Rückblick auf die Tierschutz(miss)erfolge der amtierenden Bundesregierung
Noch viel Luft nach oben
Kurz vor den vorgezogenen Neuwahlen blicken wir zurück auf eine Tierschutzpolitik, die einiges angeschoben hat, aber auch in Teilen große Enttäuschung und viele Fragezeichen hinterlässt.
Zu Beginn der Legislaturperiode der Ampel-Regierung schien der Tierschutz eine echte Chance zu bekommen. Im Koalitionvertrag (2021-2025) der zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) geschlossen wurde, wurden unter anderem einige Punkte versprochen, die PROVIEH schon lange für ein besseres Leben unserer „Nutztiere” fordert:
- “Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst. Unser Ziel sind entsprechende verbindliche EU-weit einheitliche Standards.”
- “Wir wollen die Landwirte dabei unterstützen, die Nutztierhaltung in Deutschland artgerecht umzubauen.”
- “Wir schließen bestehende Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung und verbessern das Tierschutzgesetz (Qualzucht konkretisieren, nicht kurative Eingriffe deutlich reduzieren, Anbindehaltung spätestens in zehn Jahren beenden).”
- “Lebendtiertransporte in Drittstaaten werden künftig nur erlaubt, wenn sie auf Routen mit a) nachgewiesen tierschutzgerechten Versorgungseinrichtungen stattfinden. Wir setzen uns auch auf EU Ebene für bessere Regelungen für Tiertransporte und einen Ausbau des Datenbanksystems TRACES ein.
- Wir fördern dezentrale und mobile Schlachtstrukturen.”
Unser Resümee zu den Tierschutzvorhaben und deren Umsetzung
Die Aufnahme einer verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung in den Koalitionsvertrag hat PROVIEH sehr begrüßt. Seit 2017 kämpft PROVIEH intensiv für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung. Mit einer breit angelegten Kampagne, der Teilnahme an Anhörungen im Bundestag und offenen Briefen machte PROVIEH auf die Mängel des Gesetzentwurfs aufmerksam. Im Sommer 2023 wurde das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz dann endlich im Bundestag für die erste Tierart – die Schweine – verabschiedet. Trotz aller Bemühungen bietet das staatliche Kennzeichen in seiner jetzigen Form jedoch keine ausreichende Transparenz über die tatsächlichen Haltungsbedingungen der sogenannten Nutztiere, weißt Schwächen in der Umsetzbarkeit auf und ist insgesamt eine Enttäuschung für den Tierschutz. Denn das Gesetz bezieht sich lediglich auf die Haltung während der Mast und auf erste Absatzwege von Schweinefleisch im Einzelhandel, in Metzgereien und im Online-Versand. Die Jungtieraufzucht und Sauenhaltung werden bei der Kennzeichnung nicht berücksichtigt. Die jetzige Kennzeichnung ist eher eine Verbrauchertäuschung; sie suggeriert Verbesserungen, die PROVIEH als tierschutzwidrig ablehnt. Ein zuletzt vorgelegter erster Entwurf für Rindfleisch wurde von PROVIEH und zahlreichen anderen Verbänden als ähnlich intransparent scharf kritisiert (Kein Platz für Tierwohl – Haltungskennzeichnung enttäuscht auch bei Rindern | PROVIEH).
Umbau der Tierhaltung nicht zum Nulltarif
Viele Landwirte klagen nach wie vor darüber, dass Ihnen die Umstellung zu mehr Tierwohl unnötig schwer gemacht wird. Viele sind bereit, ihre Ställe entsprechend umzubauen, doch es fehlt ihnen an der nötigen Unterstützung seitens der Politik. Nun wurde im Rahmen des Bundesprogramms zur Förderung des Umbaus der Schweinehaltung eine Milliarde Euro für schweinehaltende Betriebe bereitgestellt. Ein erster Schritt, der als Blaupause für weitere Tierarten dienen soll(te). PROVIEH setzt sich schon lange für einen Umbau der Tierhaltung und eine entsprechende Finanzierung dieser ein. Die Haltungssysteme müssen endlich an die Bedürfnisse der Tiere angepasst werden und nicht umgekehrt (Umbau der Tierhaltung: PROVIEH fordert schnelle Einführung der Tierwohlabgabe | PROVIEH). Der allererste Schritt ist getan, nun müssen schnell weitere folgen, um allen Nutztieren” schnellstmöglich Verbesserungen zukommen lassen zu können – für einen echten Umbau der Tierhaltung.
