung durchführen. Diese muss durch einen Besuch im Bestand erfolgen und die Tiere müssen erneut begutachtet werden. Aber ob diese Regelung wirklich eingehalten wird, wird nicht wirklich kontrolliert.
Vielen Dank!
Das Interview führte Kathrin Kofent
Buchvorstellung: Pillen vor die Säue –
Warum Antibiotika in der Massentierhaltung unser Gesundheitssystem gefährden
In ihrem Buch »Pillen vor die Säue« reden Rupert Ebner und Eva Rosenkranz Klartext: über »Schweinereien« in Intensivmastanlagen und Schlachtbetrieben – und über unser nicht zukunftsfähiges Agrarsystem. Denn der immense Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung vermehrt nicht nur das Leid der Tiere, sondern gefährdet auch unsere eigene Gesundheit und unser Leben.
»Wissenschaftler, Mediziner und Gesundheitsorganisationen weltweit sind seit Jahren alarmiert: Zu den wesentlichen Treibern bei der Entwicklung sogenannter Killerkeime gehört die derzeit vorherrschende Landwirtschaft, in der Antibiotika als Betriebsmittel in Tonnen gerechnet werden. Die Resistenz von Bakterien schreitet daher weltweit so schnell voran, dass wir uns mit der größten Gesundheitskrise unserer Zeit konfrontiert sehen«, beschreiben Ebner und Rosenkranz die Lage. Denn ohne die bisherige Wunderwaffe Antibiotika in Tropf und Tablette würden Operationen riskant und selbst kleine Infektionen potenziell lebensgefährlich. Sie rufen ein lautes STOP in die Welt der industriellen Landwirtschaft und nicht erst am Schluss des Buchs wird jeder erkennen: So darf es nicht weitergehen. Denn eines steht fest: Am Ende werden die Mikroben immer das letzte Wort haben.
»Pillen vor die Säue« erläutert Zusammenhänge, benennt Tatbestände und zeigt auf, was jetzt zu tun ist – für mehr Tierwohl, gesunde Menschen und eine intakte Umwelt.
Titel: Pillen vor die Säue. Warum Antibiotika in der Massentierhaltung unser Gesundheitssystem gefährden
Autoren: Rupert Ebner, Eva Rosenkranz.
Erscheinungsjahr: 2021, 256 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-96238-206-3. 20 €
Linktipp: „PILLEN VOR DIE SÄUE“ KÖNNEN WIR UNS DIE INTENSIVTIERHALTUNG NOCH LEISTEN?“ Podiumsdiskussion mit Dr. Rupert Ebner, Autor von „Pillen vor die Säue“/ Dr. Madeleine Martin, Tierschutzbeauftragte des Landes Hessen/ Dr. Kathrin Goebel, Hofgut Oberfeld. Moderator Dr. Georg Horntrich
Veranstaltungsbericht
Unter anderem mit Dr. Rupert Ebner