Veranstaltungsbericht

„Pandemien, Antibiotika und Tierschutz in der industriellen Intensivtierhaltung: Irrwege und Auswege“   

Welche Gefahren und Probleme bringt die industrielle Intensivtierhaltung aktuell mit sich? Und wie sieht im Gegensatz dazu eine zukunftsfähige, gerechte und sichere Tierhaltung orientiert am Wohle von Mensch, Natur und Tier aus? PROVIEH hat mit Fachexpert:innen, Politik und Gästen diskutiert und Antworten gefunden. Von Pandemien über Antibiotikaresistenzen hin zu struktureller Tierqual – im Rahmen der Veranstaltung wurden am 22.11.2022 grundsätzliche Irrwege aktueller „Nutztier”haltung benannt und Auswege aufgezeigt. Die erste im politischen Berlin stattfindende Veranstaltung läutet PROVIEHs 50-jähriges Jubiläum ein: Seit 1973 setzt sich die Organisation durch die Unterstützung von Mitgliedschaften und Spender:innen unermüdlich für landwirtschaftlich genutzte Tiere ein. Im Folgenden lesen Sie spannende Zitate und zusammengefasste Positionen der anwesenden Diskussionsteilnehmenden:   

Jens Tuider, Leiter und Berater der Geschäftsführung, ProVeg International  

Dr. Rupert Ebner, praktizierender Großtierarzt und Buchautor „Pillen vor die Säue“   

Anne Hamester, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft, PROVIEH e.V. 

Prof. Dr. Dr. Markus Schick, Leiter der Abteilung Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft  

Moderation: Dr. Tanja Busse  

von links nach rechts: Dr. Tanja Busse, Jens Truider, Anne Hamester, Dr. Rupert Ebner, Prof. Dr. Dr. Markus Schick (digitale Teilnahme)

Den Auftakt zur Veranstaltung machte die Pionierin für Tierrechte und Verhaltensforschung Dr. Jane Goodall. In einer Videobotschaft wies sie auf die Bedeutung der Thematik und die Dramatik der damit verbundenen Leiden von Tieren, Umwelt und Klima hin. Danach folgten die Redebeiträge der Diskussionsteilnehmenden.

Videobotschaft von Jane Goodall und Mitschnitte der Veranstaltung:

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Tierprodukte ohne Tiere – Jens Tuider von ProVeg International 

„Die industrielle Intensivtierhaltung ist verantwortlich für 75 Prozent der Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen”, steigt Jens Tuider (ProVeg International) in seinen Vortrag ein. Zoonosen, das sind Infektionskrankheiten wie Covid 19, die durch Viren verursacht werden und wechselseitig zwischen Menschen und Tieren übertragen werden können. Diese entstünden erst, weil wir Tiere als Nahrung nutzen wollen. Weitergehend beschreibt Tuider, inwiefern die Strukturen landwirtschaftlicher Tierhaltung den idealen Nährboden für den Ausbruch von Zoonosen begünstigen:   

„Ganz viele Individuen, die genetisch sehr ähnlich sind, leben extrem gestresst auf engstem Raum zusammen. Durch ihre Lebensbedingungen sind sie anfällig für Krankheiten und gleichzeitig sind ihre Immunsysteme heruntergefahren. Das ergibt einen extrem guten Nährboden für die Entwicklung und Entstehung, sowie Verbreitung von Pathogenen. (…) Es gibt zahlreiche Zoonosen, die im Zusammenhang mit unseren Ernährungsgewohnheiten entstanden sind: von der Vogel- und Schweinegrippe über Ebola und jetzt auch COVID 19. Es existiert eine lange Historie von Zoonosen und das, weil wir unbedingt Tiere als Nahrung nutzen wollen.“  

Laut Prognosen werde in den kommenden Jahren weltweit ein steigender Bedarf an tierischen Produkten vorherrschen und damit würden vermehrt immer gefährlichere Pandemien auftauchen, betont Tuider die erschreckenden Zusammenhänge. Gleichzeitig töteten multiresistente Keime im Zusammenhang mit aktueller Tierhaltung viele Millionen Menschen. Denn statt zur Heilung menschlicher Erkrankungen würde der Großteil der Antibiotika in der Tierzucht eingesetzt, um die dort vorherrschenden schlechten Bedingungen auszugleichen und zudem die Nebenwirkung von beschleunigtem Wachstum in Kauf zu nehmen. Laut ProVeg ist die Lösung, die Tierhaltung zu beenden und eine Ernährungswende hin zu praktikablen Lösungen auf der Basis pflanzlicher und fermentierter Produkte zu erreichen. 