Gesetzliche Lücken
Lücken in der Tierschutznutztierhaltungsverordnung bestehen nach wie vor. Noch immer gibt es für (Mast-)Rinder, Milchkühe, Puten, Enten und Gänse, wie auch für Wachteln und Pferde keinen gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandart für die Haltungsbedingungen. Nicht zuletzt durch die in den Gutachten der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) aus 2023 deutlich gewordenen Defizite in Hinblick auf Tiergerechtheit sollten die bestehenden Bestimmungen in der Verordnung zudem angepasst werden, da diese nicht ausreichen oder zu unspezifisch sind. Mit der Kampagne „PUTEN jetzt schützen!“ fordert PROVIEH beispielsweise schon lange eine Verbesserung der Haltungsbedingungen für Puten sowie eine gesetzlich vorgeschriebene Haltungsverordnung. In der letzten Legislaturperiode hat das BMEL mit den vorgelegten Eckpunkten eine Grundlage für einen dringend notwendigen gesetzlichen Mindeststandart vorgelegt. Laut PROVIEH ist dieser Entwurf jedoch noch lückenhaft; wir fordern die Konkretisierung einiger Punkte. Im Bereich der Mastrinderhaltung hatte PROVIEH sich im Sommer 2024 an die Bundesregierung wie auch die Tierschutzreferate der Länder gewandt und sich mit zwei Papieren für eine Verbesserung der Haltungsbedingungen stark gemacht.
Die 2023/24 eingeleitete und längst überfällige Novellierung des Tierschutzgesetzes (TierSchG) wäre ein Meilenstein für den Tierschutz und wurde von PROVIEH sehr begrüßt. Im Rahmen der Verbändeanhörung hatte auch PROVIEH seine Stellungnahme zum vorliegenden Entwurf des Tierschutzgesetz abgegeben. PROVIEH begrüßt den Entwurf als Fortschritt, allerdings enthält er nach wie vor zahlreiche Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher, die dringend geschlossen werden müssen. Leider waren im Vergleich zum ersten Entwurf außerdem einige geplante Verbesserungen im Verlauf zurückgenommen worden. So wäre zum Beispiel im aktuellen Entwurf zur Änderung des TierSchG ein vollständiges Verbot der tierschutzwidrigen Anbindehaltung von Rindern auch in zehn Jahren noch nicht in Sicht gewesen. Die Bestrebungen, nicht kurative Eingriffe wie das Kupieren von Schwänzen und das Kürzen von Schnäbeln deutlich zu reduzieren, waren zudem mehr als unzureichend, und die landwirtschaftliche Zucht ist immer noch vom Qualzuchtverbot ausgenommen. Die Liste der Qualzuchtmerkmale hätte schon längst entsprechend erweitert werden müssen, um insbesondere Hochleistungsrassen auf den Prüfstand zu stellen. Auch kleinere Schlachtbetriebe müssten in die Überwachungspflicht einbezogen werden und die Qualen zahlreicher Stuten in Südamerika und auf Island durch ein Verbot der Anwendung des aus deren Blut gewonnenen PMSG/eCG (Pregnant Mare Serum Gonadotropin/equines Chorion Gonadotropin) zur Brunstsynchronisation von Sauen unterbunden werden.
Leider stand die Umsetzung der Novelle insgesamt zu wenig im Fokus und konnte durch das frühzeitige Scheitern der Koalition nicht abgeschlossen werden.
Dauerthema Tiertransporte
Lebendtiertransporte in Drittländer erfolgen leider immer noch unter teils grausamen Bedingungen. Der Fall der 116 Rinder, die im Herbst 2024 an der türkischen Grenze nach einem langen Leidensweg verendet oder betäubungslos getötet wurden, zeigte erneut, dass hier dringend etwas passieren muss (Tierleid eskaliert an türkischer Grenze | PROVIEH). So etwas darf nicht passieren. Anlässlich dieser dramatischen Vorkommnisse initiierte die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. – unterstützt von Juristinnen aus dem Vorstand von PROVIEH – einen offenen Brief „zur Rechtmäßigkeit eines Verbots von Tiertransporten in sog. Hochrisikostaaten durch Rechtsverordnung“, der am 6. November dem Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir übergeben wurde. PROVIEH begrüßte zudem den Einsatz der Bundestierschutzbeauftragten Ariane Kari, welche sich ähnlich in ihrer „Stellungnahme zu den rechtlichen Möglichkeiten auf Bundesebene, Tiertransporte in Tierschutzhochrisikostaaten zu verhindern“ positionierte und darin unter anderem auch die Einführung eines nationalen Transportverbots in sogenannte Tierschutzhochrisikostaaten empfahl.
Schlachtung fehlt die Achtung
Auf eine Förderung dezentraler und mobile Schlachtstrukturen warten wir leider noch immer vergeblich. Immer mehr kleine und mittelständische Schlachtunternehmen schließen und selbst die größeren zentralisieren sich immer weiter oder wandern ins Ausland ab, so dass die Tiere auch in diesem Fall über weite Strecken transportiert werden müssen. Für einen möglichst stressfreien Transport sind kurze Transportzeiten jedoch zwingend erforderlich. Hier müssen dringend Maßnahmen getroffen werden und Erleichterungen durch Förderpakete und vereinfachte Verfahren für kleinere, regionale Strukturen erfolgen.
