Tierschutzgesetz – Kompromiss statt Reform
Sachstand und Bewertung des Gesetzesentwurfs
Das Tierschutzgesetz (TierSchG) wird endlich überarbeitet. Der Grundstein dafür wurde mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der aktuellen Regierungsparteien am 21. November 2021 gelegt. Dort ist vereinbart: „Wir… verbessern das Tierschutzgesetz (Qualzucht konkretisieren, nicht-kurative Eingriffe deutlich reduzieren, Anbindehaltung spätestens in zehn Jahren beenden).“
Erste interne Entwürfe zum Tierschutzgesetz wurden 2023 bekannt. Am 01. Februar 2024 folgte der offizielle Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Inzwischen hat das Bundeskabinett den Gesetzesentwurf beschlossen und am 24. Mai dem Bundesrat zugeleitet (BR-Drs. 256/24). Mit der folgenden ersten Lesung im Bundestag ist voraussichtlich im September zu rechnen. Danach geht das Gesetz in die Ausschussberatung. Wie lange diese Phase andauern wird, ist noch unklar.
Kurzbewertung
Der Gesetzesentwurf ist nicht die große Reform des Tierschutzrechts, die man von einem grün geführten Ministerium erwartet hätte. Er ist ein offensichtlicher Kompromiss, der nicht einmal den im Koalitionsvertrag vereinbarten Zielen gerecht wird, geschweige denn den Erfordernissen des Tierschutzes:
Der Entwurf wird kaum zur vereinbarten deutlichen Reduktion von nicht-kurativen Eingriffen führen. Neu verboten wird lediglich das Abschneiden der Schwänze von Lämmern. Beim Kupieren der Ringelschwänze von Ferkeln gibt es zumindest einen technischen Fortschritt. Die einschlägigen europäischen Richtlinien sind schon seit 1994 rechtskräftig. Deutschland hat sie bloß rechtswidrig über Jahrzehnte nicht angewendet. Stattdessen wurde 2018 ein nationaler „Aktionsplan Kupierverzicht“ geschaffen. Der war jedoch weitgehend wirkungslos. Ob sich aus der direkten Übernahme der europäischen Regelungen tatsächlich Verbesserungen ergeben, muss sich zeigen. PROVIEH bleibt bei der Forderung: Stoppt das Schwanzkupieren!
Anstatt des vereinbarten Verbots der Anbindehaltung enthält der Gesetzesentwurf lediglich eine Scheinlösung, die leider auch von Minister Cem Özdemir unterstützt wird, sowie von einigen grünen Abgeordneten aus Süddeutschland und Teilen des Ökolandbaus. Ein paar Stunden Auslauf in der Woche reichen nicht aus, wenn die Tiere den Rest der Zeit angebunden im Stall leiden. Damit ist die tierschutzwidrige Anbindehaltung weiterhin das Schicksal heutiger und zukünftiger Generationen von Rindern.
Einzig bei der Qualzucht wird der Entwurf dem Koalitionsvertrag gerecht. Allerdings wäre es im Interesse des Tierschutzes wünschenswert, die Merkmalsliste umfassender und konkreter zu gestalten und auch den Handel mit Tieren aus Qualzucht zu verbieten.
Wesentliche Änderungen für landwirtschaftlich genutzte Tiere
Anstatt nicht kurative Eingriffe zu verbieten, korrigiert der Entwurf lediglich einige der insgesamt tierschutzwidrigen Einzelregelungen:
• Verbot des Kupierens der Schwänze bei Lämmern,
• Verbot des Einsatzes von elastischen Ringen bei Kastrationenund Amputationen,
• Pflicht zur Schmerzbehandlung nach betäubungspflichtigen Eingriffen,
• Pflicht zur Betäubung bei der Enthornung von Rindern,
• Pflicht zur Betäubung bei der Kastration von Rindern,
• Übernahme der seit 1994 geltenden europäischen Rechtsvorschriften zum Kupieren der Ringelschwänze bei Ferkeln.
Die Regelungen zur Qualzucht werden verschärft:
• Einführung einer Liste mit 18 Qualzuchtmerkmalen,
• Ausstellungs- sowie Werbeverbot für Tiere mit Qualzuchtmerkmalen nach spätestens 15 Jahren.
Ganzjähre Anbindehaltung wird verboten, saisonale Anbindehaltung erlaubt:
• Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung mit zehn Jahren Übergangsfrist.
• Erlaubnis der kombinierten Anbindehaltung, wenn diese Haltung im Betrieb vor Inkrafttreten des Gesetzes begann, nicht mehr als 50 Rinder über 6 Monate gehalten werden und die Tiere zweimal wöchentlich Zugang zu Freigelände haben sowie Zugang zu Weideland in der Weidezeit.
Die Kontrollen entlang der Wertschöpfungskette werden erweitert:
• Verpflichtende Videoüberwachung aller Arbeitsschritte in Schlachthöfen, mit einer Ausnahme für mittlere Betriebe,
• Kontrollen in Betrieben, die tierische Nebenprodukte, wie etwa Tierkadaver verarbeiten,
• Pflicht zur Kennzeichnung von Tierkadavern mit der Betriebsnummer.
Die Strafvorschriften werden erweitert:
• Einführung eines schweren Straftatbestands für Taten, die wiederholt, aus Gewinnsucht oder in Bezug auf eine große Zahl von Wirbeltieren begangen oder versucht werden, mit Geldstrafe oder Freiheitstrafe bis zu fünf Jahren,
• Einführung eines minderen Straftatbestands für Taten, die aus Leichtfertigkeit begangen werden, mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
Der Entwurf enthält weder ein Verbot von Lebendtierexporten in Drittstaaten noch Mindestanforderungen an den Brandschutz. Beides setzt „Nutztiere“ regelmäßig grausamen Leiden aus.
Ausblick
PROVIEH wird sich im parlamentarischen Verfahren weiterhin für eine Beendigung von Anbindehaltung, Qualzucht und Verstümmelungen in der Nutztierhaltung einsetzen. Der vorliegende Entwurf genügt weder dem Staatsziel Tierschutz noch der Forderung der Gesellschaft nach mehr Tierwohl. Die aktuelle politische Situation ist für den Tierschutz schwierig. Die Regierungskoalition ist uneins und in Deutschland wie in Europa werden die konservativen Stimmen immer lauter. Gerade deshalb muss die laufende Reform des Tierschutzgesetzes zu einem Erfolg für die Tiere werden. PROVIEH braucht dabei Unterstützung. Lobbyieren Sie mit uns für ein besseres Tierschutzgesetz in den sozialen Medien, in Ihrem Umfeld und bei Ihren lokalen Politiker:innen.
Andreas Schenk
Weitere Informationen finden Sie auf unserer Kampagnenseite
Dieser Artikel ist erschienen im PROVIEH-Magazin „respektiere leben. 2/24