Geduldete Rechtsverstöße in der Nutztierhaltung

der (il)legale Alltag in deutschen Ställen

Das Kupieren von Schweineschwänzen, die Haltung von Legehennen in Kleingruppenkäfigen und die Anbindehaltung von Rindern – das sind nur einige Beispiele für Bedingungen in der Nutztierhaltung, wie sie in Deutschland vorzufinden sind. Und das, obwohl sie eigentlich nicht erlaubt sind. In der Nutztierhaltung klafft zwischen den rechtlich vorgeschriebenen Tierschutzmaßnahmen und der Praxis in den Ställen oft eine große Lücke. Es lohnt sich deshalb, einen Blick darauf zu werfen, wie und wieso solche Rechtsverstöße geduldet werden. 

Mangelhafte Umsetzung von EU-Recht 

Ein Grund für andauernde Rechtsverstöße ist die mangelhafte Umsetzung von EU-Tierschutzrecht durch Deutschland. Prominentes Beispiel für eine tierschutzwidrige und durch EU-Recht verbotene Prozedur ist das Kupieren von Schweineschwänzen. Dabei werden unter vier Tage alten Ferkeln die Ringelschwänze ohne Betäubung abgetrennt. So soll verhindert werden, dass sich Schweine in den beengten Ställen gegenseitig in die Schwänze beißen. Das routinemäßige Durchführen dieser Praktik ist seit 1994 EU-weit verboten.1 Denn eine EU-Richtlinie besagt, dass das Kupieren der Schwänze nur dann durchgeführt werden darf, wenn nachgewiesen werden kann, dass ohne Kupieren Verletzungen entstanden sind.2 Bevor solche Eingriffe vorgenommen werden dürfen, müssen zunächst ungeeignete Unterbringungsbedingungen geändert werden. Diese Vorgaben wurden in den §§ 5, 6 des deutschen Tierschutzgesetzes umgesetzt. Sie schreiben vor, dass das Schwanzkürzen nur erlaubt ist, wenn der Eingriff im Einzelfall zum Schutz des Tieres oder anderer Tiere unerlässlich ist.  

Nachdem das Schwanzkupieren bei Schweinen auch nach dieser Umsetzung noch routinemäßig durchgeführt wird, rügte die EU im Jahr 2018 die mangelhafte Umsetzung der Richtlinie,3 woraufhin der Aktionsplan Kupierverzicht entstand.4 Seitdem muss jeder Schweinehalter formal einige Bedingungen in seinem Stall erfassen. Wenn Schwanzbeißen auftritt und ergriffene Maßnahmen keine Abhilfe schaffen, darf den Schweinen weiter der Ringelschwanz gekürzt werden. Ein Blick in die Praxis zeigt aber, dass der Anteil kupierter Schweine auch seit Geltung des Aktionsplans nicht signifikant gesunken ist. So setzt sich die Tortur der Schweine 27 Jahre nach dem Verbot fort.  

Gleiches gilt auch für andere Eingriffe am Tier. So verbietet die EU-Richtlinie auch das routinemäßige Abschleifen der Eckzähne bei Ferkeln,5 weswegen das deutsche Tierschutzgesetz diese Amputation nur in Ausnahmefällen vorsieht. Der Eingriff muss eigentlich im Einzelfall zum Schutz des Tieres oder zum Schutz anderer Tiere unerlässlich sein – doch ein Blick in die Praxis zeigt genau das Gegenteil. Diese Eingriffe werden routinemäßig und prophylaktisch durchgeführt. Von einem Nachweis der „Unerlässlichkeit“ kann hier keine Rede sein. 