„Was müssen wir also tun? Wir müssen alternative Produkte beispielsweise zum Steak finden und die Tierhaltung, die das Problem darstellt, aus dem Rennen bringen. Alternativen können pflanzenbasiert sein oder durch Fermentationsverfahren hergestellt werden. Das heißt: Tierprodukte ohne Tiere“, so Tuider.  
ProVeg International strebt eine Reduktion des Tierkonsums um 50 Prozent bis zum Jahr 2040 aus verschiedenen Gründen an: dem Klimawandel, der Biodiversitätsverluste, der Ernährungsgerechtigkeitsprobleme und dem Welthunger. Da zu erwarten sei, dass aufstrebende Nationen der Welt nordeuropäischen Ernährungsstandards immer näherkommen und näherkommen wollen, sei davon auszugehen, dass in Zukunft zehn Milliarden Menschen mit tierischen Produkten zu ernähren seien. Die Weidehaltung allein sei daher nicht die Lösung für alle Probleme, auch müssen sich nicht mehr Menschen vegan ernähren. Es werde ein breites Lösungsspektrum gebraucht. Das schließe zum einen die natürliche pflanzliche Ernährung mit ein, aber auch pflanzliche Alternativen zu Tierprodukten als Brückentechnologie. Der Schritt vom Rindersteak zum Sojasteak sei schließlich kleiner und funktioniere einfacher als vom Rindersteak zum Rohveganismus. Sonst habe man das Problem, dass Menschen wieder “rückfällig” werden. Daher brauche der Markt ein breites Spektrum aus zellkultivierten Alternativen und Fermentationsverfahren zur Herstellung tierischer Produktalternativen. Sicherlich könne darin auch eine Weidehaltung in einem sehr anspruchsvollen Sinne einen integralen Bestandteil ausmachen. Aus tierethischen Gesichtspunkten müsse diese aber mit sehr hohen Standards einhergehen, vor allem was das Tierwohl anbetrifft, schließt Tuider seinen Beitrag.  

Das Post-Antibiotische-Zeitalter – Tierarzt Dr. Rupert Ebner 

Dr. Rupert Ebner ist Autor des Buches „Pillen für die Säue“ und bekannt für den Satz „Wir riskieren ein Post-Antibiotisches-Zeitalter“. Dr. Rupert Ebner kritisiert den übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung. Tiere stünden den Großteil ihres Lebens unter dem Einfluss von Antibiotika. Diese würden quasi als Betriebsmittel herausgegeben, wie Wasser oder Futtermittel. Der Einsatz müsse eingeschränkt werden. Der Nutzen und die Dosis seien bisher nicht ausreichend untersucht. Mehr scheint es, als werde Antibiotika als Wachstumsbeschleuniger eingesetzt. Die Rolle der Tierärzte, die das Antibiotika leichtsinnig rausgeben, sei zudem fragwürdig.   

„Meine zentrale Botschaft: Antibiotika sind nicht mehr dafür da, schicksalhaft Erkrankende zu bekämpfen, sondern Antibiotika wird in der industriellen Nutztierhaltung mehr wie Wasser oder Futtermittel eingesetzt. Nur 12 Prozent aller Kälber werden nicht sofort mit Antibiotika behandelt. Viele Tiere wurden im Laufe ihres Lebens mehrfach behandelt. Die tägliche Dosis muss sich dringend verändern“, fordert der praktizierende wie aktivistische Großtierarzt. 
Dr. Rupert Ebner wertschätzt die vegane Bewegung, ohne die „die Dinge nicht in Gang gekommen wären“. Doch 60 Prozent der Weltagrarflächen seien Weiden und diese Weiden völlig zu vernachlässigen und nur auf vegane Ernährung umzustellen, davon könne man nicht ausgehen. Stattdessen sei eine Tierhaltung gefordert, die nicht in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung stehe. Schweine und das Geflügel seien vor diesem Hintergrund relativ überflüssig. Eine vernünftige Weidehaltung und Landwirtschaft müsse darüber hinaus das Image verlieren, dass sie klimaschädlich sei. Landwirtschaft wäre in der Geschichte nie klimaschädlich gewesen. Erst unsere Landwirtschaft habe Landwirtschaft klimaschädlich gemacht. Eine gute Weidehaltung führe dazu, das CO2 Speicher aufgebaut würden. Wenn man schon Fleisch essen wolle, sei das Rindfleisch von der Weide immer noch das Beste. Denn im Vergleich zum Geflügel könnten von einem ausgemästeten Ochsen schließlich tausend Leute ein kleines Fleischstück essen und es müsse nur eine Kreatur sterben. 

