Endlich mehr Tierschutz?

Pläne der Politik zum Umbau landwirtschaftlicher Tierhaltung

Tiere in der sogenannten Nutztierhaltung leiden an ihrer Haltung, an der Zucht, an Krankheiten und den Transport- und Schlachtbedingungen. Um den Tierschutz bei landwirtschaftlichen Tieren umfassend zu verbessern, muss daher an vielen Schrauben gedreht werden. Viele der Tierleid verursachenden Faktoren können nur schwer einzelbetrieblich angegangen werden, weil der harte Wettbewerb auf dem Markt schon kleine Verbesserungen der meist tierquälerischen Nutzungsbedingungen oft unmöglich macht. Schon kleinste Verbesserungen im Platzangebot, in der Wachstumsdauer oder in der Milch- oder Fleischmenge führen häufig dazu, dass landwirtschaftliche Betriebe bei den extrem niedrigen Preisen nicht mehr kostendeckend arbeiten können. Vor diesem Hintergrund ist eine deutliche Verbesserung des Tierschutzes über den Markt nur schwer umzusetzen und braucht strukturelle Anpassungen durch die Politik.

Damit der Systemwechsel hin zu einer tierschutzkonformen und bedürfnisorientierten Form von Tierhaltung schnellstmöglich erfolgt und jedes Tier mitnimmt, braucht es ein umfassendes und ambitioniertes politisches Maßnahmenpaket. Denn es braucht neben Verboten und strengeren Mindeststandards die umfassende Unterstützung für Bäuerinnen und Bauern: Vermarktungsförderung, erleichterte bauliche Anpassungen und finanzielle Förderkonzepte sind gefragt. 

Maßnahmenpaket der große Wurf für mehr Tierschutz?

Die Bundesregierung – aus SPD, Bündnis 90/ die Grünen und FDP – arbeitet an genau einem solchen Maßnahmen-Paket zur Förderung des Tierwohls in der Landwirtschaft. Das hat sie zum Fokus im Koalitionsvertrag gemacht und mittlerweile bereits die meisten Gesetzentwürfe angestoßen. Neben der verpflichtenden Haltungskennzeichnung sind dies Anpassungen im Baurecht, ein Finanzierungskonzept und auch Anpassungen im Tierschutzgesetz im Gesetzgebungsverfahren. PROVIEH hat für genau diese politischen Maßnahmen seit vielen Jahren gestritten und kann die Gesetzesvorhaben daher uneingeschränkt begrüßen. Eigentlich müsste der Tierschutz Grund zum Jubeln haben – leider ist das nicht der Fall. Denn die konkreten Gesetzentwürfe gehen allesamt am Ziel vorbei: mit der geplanten Haltungskennzeichnung, mit den finanziellen Förderkonzepten und den Tierwohl-privilegierten Baugenehmigungen werden gar tierquälerische Haltungsformen politisch gefördert. In das politische Förderkonzept fallen beispielsweise Schweinehaltungen, in denen die Tiere dichtgedrängt, ohne Zugang nach Draußen, ohne Einstreu und ausreichend Beschäftigung noch immer zuwider ihren Bedürfnissen gehalten werden. Besonders bitter ist daran, dass tatsächliche Vorreiterländer in der EU wie beispielsweise Österreich genau solche Haltungsbedingungen verbieten. Und in Deutschland sollen diese gefördert werden – das muss verhindert werden! Wie sehen die Pläne der Bundesregierung konkret aus? Grundsätzlich führt die Bundesregierung das Maßnahmenpaket zunächst für Schweine ein, andere Tierarten sollen später bedacht werden. 

Geplante verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung: Verbrauchertäuschung statt Transparenz

Das erste große Gesetzvorhaben der Ampel-Regierung besteht dahin, endlich eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung für tierische Produkte einzuführen. Eine solche verpflichtende Kennzeichnung hat PROVIEH jahrelang vehement gefordert, um die Transparenz über die Haltungsbedingungen landwirtschaftlicher Tierhaltung zu verbessern und Menschen eine informierte Kaufentscheidung zu ermöglichen. Das nun geplante Kennzeichen droht absolut ins Gegenteilige zu wirken: Die heute übliche tierquälerische Schweinehaltung wird mit drei Haltungsformen schön-gelabelt und Verbraucher:innen als gute Haltungsbedingungen vermittelt. Mit dem staatlichen Haltungskennzeichen droht Verbrauchertäuschung und weiterhin fehlende Orientierung.

