Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

Tierleid durch Entwicklungsarbeit in Kenia

Eine Milchbar in Kenia

Das Halten von Milchkühen hat in Kenia mehr als nur Tradition. 2020 konnten Wissenschaftler:innen erstmals nachweisen, dass dort bereits vor 5.000 Jahren Milch erzeugt und konsumiert wurde. Auch heute spielt die Milchviehhaltung in Kenia noch eine wichtige Rolle, denn Kenia ist der größte Milchproduzent in Ostafrika. Die Milchproduktion liegt vor allem in den Händen der Kleinbäuer:innen. Sie machen 70 bis 80 Prozent der Milchproduktion des Landes aus. Im Durchschnitt bewirtschaften sie 1,2 bis 2,0 Hektar große Gemischtbetriebe mit ein bis vier Milchrindern. Neben der Milchproduktion für den Eigenbedarf und Verkauf werden Milchrinder als Düngerlieferanten für die Pflanzenproduktion und als Geldanlage gehalten. So kann durch den Verkauf von einer Milchkuh beispielsweise der Krankenhausaufenthalt eines Familienmitglieds bezahlt werden. Daher spielen Milchkühe gerade für Kleinbäuer:innen eine wesentliche Rolle und werden mit größter Sorgfalt behandelt.

Einführung exotischer Milchviehrassen

Die kommerzielle Milchproduktion mit exotischen Rassen wie Holstein Friesian, Ayrhire oder Jersey ist ein relativ neues Phänomen und wurde erstmals im 20. Jahrhundert von Kolonialbäuer:innen eingeführt. Erst nach der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren begannen Kenianer:innen, Zugang zu diesen exotischen Rassen zu bekommen. Heutzutage betreiben die meisten Landwirt:innen, befeuert durch verschiedenste Projekte der Entwicklungszusammenarbeit, kommerzielle Milchproduktion. Die meisten von ihnen halten exotische Rassen oder deren Kreuzungen, da sie mehr Milch produzieren als lokale Rassen.

Ein Schwarzbuntes Rind in Kenia

Milchproduktion mit exotischen Rassen bringt viele Herausforderungen mit sich

Doch neben dem Verlust von wertvollen genetischen Ressourcen der indigenen Rinderrassen brachte und bringt die Einführung der exotischen Rassen viele Herausforderungen für die Landwirt:innen mit sich. Denn die exotischen Rassen sind aufgrund ihrer höheren Leistungsfähigkeit viel anspruchsvoller als lokale Rassen.

Bedarfsgerechte Ernährung und Unterbringung für Kleinbäuer:innen nicht leistbar

Rinderstall in Kenia

Ein Hauptproblem ist die bedarfsgerechte Ernährung und Unterbringung der Tiere. Denn aufgrund von Flächenknappheit und dem Klimawandel ist die Bereitstellung einer gleichbleibenden Futterqualität und Menge eine tägliche Herausforderung. Zusätzlich fehlen den Landwirt:innen häufig die finanziellen Mittel, um einen Unterstand für die Tiere zu bauen. Dies führt zu dünnen, anfälligen Kühen mit einer sehr geringen Milchleistung, da die Tiere unter Stress, aufgrund der Umweltbedingungen wie Hitze, Wind und Regen, leiden. Laktierende Kühe produzieren bereits viel Stoffwechselwärme. Mehr Milchmenge bedeutet auch mehr Stoffwechselwärme. Werden sie zusätzlich der prallen Sonne, ohne eine Möglichkeit zum Abkühlen, ausgesetzt, fressen die Kühe weniger. Außerdem erhöhen Wind und Regen den Energiebedarf der Tiere. Wenn sie nicht mit zusätzlichem Qualitätsfutter oder einem geeigneten Unterstand versorgt werden, verbrauchen sie ihre Körperreserven.

