Die Geschichte des Tierschutzes
Meilensteine für Rind, Schwein, Huhn und Co
Die Reform der „Nutztier“haltung ist heute in Politik und Gesellschaft präsenter denn je. Dabei hat PROVIEH seinen festen Platz als Fürsprecher der Nutztiere gefunden.
Tierschutzwidrige Haltungsbedingungen: Früher wie heute
Vor 50 Jahren nahm die industrialisierte Intensivtierhaltung immer mehr Fahrt auf, während es gleichzeitig keine gesetzlichen Regelungen für die Haltung der Tiere gab. So wurden neugeborene Kälber direkt von der Mutter getrennt und in kleine Boxen gesperrt. Trotz kupierter Schnäbel waren fast nackte, blutig gepickte Legehennen in großen Käfiganlagen an der Tagesordnung und ausgemergelte Sauen auf Betonspalten prägten das Bild üblichen Landwirtschaft. Die Ställe waren häufig dunkel, feucht und schlecht belüftet. Antibiotika wurden nicht nur zur Gesunderhaltung, sondern auch offen als Leistungsförderer in großem Stil angewendet. Massenhaltungsanlagen sollten größtmöglichen Profit bescheren.
PROVIEHs Gründung vor 50 Jahren: Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung
Am 15. Juni 1973 gründeten die Schwestern Margarete und Olga Bartling den „Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung“ (heute PROVIEH e.V.). Der Verein widmete sein Wirken allein dem Wohle von Rind, Schwein, Huhn und Co und war damit die erste und bis heute einzige deutsche Tierschutzorganisation, die sich allein auf den Schutz von Tieren in der Landwirtschaft konzentrierte. Die Gründerinnen kamen Anfang der 70er Jahre bei einer Studienfahrt in einen Kälbermaststall und waren über die Zustände darin entsetzt. Fortan setzten sie alle ihre Energie und ihr Vermögen dafür ein, die Lebensbedingungen der Tiere in der Landwirtschaft zu verbessern. Die Bartling-Schwestern und bald zahlreiche aktive Mitglieder organisierten deutschlandweit Vorträge vor Verbraucherschutzorganisationen, Hausfrauenverbänden und anderen Gremien, gaben Flugblätter heraus, verbreiteten Filme und pflegten Kontakte zu Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik. Das Bewusstsein in der Bevölkerung wuchs und immer mehr Stimmen erhoben sich auf allen Ebenen. Es begann sich langsam aber sicher etwas für die Nutztiere zu bewegen (siehe Grafik „Meilensteine im Tierschutz“). Heutzutage gibt es Mindestmaße für die Kälberhaltung: die Anbindehaltung von Kälbern ist verboten, eine Gruppenhaltung ab der achten Woche Pflicht, Raufutter muss ab dem achten Lebenstag zur Verfügung stehen und die qualvolle Mast auf blutarmes, weißes Fleisch ist verboten. An den meisten tierschutzwidrigen Haltungs- und Zuchtbedingungen hat bis heute jedoch wenig geändert. Wie lässt sich das erklären beziehungsweise was hat sich in den letzten 50 Jahren auf Gesetzesebene getan?
Gesetzlicher Tierschutz – ein Einblick in die Geschichte
1972: Das Deutsche Tierschutzgesetz
1972 wurde das Tierschutzgesetz (TierSchG) beschlossen. Damit löste es das Reichstierschutzgesetz von 1933 ab. Das neue Tierschutzgesetz bezieht sich erstmals nicht nur auf den Schutz des Wohlbefindens eines Tieres, sondern den Schutz ihres Lebens an sich, und es gilt für alle Tiere vom Insekt bis zum Primaten. Das Gesetz umfasst unter anderem die Haltung und das Töten von Tieren sowie Tierversuche und gibt die Möglichkeit, genauere Vorschriften für den Umgang mit Tieren zu erlassen. Ein guter und enorm wichtiger Anfang, doch am Leid der landwirtschaftlich genutzten Tiere änderte es erstmal nichts. Die Auslegung des zweiten Satzes „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ war schwammig und profitable Gründe wurden weithin als „vernünftig“ angesehen.
1978: Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Tieren
Ein wichtiger Meilenstein war im Jahr 1978 das „Europäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen“. Das Übereinkommen sollte sicherstellen, dass den Tieren bei der Haltung, Fütterung und Pflege keine unnötigen Leiden oder Schäden zugefügt werden.
Auf dieses Übereinkommen reagierte Deutschland mit der Hennenhaltungsverordnung (1987) zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung, der Schweinehaltungsverordnung (1988) sowie der Kälberhaltungsverordnung (1992) zum Schutz von Schweinen und Kälbern in Stallhaltung. Leider waren die Umsetzungen eher lasch bis gänzlich unzureichend.