„Nutztiere“ gehören auf die Weide! – PROVIEH-Referentin Anne Hamester 

„Nicht nur PROVIEH, sondern auch die Wissenschaft belegt seit Jahrzehnten in aller Eindeutigkeit, dass Tiere in der Landwirtschaft tierartübergreifend, erheblich, strukturell und alltäglich an ihrer Haltung, an der Zucht, an Transport und Schlachtbedingungen und dem fehlenden Gesundheitsmanagement leiden”, bringt Anne Hamester den fehlenden Tierschutz auf den Punkt. Tiere und deren Bedürfnisse müssten im Mittelpunkt der Unterredung über die Zukunft der Tierhaltung und der aktuellen Transformation stehen.  
„In der klassischen Schweinehaltung leben etwa 95 Prozent der 22,5 Millionen Schweine in Deutschland völlig eingepfercht auf Beton, auf Vollspaltenboden, in und über ihren eigenen Exkrementen. In solch einer Enge können sie ihr Bewegungs- und Spielverhalten keineswegs ausleben und auch ihr natürliches Verhalten, Funktionsbereiche (im Stall) zu unterteilen nach ruhen, fressen, spielen und natürlich auch koten und urinieren ist nicht möglich”, kritisiert die PROVIEH-Referentin den Status Quo.  

PROVIEHs Vision der Tierhaltung in der Zukunft entspricht der vollständigen Freilandhaltung. Nicht nur Milchkühe, sondern auch Mastrinder, Schweine, Legehennen, Puten und Masthühner gehören nach draußen auf die Weide. Der am Stall angeschlossene Auslauf darf nicht das Zielbild sein. 

„Wenn wir uns die aktuelle Form der Tierhaltung anschauen, wäre es jedoch ein Irrglaube, diese Vision in fünf bis zehn Jahren umsetzen zu können. Deshalb ist es wichtig, Teilschritte ins Auge zu fassen: Aber diese Teilschritte dürfen keine Mogelpackung sein und zum Beispiel die Stallhaltung mit Vollspalten umfassen, sondern müssen bei der qualitativen Auslaufhaltung anfangen. Wir fordern Förderstrukturen, die bei Auslaufställen anfangen, die mindestens fünfzig Prozent planbefestigte Böden und Stroh miteinschließen und natürlich unkopierte Ringelschwänze einschließen, um nur ein paar Eckpunkte bei Schweinen zu nennen“, so Hamester. Zugleich müssten aber neben dieser Förderung auch die gesetzlichen Mindeststandards schnellstmöglich angepasst werden. „Die aktuellen tierquälerischen Formen industrieller Tierhaltung müssen verboten werden“, schließt Anne Hamester ab.  

Politische Schritte für den Ausweg aus industrieller Tierhaltung – Prof. Dr. Dr. Markus Schick, BMEL 

„75 Prozent der sich ausbreitenden Infektionskrankheiten haben ihren Ursprung im Tierreich. Wir haben mindestens fünf neue Zoonosen pro Jahr. In Deutschland sind es meist die Lebensmittelinfektionen. (…) Es ist nicht nur die Landwirtschaft, es ist die Naturzerstörung, es ist die hohe Mobilität, die wir haben, der weltweite Warenaustausch, das Bevölkerungswachstum und noch viele andere Faktoren fördern die Entstehung und Ausbreitung auch von neuen pandemischen Erregern“, verdeutlicht auch die Vertretung des Bundeslandwirtschaftsministeriums die Ursachen verheerender Zoonosen.   