Tierschutz wählen
Nach wie vor leben über 700 Millionen “Nutztiere” unter Bedingungen, die wir aus Tierschutzsicht nicht länger hinnehmen können. Es mangelt den Tieren an Platz und Beschäftigung, sie leiden unter den Folgen von Qualzucht und Amputationen, und werden teilweise über mehrere Tage auf einem LKW transportiert, um dann unter tierschutzwidrigen Bedingungen geschlachtet zu werden. Es muss dringend etwas passieren, und zwar jetzt!
Helfen Sie Schweinen, Rindern, Hühnern und anderen landwirtschaftlich genutzten Tieren und machen sie die nächste Bundestagswahl zur Tierschutzwahl. LINK zum anderen Artikel
PROVIEH fordert:
(Klicken Sie auf die Pfeile für unsere näheren Forderungen ↓)
1. Artgemäße Haltungsformen durch Umbau der Tierhaltung ↓
Viel Platz und Weide oder Auslauf; Mobilstallhaltung fördern
- Tageslicht und frische Luft
- Kleine, artgemäße Gruppen
- Voneinander abgetrennte Aktivitäts-, Fress- und Liegebereiche
- Verbot von Käfighaltung und Einzelhaltung
- Tiergerechte Bodenbeschaffenheit: trittsicher, trocken und plan, eine weiche Liegefläche, keine Vollspaltenböden
Strukturierte Ställe zur Auslebung artgemäßen Verhaltens (Wühlen von Schweinen, Sand- und Wasserbaden sowie Picken und Scharren bei Geflügel, Beschäftigungsmaterial)
2. Unversehrtheit – Verbot routinemäßiger Amputationen ↓
- Keine Anpassung der Tiere an ihr unzureichendes Haltungssystem – routinemäßiges Abschneiden, Zurechtstutzen und Ausbrennen von Hörnern, Ringelschwänzen, Schnabelspitzen und Eckzähnen beenden
3. Verbesserung von Transport und Schlachtung ↓
Möglichst kurze Transportzeiten: 4 Stunden innerhalb Deutschlands, 8 Stunden maximal
- Schlachttiere immer zum nächstgelegenen Schlachthof transportieren
- Drittlandexporteverbieten, Langstreckentransporte massiv reduzieren; Strengere Anforderungen an die Beschaffenheit der Transportfahrzeuge (Kontrolle von Temperatur, Wasser- und Futterversorgung, gesundheitlicher Zustand der Tiere)
Strengere und effektivere Kontrollen, mehr Personal in den Vollzugsbehörden
4. Tierwohl-orientierte Zucht ↓
- Zucht auf Gesundheit und Langlebigkeit statt auf kurzfristige Leistungsspitzen und auf Robustheit gegenüber Haltung, Fütterung, Klima und Krankheitserregern
- In einer tiergerechten und wertschätzenden Zucht sind beide Geschlechter und Nutzungsrichtungen (Milch bzw. Eier und Fleisch) im Rahmen einer Zweinutzungsrasse berücksichtigt
5. Gesetzliche verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle Tierarten und -gruppen ↓
- Durch eine verpflichtende, transparente und verständliche Haltungskennzeichnung (Zucht, Haltung, Transport und Schlachtung) muss Verbraucher:innen die Chance gegeben werden, sich bei ihrem Einkauf bewusst für bessere Tierhaltungsbedingungen einsetzen zu können
Meilensteine im Tierschutz der letzten 50 Jahre
Auch wenn noch vieles im Argen liegt, so hat in den vergangenen 50 Jahren die unermüdliche Arbeit von Tierschützer:innen bereits sehr viel bewirkt. Mehr zu den bisherigen Meilensteinen/ Tierschutzerfolgen lesen Sie hier: „Die Geschichte des Tierschutzes. Meilensteine für Rind, Schwein, Huhn und Co“
Weitere Infos
- Tierschutz in Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2025 – Empfehlungen der Bundestierschutzbeauftragten –
- Strategischen Leitlinien und Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft
- Wie wird es weitergehen in Sachen Tierschutz? Was wollen die Parteien zukünftig tun für das Wohl unserer “Nutztiere”? PROVIEH hat eine grobe Übersicht über die Pläne der Parteien im Bereich Nutztierschutz erstellt, die Ihnen als Orientierungshilfe dienen kann.
Dr. Anja Höhne
Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft, Geflügel und Schweine (Tel: 0431. 24828-4 oder 0163. 2315846 / E-Mail: hoehne@provieh.de)
Kathrin Kofent
Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft, Schwerpunkt Rinder und Pferde sowie Tierschutzanzeigen (Tel.: 0431. 24828-5 / E-Mail: kofent@provieh.de)
16.01.2025