1999-2025: Käfighaltung von Legehennen wird verboten
1999 hat das Bundesverfassungsgericht die Hennenhaltungsverordnung für nichtig erklärt. Die vorgesehene konventionelle Käfighaltung war unvereinbar mit den Anforderungen des Tierschutzgesetzes. Sechsundzwanzig Jahre dauert es bis zum tatsächlichen Verbot: Die sogenannten „Legebatterien“ (enge Metallkäfige für vier bis fünf Hühner) sind seit dem 1. Januar 2010 in Deutschland verboten. Die abgeleiteten Käfigformen (enge, minimal ausgestaltete Metallkäfige für etwa 60 Hühner) sind seit 2021 und ab 2025 verboten.
PROVIEHs Rolle beim Verbot der Legehennenhaltung
PROVIEH hat am Verbot der Käfighaltung maßgeblich mitgewirkt. Prof. Detlef Fölsch, Hühnerexperte und Mitglied bei PROVIEH, war als Gutachter für die Verfassungsrichter tätig. Als das oberste deutsche Gericht erneut über die Käfighaltung entscheiden musste, war PROVIEH wieder als einer von drei Tierschutzverbänden mit zwei umfangreichen Stellungnahmen beteiligt. Zudem ist PROVIEH seit 2008 Teil der Initiative „Deutschland wird käfigfrei“ unter der Schirmherrschaft der Albert Schweizer Stiftung für unsere Mitwelt. Führende Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels wurden davon überzeugt, den Verkauf von Käfigeiern aus dem In- und Ausland zu stoppen. Mit großem Erfolg: Der Marktanteil von Käfigeiern ist von 87 Prozent im Jahr 2000 auf rund fünf Prozent gesunken. PROVIEH setzt sich weiter intensiv dafür ein, dass auch der Verkauf von Käfigeiern – vor allem in verarbeiteten Produkten – endlich gänzlich beendet wird.
1990: Tiere sind keine Sachen mehr
1990 wurde das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht erweitert. Durch den neuen Paragrafen 90a im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wurde bestimmt, dass Tiere keine Sachen (mehr) sind und durch besondere Gesetze geschützt werden müssen. Hiermit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass der Mensch gegenüber den Tieren wegen deren Fähigkeit, Schmerz und Leid zu empfinden, zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist. Allerdings erhielten Tiere dadurch faktisch keine herausragende Rechtsstellung. Vielmehr galten die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend auch für Tiere als fühlende Wesen (§ 90a Satz 3 BGB).
1998: Mehr Tierschutz für Betäubung, Schlachtung und einzelne Tierarten
Beruhend auf dem Europäischen Übereinkommen wurden mit der „EG-Richtlinie über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere“ aus dem Jahr 1998 allgemeine Schutz- beziehungsweise Mindestnormen für Tiere festgelegt, „die zur Erzeugung von Nahrungsmitteln, Wolle, Häuten oder Fellen oder zu anderen landwirtschaftlichen Zwecken gezüchtet oder gehalten werden.
Es wurden Regelungen zu Betäubung und Schlachtung getroffen sowie bereits Mindestanforderungen an die Haltungs- und Zuchtbedingungen bestimmter Tiere wie Kälber‚ Schweine und Legehennen verfasst. Eine Umsetzung ins nationale Recht erfolgte Stück für Stück, zunächst 2001 durch die Erstverkündung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) und den dort festgeschriebenen Mindestanforderungen für Kälber. Nachfolgend fanden Legehennen, Masthühner und Schweine sowie Kaninchen ebenfalls Berücksichtigung.
„Farm to Fork“
Im Rahmen der Strategie „Vom Erzeuger bis zum Verbraucher” wurde die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit von der EU-Kommission mit der Erstellung von Gutachten im Bereich der „Nutztiere“ betraut. Ziel ist die Erarbeitung von verbesserten Rechtsvorschriften für den Schutz von Legehennen, Masthähnchen, Schweinen und Kälbern sowie Transports und Schlachtung.
Nur der Anfang: Tierschutzbestimmungen unzureichend!