Lange Übergangsfristen 

Ein weiteres Problem sind die langen Übergangsfristen, wenn es zu Gesetzesänderungen kommt. Eine Übergangsfrist meint die Zeit zwischen dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes und dem Zeitpunkt, zu dem auch der letzte Betrieb sich an diese Vorschriften halten muss. Solche Fristen sind notwendig, um Rechtssicherheit für die Landwirte zu schaffen. Denn sie müssen sich auf die veränderte Gesetzeslage einstellen können. Problematisch ist jedoch, dass die Übergangsfristen sehr lange angesetzt werden. Zehn bis 15 Jahre sind keine Seltenheit, obwohl sich meist schon Jahre vor dem Inkrafttreten ankündigt, dass es zu einer Gesetzesänderung kommen wird. 

Ein Beispiel hierfür ist das Verbot der Haltung von Legehennen in Kleingruppenkäfigen. Im Jahr 2010 wurde der § 13b der Tierschutz-Nutztierverordnung als Rechtsgrundlage dieser Haltungsform wegen Verstoßes gegen Art. 20a des Grundgesetzes vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.6 Art. 20a GG räumt den Tieren eine Stellung in der Verfassung ein und bestimmt, dass Tierschutz Aufgabe und Ziel des deutschen Staates ist. Die Kleingruppenkäfighaltung, bei der einem Huhn 800 Quadratzentimeter Käfig zur Verfügung stehen, kann mit diesem Ziel wohl kaum in Einklang stehen. Doch zugunsten der Landwirte wird die Haltungsform für bestehende Betriebe noch bis 2026 geduldet. In Härtefällen kann der Übergangszeitraum auf Antrag noch bis 2028 verlängert werden. Und so kommt es, dass im Jahr 2020 noch immer 6 Prozent der Legehennen in Deutschland in Kleingruppenkäfigen gehalten wurden,7 obwohl diese Haltung bereits zehn Jahre zuvor verboten wurde. 

Ähnlich wurde bei der Haltung von Sauen in Kastenständen verfahren. Auch diese Haltungsweise ist noch gängige Praxis, dabei hatte das Oberverwaltungsgericht Magdeburg mit seinem “Kastenstandsurteil” vom November 2015 bereits unmissverständlich klargestellt, dass die Haltung von Sauen in Kastenständen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht fortgeführt werden darf.8 Im Jahr 2020 wurde endlich der Ausstieg aus dieser Haltungsform beschlossen, woraufhin die einschlägigen Vorschriften in der Tierschutz-Nutztierverordnung mit Wirkung zum 09.02.2021 geändert wurden.9 Gleichzeitig wurden jedoch extrem lange Übergangsfristen eingeführt. Bis auch der letzte Betrieb diese Haltung einstellen muss, werden noch einmal acht Jahre vergehen. Von dem Urteil bis zur endgültigen Umsetzung in jedem Betrieb werden damit insgesamt 14 Jahre vergangen sein! 

Gleiches gilt für die verbesserten Haltungsbedingungen von Sauen in Ferkelschutzkörben, die ebenfalls mit Wirkung zum 09.02.2021 beschlossen wurden. Mit dem Unterschied, dass hierfür eine Übergangsfrist von sogar 15 Jahren eingeführt wurde. 

Fehlende Schutzvorschriften 

In vielen Fällen mangelt es auch an konkreten Schutzvorschriften zugunsten der Tiere. Das wurde einmal mehr durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Oldenburg im Jahr 2019 deutlich. Darin setzten sich die Richter mit der dauerhaften Anbindehaltung von Rindern auseinander. Das VG entschied damals, dass diese Praxis gegen § 2 Nr. 1 des Tierschutzgesetzes verstößt.10 Nach dieser Vorschrift muss, wer ein Tier hält, es seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht unterbringen. Diesen Anforderungen entspricht die Anbindehaltung nicht, jedoch hat sich in der Praxis seit diesem Urteil kaum etwas verändert. Zielführend wäre ein ausdrückliches Verbot der Anbindehaltung, das Rechtssicherheit für die Landwirte und bessere Bedingungen für die Tiere schaffen würde.11 Bisher gibt es aber in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung überhaupt keine Anforderungen an die Rinderhaltung. 

