Quo vadis Pferdesport
Wie wird es weitergehen?
Anlässlich der aufwühlenden Ereignisse bei den Olympischen Spielen waren von jetzt auf gleich nicht (mehr) die glücklich strahlenden Goldmedaillengewinner DAS Gesprächsthema, sondern der Skandal um die Fünfkämpferin Annika Schleu und das ihr zugeloste Pferd Saint Boy (PROVIEH berichtete: Pferdewohl versus Pferdesport).
Am 26. August 2021 veranstaltete im Rückblick auf dieses und weitere Ereignisse bei Olympia die Zeitschrift „Reiter Revue“ die Online-Talkrunde „Pferdesport unter Beschuss – Tierwohl in der Diskussion“.
Vor ca. 300 Zuhörer:innen diskutierten, stritten und resümierten Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Dr. Martin Richenhagen, Reiter Revue-Herausgeber, ehemaliger Grand Prix-Richter, Sprecher des Stiftungsrats der Stiftung Deutscher Spitzenpferdesport, Michael Fischer, internationaler Springreiter und -ausbilder, Buchautor und Reiter Revue-Coach sowie Dr. Edmund Haferbeck, Leiter der Rechts- und Wissenschaftsabteilung der Tierrechtsorganisation PETA zwei Stunden lang über Pferdesport und Tierwohl.
Keine Frage, die „Pro-Pferdesport-Liga“ war mehr als überrepräsentiert in dieser Gesprächsrunde. Und selbstverständlich wurde immer wieder eine Lanze gebrochen für die Deutsche Sportreiterei und diese als besonders tierfreundlich dargestellt. Herausgestellt wurde, dass der Reitwettkampf im Modernen Fünfkampf mit einem zugelosten Pferd nicht vergleichbar sei mit den vertrauten Pferde-Reiterteams im Spring-, Dressur- und Vielseitigkeitssport. Deutschland sei zudem in vielem buchstäblich Vorreiter, was Regelwerke und Vorstöße im Tierschutz sowie pferdefreundlicher Ausbildung und Wettkampfgestaltung anginge, betonte besonders Soenke Lauterbach von der FN. Dr. Edmund Haferbeck machte hingegen darauf aufmerksam, dass sich dringend etwas ändern müsse im gesamten Pferdesport und noch sehr vieles im Argen liege. Es sei sehr oft eine Menge Zwang nötig, um die Pferde zu solchen wie im Pferdesport abverlangten Höchstleistungen zu bringen. Es gäbe zudem zahlreiche Alternativen auf Augenhöhe anstelle des Reitens selbst. Dr. Martin Richenhagen unterstrich, dass es noch Verbesserungsbedarf gebe. Besonders bei den Richtern habe es zahlreiche Fehleinschätzungen und falsch positive Bewertungen gegeben. Die Rollkur beispielsweise sei zu Recht in den Focus gerückt worden und hier müsse der eingeläutete Prozess Richtung Tierwohl weiter vorangebracht werden. Der aktive Springreiter Michael Fischer erklärte, dass besonders im Bereich der Trainer und Ausbilder noch ein großer Bedarf bestünde, die vorhandene gute und angepasste Theorie in die Praxis umzusetzen. Zukünftige Pferdesportler bräuchten eine gute, fundierte und didaktisch ausgereifte Ausbildung, um alles bestmöglich und mit geringstmöglicher Kraft und frei von Druck und Zwang am Pferd umsetzen zu können.
Zusammenfassend wurde international ein großer Nachholbedarf in Sachen Pferdewohl gesehen. Dort gebe es große Probleme allein schon aufgrund der sehr unterschiedlichen ethischen Ansätze. Nicht nur in den olympischen Sparten, sondern besonders auch im Rennsport, Westernreiten wie auch im Gangpferdebereich gäbe es zum Teil sehr fragwürdige Ausbildungsmethoden beziehungsweise gesundheitsschädliche Reitweisen. National bestünden in der Ausbildung von Pferd und Reiter sowie bei der Unabhängigkeit der Richter Verbesserungsbedarf. Aber auch im deutschen Breitensport müsse genau hingeschaut werden. Jeder Reiter und jede Reiterin müsse sich und sein Können kritisch hinterfragen und großen Wert auf eine fundierte Ausbildung für sich selbst und sein/ihr Pferd legen.
Es ist gibt noch viel zu tun. PROVIEH macht sich für mehr Pferdewohl im Sport und Freizeitbereich stark.
Kathrin Kofent
Hier finden Sie ein Interview, dass Kathrin Kofent anlässlich der Vorfälle bei den Olympischen Spielen für das Radio free FM führte: https://www.freefm.de/artikel/tierschutz-im-pferdesport