Es fehlt vielfach noch an der Umsetzung des EU-Rechts ins nationale Recht. Nach wie vor sind zahlreiche Tiergruppen- und arten nicht in der Haltungsverordnung (TierschNutztV) berücksichtigt. Milchkühe und Mastrinder, Enten, Gänse, Puten, Tauben, Wachteln, Esel, Pferde, Schafe und Ziegen – für all diese Tiere liegen keine spezifischen Haltungsvorgaben vor. Somit können sich Ordnungsbehörden lediglich am allgemeingültigen Tierschutzgesetz sowie einigen rar gesäten Vorgaben der Bundesländer orientieren. Im Tierschutzgesetz sind Ausnahmen die Regel, wodurch das Schwänzekupieren bei Schweinen, das Schnabelkupieren bei Puten oder Enthornen von Rindern trotz eines Amputationsverbotes zulässig sind. Überdies scheitern Mindestvorgaben an der fehlenden Umsetzung, sprich der schieren Missachtung der Regelungen ohne Ahndung. Denn Kontrollen durch die Veterinärämter erfolgen viel zu selten. In Bayern findet eine Kontrolle im Schnitt lediglich alle 40,2 Jahre statt. Und selbst wenn Tierschutzverstöße erkannt werden, werden sie überwiegend nachsichtig geahndet. Geldstrafen sind zu gering, Freiheitsstrafen werden selbst bei unsäglichen Tierquälereien fast nie ausgesprochen.
Tierschutz vor 200 Jahren: Rückblick ins 19. Jahrhundert
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Tierschützer:innen schon seit 200 Jahren umfassendes Engagement im Sinne der Tiere leisten. Der Pfarrer Christian Adam Dann verfasste 1819 eine Schrift mit dem Titel „Bitte der armen Thiere“. Darin forderte er stellvertretend für die Tiere: „Macht unser meist kurzes, mühevolles Leben erträglich und unseren Tod so leicht wie möglich.“ Damit gab er unter anderem den Anstoß für die Gründung des ersten deutschen Tierschutzvereines in Stuttgart („Verein zur Verhinderung der Tierquälerei“ von Albert Knapp 1837). Dank dieses Vereins wurde in Württemberg sogar ein Tierschutzgesetz erlassen (1839), welches es ermöglichte, Tierquälerei mit einer Gefängnisstrafe zu ahnden.
Parallel dazu hatte die damals in Deutschland beginnende Industrialisierung einen erheblichen Einfluss auf die Landwirtschaft. Wachsende Bestände, die räumliche Trennung von Wohnort und Stallungen sowie die Mechanisierung führten zu einer Entfremdung von Mensch und Tier. Viele Menschen zogen auf der Suche nach Arbeit und mehr Wohlstand in die Städte, was sie vom Prozess der Lebensmittelerzeugung weiter entfremdete.
Die Tierschutzerfolge der vergangenen Jahrzehnte waren ein kräftezehrender Kampf auf allen Ebenen mit Fehl- und Rückschlägen für den Tierschutz und insbesondere die Tiere. PROVIEH kämpft nun seit 50 Jahren tagtäglich für ein besseres Leben unserer Nutztiere. Seit der Vereinsgründung wurde viel erreicht. PROVIEH wird sich mit Ihrer Hilfe auch in den nächsten 50 Jahren für Verbesserungen für die sogenannten Nutztiere einsetzen. Lesen Sie mehr unter www.provieh.de/unsere-arbeit.
Kathrin Kofent
Unsere Liste wichtiger Themengebiete ist nach wie vor lang:
- Erweiterung der Tierschutzgesetzgebung auf alle Tiere, auch alle bisher nicht erfassten, Fische, Insekten und Wirbellose
- Verbot von Amputationen: Haltungsbedingungen an die Tiere anpassen, statt Tiere an Haltungsbedingungen anzupassen
- Umsetzung des Qualzuchtverbotes: Hochleistungszucht zum Leidtragen der Tiere beenden
- Verbot der Anbindehaltung. Ganzjährig wie saisonal
- Verbot von Vollspaltenböden
- Artgemäßes Ruhen durch Einstreu, erhöhte Ebenen
- Reduktion der Besatzdichten in Ställen
- Verbot jeglicher fixierter oder isolierter Haltung
- Permanenter Zugang zu Wasser für Wasservögel
- Klare Regeln für Beschäftigungsmaterial
- Reduktion des Antibiotikaeinsatzes
- Effektive Brandschutzbestimmungen
- Regelmäßige und effektive Kontrollen und Sanktionen
- Verbot der Pelztierzucht
- Stopp aller Lebendtierexporte in Drittstaaten
- Einführung einer nationalen Transportzeitbegrenzung auf maximal vier Stunden
- Videoüberwachung und Verbot von Akkordlöhnen in Schlachtstätten
- Verpflichtender Sachkundenachweis für tierbetreuende Personen (Haltung, Transport und Schlachtung)
- Bundesweite Förderung der mobilen Schlachtung
- Gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung auf allen Produkten tierischen Ursprungs (roh, verarbeitet, in Restaurants, Kantinen, Supermärkten etc.), die die Lebensbedingungen des Tieres leicht verständlich abbildet
PROVIEH finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedschaften. Unterstützen Sie unsere Tierschutzarbeit durch eine Mitgliedschaft.
Je stärker unsere Basis, desto größer unser politisches Gehör!