Missachtung von geltendem Recht 

Doch auch wenn es Schutzvorschriften zum Wohl der Tiere gibt, ist das nicht immer ausreichend. Beispielsweise besagt § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Im Jahr 2019 setzte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage auseinander, ob das massenhafte Töten männlicher Küken mit dieser Vorschrift vereinbar ist. Und urteilte: Nein! Das wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteter Hennen ist kein vernünftiger Grund im Sinne dieser Vorschrift.12 

Doch das Kükentöten steht weiter auf der Tagesordnung, bis 2022 ein Gesetz in Kraft treten wird, das dieses (bereits bestehende) Verbot konkretisiert. Besonders für Aufmerksamkeit sollte die Tatsache sorgen, dass ein Verstoß gegen § 1 Satz 2 Tierschutzgesetz eigentlich eine Straftat im Sinne des § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz darstellt, die mit bis zu 3 Jahren Gefängnis geahndet werden könnte. Das neue Gesetz zum Verbot des Kükentötens ahndet einen Verstoß hingegen nur noch als Ordnungswidrigkeit, die ein Bußgeld zur Folge haben könnte.13 

Fazit 

Die Politik ist in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass dem Tierschutz in der Praxis genauso viel Bedeutung zukommt wie in der rechtlichen Theorie. Sie muss auf richtungsweisende Urteile reagieren und die vorhandenen Schutzvorschriften nachbessern. Dazu gehört auch, bei der Festlegung der Länge von Übergangsfristen nicht immer die wirtschaftlichen Interessen der Landwirte über den eigentlichen Gesetzeszweck, nämlich mehr Tierschutz, zu stellen. So würde unnötiges, jahreslanges Leid der Tiere vermieden werden. 

Christin Kies 

[1] Richtlinie 91/630/EWG des Rates vom 19. November 1991 über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen.

[2] Richtlinie 2008/120/EG des Rates vom 18. Dezember 2008 über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen; s. Anhang I Kapitel I Nr. 8.

[3] Bericht über ein Audit in Deutschland 12. bis 21. Februar 2018 Bewertung der Massnahmen der Mitgliedsstaaten zur Verhütung von Schwanzbeissen und zur Vermeidung des routinemässigen Kupierens von Schwänzen bei Schweinen, zugänglich unter „2018 EU Audit Report Deutschland (DE)“ auf  https://www.ringelschwanz.info/weitere-infomationen/aktionsplan-kupierverzicht.html (zuletzt abgerufen am 13.08.2021).

[4] https://www.ringelschwanz.info/weitere-infomationen/aktionsplan-kupierverzicht.html (zuletzt abgerufen am 13.08.2021).

[5] Richtlinie 2008/120/EG des Rates vom 18. Dezember 2008 über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen; s. Anhang I Kapitel I Nr. 8.

[6] BVerfGE 127, 293.

[7] PROMA 03-2020, S. 8.

[8] Urteil des OVG Magdeburg v. 24.11.2015 (3 L 386/14).

[9] Siebte Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, BR-Drs. 302/20 (B).

[10] VG Oldenburg, Beschluss vom 19.09.2019 – 7 B 2440/19.

[11] Vgl. Forderung der DJGT: Ausdrückliches Verbot bestimmter Haltungsformen, zugänglich unter https://djgt.de/2021/07/10/forderung-der-djgt-ausdrueckliches-verbot-bestimmter-haltungsformen/ (zuletzt abgerufen am 13.08.2021).

[12] BVerwG, Urt. v. 13.06.2019 – 3 C 28.16.

[13] Vgl. Stellungnahme der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. (DJGT) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für ein Sechstes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 8. September 2020 – Verbot des Kükentötens, zugänglich unter: https://djgt.de/2020/10/09/stellungnahme-zum-referentenentwurf-fuer-ein-verbot-des-kuekentoetens/ (zuletzt abgerufen am 27.08.2021).

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