Prof. Dr. Dr. Schick betont in seinem Vortrag, wir würden ins post-antibiotische Zeitalter kommen und dies müsse uns der Antrieb sein, den Umgang mit Antibiotika zu verändern:  

„Es gibt nur eine Gesundheit: Mensch, Tier, Umwelt als eine Einheit. Ein Lebensbereich, den es gilt zu optimieren. Der Antibiotika-Einsatz ist ein sehr unbefriedigender und die Corona-Pandemie hat uns auch erschüttert. Wir waren in dem Zustand, nicht therapieren zu können. Das sind wir nicht gewöhnt. Und das passiert mittlerweile mit vielen bakteriellen Infektionen, die bisher immer als gut behandelbar galten. Und jetzt haben wir viele antibiotika-resistente Erreger und sprechen von einer sogenannten stillen Pandemie und die haben die tragischen Fälle im Krankenhaus zu Folge, die auch zu hohen Todeszahlen führen. .“  

Um die Probleme zu lösen, arbeite man aktuell auf politischer Ebene an einer Aktualisierung der Antibiotika-Resistenz-Strategie. Ein neues Tierarzneimittelgesetz sei bereits geschaffen, auf das aufgebaut werden könne. Darüber hinaus müsse ein genereller Haltungswechsel erfolgen, der die Reduzierung der Tierzahlen einschließe. Ein erster Vorschlag für weitere Schritte hin zum Haltungswechsel sei in dem aktuellen Gesetzentwurf zur Haltungskennzeichnung inbegriffen. Denn nur noch die Haltungsformen „Frischluftstall“ und „Auslauf/Freiland“ erhielten Förderungen.  

Aus seiner Sicht sei die Verteufelung der Tierhaltung an sich nicht der Weg. So verwerteten Wiederkäuer beispielsweise, was wir Menschen nicht verwerten könnten. Stattdessen brauche es eine andere Tierhaltung, zugleich seien die heutigen Tierzahlen nicht tragbar. Der Weg dorthin sei jedoch ein weiter. Natürlich wünsche man sich, dass ein Tier draußen freilaufen könne. Natürlich müssten wir aber auch die Realität der Ernährung und den aktuellen Status berücksichtigen. Politisch geht Professor Schick daher lieber pragmatisch an die Problembewältigung heran: Lieber ein Gesetz als Kompromiss schaffen und im Verlauf nachschärfen, anstatt ewig an einem perfekten Entwurf zu arbeiten. Zudem seien die demokratischen Strukturen und Mehrheitsverhältnisse in der Politik zu berücksichtigen, auch wenn sie zuteilen hemmten, schließt Prof. Schick ab.  

Durch die Veranstaltung und die Diskussion moderierte die erfolgreiche Autorin Dr. Tanja Busse. 

Fazit: Unverzüglich Tierhaltung umbauen und abbauen – im Sinne von Mensch, Tier und Umwelt 

Die Diskutanten sind sich einig, dass die heutigen Formen landwirtschaftlicher Tierhaltung mit Blick auf Zoonosen, Antibiotika und Tierleid schnellstmöglich und umfassend verändert werden müssen. Überraschenderweise herrschte Übereinstimmen über die Dramatik und Notwendigkeit des Umbaus. Einzig die echte Freilandhaltung mit deutlich reduzierten Tierzahlen könnte das langfristige Zielbild sein. Hieran schloss auch die konstruktive und zugleich hitzige Podiumsdiskussion mit Bundestagsabgeordneten, Tierschutzaktivisten und weiteren NGO-Vertreter:innen an. 

Die Veranstaltung zeigte außerdem umfassende und breite Lösungsansätze auf, um die vorherrschenden Probleme in der industriellen Intensivtierhaltung zu verbessern. Gleichzeitig wurde jedoch gezeigt, dass die Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt fehlt und die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Antworten auf die Zustände im Niveau und der Dynamik unzureichend sind. Daher braucht es viele Menschen, die ihre Stimme jetzt für die Tiere erheben, um den Druck weiterhin zu erhöhen.

PROVIEH finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedschaften. Unterstützen Sie unsere Tierschutzarbeit durch eine Mitgliedschaft. 

Je stärker unsere Basis, desto größer unser politisches Gehör! 

 
 
Ada Brandt 
 


Sollten Sie Fragen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Ansprechperson:

Kathrin Kofent

Fachreferentin – Schwerpunkt Rinder und Pferde
Telefon: 0431. 24 828 0
E-Mail: kofent@provieh.de

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