Unterversorgung mit Wasser ist an der Tagesordnung

Ein Rind frisst Blätter

Auch eine bedarfsgerechte Wasserversorgung der Tiere ist für viele Kleinbäuer:innen nicht leistbar. Bei einer Milchleistung von 15 Litern pro Tag und einer Außentemperatur von 28 Grad benötigt eine Kuh rund 100 Liter Wasser. Aber die Bereitstellung einer so großen Wassermenge ist in der Trockenzeit in Kenia unvorstellbar. Denn wenn das Wasser aus den Zisternen verbraucht ist, ist es Aufgabe der Frauen, dass Wasser vom nächstgelegenen Brunnen zu holen. Dies geschieht je nach Ressourcen der Familie mit Motorrad, Esel oder zu Fuß. Da dies eine unglaubliche Kraftanstrengung ist und auch die Brunnen nicht unerschöpflich sind, wird in dieser Zeit jeder Tropfen Wasser gespart und auch die tägliche Hygiene beschränkt sich auf eine einfache Katzenwäsche. Somit sind exotische Milchkühe in der Trockenzeit chronisch unterversorgt mit Wasser.

Parasitenbefall schwächt die Tiere zusätzlich

Aufgrund der nicht bedarfsgerechten Fütterung sind die exotischen Kühe prädestiniert für den Befall mit Parasiten. Sowohl Zecken als auch Würmer bevorzugen angeschlagene Tiere. Zecken übertragen häufig tödliche Krankheitserreger und verursachen Lähmungen und Verletzungen, die zu Sekundärinfektionen führen können. Zecken und durch Zecken verursachte Krankheiten haben daher schwerwiegende Folgen für die Milchproduktion. Um dem Problem Herr zu werden, müssen Landwirt:innen massiv chemische Mittel zur Zeckenbekämpfung einsetzen. Dies hat dazu geführt, dass die Resistenzbildung bei Zecken in Kenia enorm zugenommen hat und Rückstände dieser Mittel in Milch und Fleisch zu finden sind. 

Auch Würmer entziehen dem Tier wichtige Nährstoffe, was zu schlechter Gesundheit, langsamen Wachstumsraten, geringer Produktivität, schlechten Empfängnisraten und der Geburt von kränklichen Kälbern führt. Doch auch hier ist die Resistenzbildung der Würmer gegen Wurmkuren auf dem Vormarsch. Denn die Unterdosierung von Wurmkuren ist in Kenia ein schwerwiegendes Problem. 

Die meisten Produkte werden mit englischen Gebrauchsanweisungen und Anweisungen zur sicheren Handhabung verkauft und nicht in der Landessprache, die von den lokalen Benutzer:innen verstanden werden kann. Hinzu kommt der hohe Anteil an Analphabet:innen. Auch die Kosten des Medikaments führen häufig zu einem sparsamen Umgang. 

Ein Verletztes Rind

Tierärztliche Versorgung häufig außer Reichweite

Bei der Behandlung von gesundheitlichen Problemen der Tiere sind die Landwirt:innen häufig auf sich allein gestellt. Der Besuch der Tierärzt:in ist teuer und nicht alle Landwirt:innen können sich diesen leisten. Dies hat dazu geführt, dass nicht ausgebildete Menschen tierärztliche Leistungen für einen geringeren Preis anbieten. Häufig hat diese unsachgemäße Behandlung dramatische Folgen für Mensch und Tier. Stirbt eine Kuh, geraten vor allem Landwirt:innen, die nur eine Milchkuh halten, in einen Teufelskreis. Denn ohne weitere Milchproduktion fehlt ein wichtiger Einkommenszweig und der Kauf einer neuen Kuh ist nicht realisierbar.

Abkehr von kolonialem Denken in der Entwicklungszusammenarbeit notwendig

Um unnötiges Leiden von Mensch und Tier zu reduzieren, braucht es eine Abkehr von den exotischen Rassen in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Kenianische Bäuer:innen tragen einen unglaublich reichen Schatz an traditionellem Wissen von der pflanzlichen Behandlung von Parasiten bis zur Zucht von widerstandsfähigen Tieren. Viel zu häufig wird dieses Wissen missachtet. Projekte der Entwicklungszusammenarbeit sollten einen größeren Fokus auf das Zuhören legen. Denn wer sollte es besser wissen als ein Volk, das seit 5.000 Jahren Milchkühe hält und Rassen gezüchtet hat, die optimal an die regionalen Gegebenheiten angepasst sind?

Ann-Kristin Saurma

Dieser Artikel ist im PROVIEH Magazin „respektiere leben“ 3/2023 erscheinen.

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