Brustbeinbrüche – das unsichtbare Leiden der Legehennen

Interview mit Dr. Lisa Jung

Dr. Lisa Jung ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel und arbeitet dort im Fachbereich für ökologische Agrarwissenschaften. Sie hat Agrarwissenschaften in Witzenhausen studiert und ihre Doktorarbeit über Tierschutzprobleme in der Legehennenhaltung geschrieben. Zurzeit arbeitet sie an Brustbeinschäden bei Legehennen aus haltungstechnischer und genetischer Sicht sowie an Projekten zu Zweinutzungshühnern und Bruderhähnen. Sie beschäftigt sich auch mit Schweinen aus gefährdeten Populationen und Tierwohl-Indikatoren am Schlachthof für Geflügel.

Was ist das Brustbein?

Das Brustbein ist der größte Knochen im Huhn. An ihm setzt die Flugmuskulatur an. Mit den ebenfalls dort ansetzenden Rippen bildet es die Körperhöhle zum Schutz der inneren Organe und schließt die Körperhöhle bauchseits ab. Das Brustbein gehört zu den besonderen Knochen bei weiblichen Vögeln, die mit dem Beginn der Legereife sogenannte medulläre Bestandteile bilden. Dort lagern die Kalziumreserven des Huhns, die für die Bildung der Eierschalen gebraucht werden. Wenn das Futter-Kalzium aus dem Darm erschöpft ist, wird Kalzium aus den medullären Knochen entzogen und für die Eierschalenproduktion genutzt.

Was sind Brustbeinbrüche/Brustbeinveränderungen und wie entstehen sie?

Bei der Begutachtung sieht man Brustbeinbrüche sehr deutlich
links: gesundes Brustbein, rechts: Brustbein-Deformation Foto: © Dr. Lisa Jung

Wenn aus dem Brustbein durch den Kalziumentzug mehr Knochenbestandteile abgebaut als wieder aufgebaut werden, können verschiedene Krankheitsbilder auftreten. Der Knochen verliert an Substanz und Stabilität. Kommt es zum Beispiel durch einen falschen Landeversuch der Henne auf eine Sitzstange zu einem Aufprall, bricht der Knochen eventuell. Den Hennen keine Sitzstangen anzubieten, ist jedoch keine Alternative, da diese zu einer tiergerechten Haltung dazugehören. Vielmehr sollte den Tieren mehr Platz zur Verfügung stehen, um gut landen zu können und die Sitzstangen sollten zudem aus einem rutschfesten Material bestehen. Auch Deformationen, also Abweichungen von der eigentlich geraden Form des Knochens, können auftreten. Zum Beispiel durch das Sitzen auf harten Sitzstangen. Brustbeinbrüche und-veränderungen kommen in 100 Prozent aller Legehennenherden vor und betreffen zehn bis 90 Prozent der Tiere.
Das kann bereits bei den Junghennen anfangen. Diese beginnen mitunter schon in der 18. Lebenswoche zu legen. Währenddessen laufen im Brustbein aber immer noch Verknöcherungsprozesse ab, um den Knochen überhaupt erst zu bilden.

Sind sie schmerzhaft?

Ja, es gibt sowohl experimentelle Untersuchungen, die einen mitunter sogar chronischen Schmerz belegen und beobachtende Praxisuntersuchungen, die eine eingeschränkte Mobilität und letztendlich sogar einen Rückgang in der Legeleistung bei betroffenen Hennen zeigten. Das ist nicht verwunderlich, wenn wir uns vorstellen, dass am Brustbein die Flugmuskulatur ansetzt.

Können die Brüche und Deformationen verhindert werden?

Es gibt verschiedene Maßnahmen, die Landwirte ergreifen können. Zum Beispiel Rampen an die Volierensysteme zu bauen, um den Hennen das Auf- und Absteigen leichter zu machen. Auch das Fütterungsmanagement und die Kalziumversorgung spielen natürlich eine Rolle. Kalzium sollte immer zur Verfügung stehen und nachmittags nochmal extra mit dem Futter verabreicht werden. Außerdem muss der Stall hell und groß genug sein, um ein sicheres Manövrieren zu gewährleisten. Die Henne braucht genug Platz zum Landen, weshalb auch die Besatzdichte eine Rolle spielt. Bei weniger Hennen pro Quadratmeter stören sie sich gegenseitig weniger beim Anfliegen und Landen und Kollisionen können vermieden werden.
Die Freilandhaltung kann durch die vermehrte Bewegung und die natürliche Vitamin D Bildung draußen im Auslauf zusätzlich zur Knochenstabilität beitragen.
Wichtig ist auch, dass die Landwirte sich mit dem Problem beschäftigen. Unter dem Federkleid sieht man die Brüche nicht, die muss man am Tier erfühlen.

Würde die Nutzung anderer Rassen auch etwas bewirken?

Auch alte Rassen und Zweinutzungshühner haben Brustbeinschäden. Normalerweise legt das wilde Bankivahuhn ein oder zwei Gelege im Jahr mit fünf bis zehn Eiern. Mehr nicht. Unsere Hochleistungsrassen legen mehr als 300 Eier im Jahr und auch Zweinutzungshühner schaffen 200 – für den Kalziumstoffwechsel ist das schon zu viel. Rassen, die einen späteren Legebeginn und eine geringere Leistung haben, haben bessere Chancen Brustbeinbrüche zu vermeiden, da könnte Potenzial für die Zucht drinstecken. Die Haltungsumwelt spielt jedoch die größere Rolle.

Treten Brustbeinbrüche auch bei Masthühnern auf?

Nein, die werden so jung geschlachtet, dass das Brustbein noch gar nicht richtig verknöchert ist.

Legehennen in Freilandhaltung, Foto: © Jürgen Färchle/stock-adobe.com

Wie sieht für Sie eine tiergerechte Legehennenhaltung aus?

Ein adäquat ausgestalteter Auslauf mit vielen Unterschlupfmöglichkeiten gehört für mich auf jeden Fall dazu. Auch im Stall sollten die Legehennen die Chance haben, sich zurückziehen zu können. Ganz wichtig ist, das Management des Stallklimas mit einer Kotgrube und Kotband und natürlich Einstreu. In den Nestern brauchen sie veränderbares Nistmaterial, zum Beispiel Dinkelspelzen. Ich würde außerdem eine kleine Herde von 500 Hennen mit ein paar Hähnen halten und alte Rassen kreuzen, um die genetische Diversität sicherzustellen.

Haben Sie noch eine Botschaft an unsere Leser:innen?

Nur wenn Geld ins Ei investiert wird, können auch Veränderungen geschehen. Man sollte sich auf Betriebe konzentrieren bei denen es gut läuft und diese unterstützen, und sich nicht nur über die schlechten ärgern. Gleichzeitig brauchen wir einen Systemwandel, in dem sich Jeder gut produzierte Lebensmittel leisten kann. Die Wertschätzung des Lebensmittels muss jedoch auch wieder steigen – weniger ist mehr.

Vielen Dank!

Das Interview führte Mareike Petersen. Es ist im PROVIEH-Magazin 02-2021 erschienen.

zwei Hühner im Freien

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