Schweinesprache mit KI entschlüsselt
Das schrille Quieken von Ferkeln beim Schwanzkupieren muss man nicht übersetzen, um zu verstehen, dass sie panische Angst und große Schmerzen erleiden.

Lange dachte man, dass das einzige „Gefühl“ der Tiere das Schmerzempfinden sei. Dank jahrzehntelanger Verhaltensforschung konnten verschiedene Tierlaute unterschiedlichen Gefühlen zugeordnet werden, auch bei Schweinen. Dazu gehören Warnrufe bei Gefahren, das Signal zum Säugen, wenn die Muttersau die Ferkel an die Zitzen ruft, sowie Angst und Stresslaute bei der Trennung von der Mutter.
Studien belegten, dass Menschen – nach einiger Übung – relativ verlässlich zwischen freudigen Lauten und ängstlichem Quieken unterscheiden können. Doch mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) können inzwischen noch viel mehr Laute unterschieden und benannt werden.
Die Sprache der Schweine
Wenn Technikverliebtheit den Blick auf das Tier und seine Bedürfnisse verstellt, weil Abläufe automatisiert und die Mensch-Tier-Interaktion wegrationalisiert werden sollen, sieht PROVIEH dies oft kritisch. Aber die bahnbrechende Forschungsarbeit aus Dänemark begrüßen wir als bedeutenden Fortschritt mit viel Potenzial zur Verbesserung des Tierwohls.
Die Ergebnisse der größten je durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchung von Schweinelauten an der Universität Kopenhagen wurden Anfang September 2024 in einer NDR-Dokumentation vorgestellt (siehe NDR-Mediathek). Mit Hilfe von aufwändigen Verfahren und sogenannten tiefen Lernalgorithmen wurden 7.414 Laute und tausende Bilder 411 Schweinen zugeordnet. Neben den Lauten wurde auch die Körpersprache und die Gesichtsausdrücke mit abgeglichen und interpretiert. Von der Geburt bis zur Schlachtung wurden im Rahmen der Untersuchungen alle möglichen Lebensstufen, Situationen und Interaktionen abgebildet.
Nicht nur Freud oder Leid
Die Vielfalt der entschlüsselten Grunz-, Schnaub- und Quieklaute, mit denen Schweine kommunizieren, werfen ein neues Licht auf die Vielschichtigkeit ihrer Gefühle. Die Untersuchungen ergaben, dass sich zum Beispiel Ferkel, die sich kennen und mögen, mit einem ganz bestimmten freudigen Begrüßungslaut begrüßen.
Insgesamt kristallisierten sich mindestens 19 unterschiedliche Grunzlaute heraus, die mit verschiedenen körperlichen und emotionalen Zuständen korrelierten. Bei Aufregung und Frustration sind die Laute hochfrequent, positive Gefühle werden niederfrequent ausgedrückt.
Stress macht Schweine krank
Die Studie weist anhand der Lautanalyse eindrücklich nach, dass schlechte Haltungsbedingungen Stress erzeugen, die Tiere unglücklich und krank machen. Konventionelle Haltungen schnitten im Vergleich schlechter ab als Bio- und Freilandhaltung. Auf der Weide gehaltene Tiere grunzten im Rahmen der Untersuchungen mit Abstand am fröhlichsten und hatten die wenigsten Stresslaute – oh Wunder! Sie können ihre natürlichen, arttypischen Verhaltensweisen ja auch am besten ausleben!
Aber auch eine gute Mensch-Tierbeziehung hat sich bei dieser Forschungsarbeit klar als wichtiger Faktor für das Wohlbefinden der Tiere herauskristallisiert, ganz unabhängig von der Haltungsform.
Bestes Signal bleibt der intakte, geringelte Schwanz
Zu einem guten Tierwohl-Monitoring gehören für PROVIEH – trotz aller technischen Fortschritte – täglich zwei Kontrollgänge mit Tierbeobachtung dazu. Das wichtigste Signal für gut gedeckte Grundbedürfnisse und daraus resultierendem Wohlbefinden bleibt der Ringelschwanz. Es fällt sofort ins Auge, ob er wohlig geringelt ist oder nervös hin und her peitscht, ängstlich eingeklemmt wird oder schlaff herabhängt, weil das Tier angeschlagen ist. KI bietet dennoch gute Entwicklungschancen als Teil eines umfassenden Frühwarnsystems für Probleme einzelner Tiere oder der Herde.
Sabine Ohm, Fachreferentin für Schweinehaltung
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08.10.2024