Finanzielles Förderkonzept: gut gemacht, aber unterfinanziert

Ein entscheidendes Mittel für den zügigen und flächendeckenden Umbau landwirtschaftlicher Tierhaltung ist die finanzielle Förderung für Landwirtinnen und Landwirte. Denn der Umstieg von einer konventionellen Schweinehaltung auf eine tiergerechte Schweinehaltung – mit viel mehr Platz, Zugang nach Draußen, Beschäftigung und Einstreu – führt zu hohen Kosten. Erst müssen die Ställe mittels hoher Investitionskosten umgebaut werden und auch die laufenden Kosten sind deutlich höher, weil weniger Tiere mit mehr Arbeits- und Ressourcenaufwand gehalten werden als heute üblich. Um den Wandel in der landwirtschaftlichen Tierhaltung innerhalb von Freihandel schnellstmöglich und flächendeckend zu realisieren, ist eine finanzielle Unterstützung der Betriebe nötig und aus Sicht von PROVIEH sinnvoll. Die Bundesregierung hat bereits einen Gesetzentwurf zur Förderung von Schweinehaltung vorgelegt. PROVIEH bewertet diesen weitestgehend positiv. Grundvoraussetzungen für eine finanzielle Förderung sind großzügige Ställe mit Zugang nach Draußen. Aber auch die Unversehrtheit der Tiere, die Ausbildung der tierbetreuenden Personen und eine regelmäßige und umfassende tierärztliche Beratung sind sinnvolle Anforderungen zur Förderung des Tierwohls. Leider ist das Finanzierungskonzept trotzdem mangelhaft, denn die finanziellen Mittel sind leider völlig unzureichend. Bislang sind nämlich nur 150 Millionen Euro Fördersumme vorgesehen, Experten kalkulieren für einen Umbau der gesamten Schweinehaltung jedoch mit etwa 10 Milliarden Euro. Daher ist die geplante Finanzierung ein Tropfen auf dem heißen Stein und muss unbedingt deutlich ausgebaut werden.

Erleichterte Baugenehmigungen: Förderung von tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen 

Eine weitere wesentliche, notwendige Grundlage zur Förderung des Umbaus landwirtschaftlicher Tierhaltung besteht darin, erleichterte Baugenehmigungen für bauliche Anpassungen von Haltungssystemen zur Förderung des Tierwohls zu erteilen. Andernfalls warten landwirtschaftliche Betriebe häufig mehrere Jahre auf eine Baugenehmigung und werden in ihren Umbauplänen aufgehalten. Durch die privilegierten Baugenehmigungen auf Grundlage von Tierwohlfaktoren würde es Betrieben deutlich leichter gemacht ihre Ställe umzubauen. Die Transformation der Haltungssysteme könnte dadurch schneller in die Fläche kommen. Entscheidend bei diesem Vorhaben wäre, dass die gesetzliche Grundlage nur solche Haltungssysteme als förderwürdig einstuft, die das Tierwohl deutlich verbessern. Und das ist aktuell leider nicht der Fall. Der bestehende Gesetzentwurf der Ampel-Regierung fußt auf den Stufen der Tierhaltungskennzeichnung, die PROVIEH umfassend kritisiert. Insbesondere durch die Förderung der Haltungsform „Frischluftstall“ werden Haltungssysteme von Schweinen für weitere 20 Jahre zementiert, die durch fehlenden Zugang nach Draußen, Vollspalten, fehlende Struktur und Beschäftigungsarmut den Bedürfnissen von Schweinen zuwider sind. PROVIEH fordert daher eindringlich, statt der Stufen des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes die für Schweine wichtigsten Haltungsanforderungen dem Gesetz zugrunde zu legen. 

Was komplett fehlt: die Verbesserung von gesetzlichen Mindeststandards 

Aktuell nicht vorgesehen sind Anpassungen in den gesetzlichen Mindeststandards: Mindestanforderungen an die Haltung, an den Transport oder die Schlachtung sollen zur Förderung des Tierschutzes nicht verbessert werden. Somit werden landwirtschaftlichen Betrieben zwar Anreize zur Verbesserung ihrer Tierhaltung angeboten, verbindlich ändern müssen sie jedoch noch immer nichts. Schweinehaltung wird somit auch nach den politischen Plänen zur Förderung des Tierwohls weiterhin geprägt sein durch eine tierquälerische Haltung und ein Abschneiden von Ringelschwänzen und Eckzähnen als Anpassung an die Haltungsbedingungen.

Auch die Qualzucht, viel zu lange Transporte bei Hitze und ein grauenvoller Erstickungstod durch die Betäubung mittels CO2-Gas vor der Schlachtung sind weiterhin zulässig. Für PROVIEH ist das mehr als enttäuschend, besonders nach den vielversprechenden Ankündigungen im Koalitionsvertrag und unter einem grünen Landwirtschaftsminister. Wenn die Politik sich auf die Fahne schreibt, Tierschutz und Tierwohl in der Landwirtschaft zu verbessern, dann auch bitte verbindlich!

PROVIEHs wichtigste Forderungen an die Politik

  • Gesetzliche Mindestanforderungen an die Haltung, an die Züchtung, an Transport und Schlachtung endlich umfassend verbessern und das Staatsziel Tierschutz umsetzen
  • Abschneiden von Ringelschwanz und Eckzähnen bei Schweinen, Schnäbeln bei Puten und Hörnern bei Rindern konsequent verbieten und Haltung entsprechend tiergerecht umbauen
  • Bäuerliche Landwirtschaft beim Systemwechsel unterstützen: Artgemäße Tierhaltungsverfahren durch Finanzierung, Baugenehmigungen und Kennzeichnung wirksam fördern
  • Transparenz und Orientierung hinsichtlich Tierwohl im Einkauf fördern: Tierquälerische Haltungsbedingungen aufdecken und artgemäße Haltungsformen förderlich kennzeichnen
  • Kontrollen von landwirtschaftlichen Betrieben, Züchtungsunternehmen, Transport- und Schlachtstellen ausbauen und durch diese effektiv Tierleid verhindern

PROVIEH appelliert an Politik: Gesellschaftsforderung umsetzen und Rückgrat zeigen

Es ist nicht das erste Mal, das die Politik umfassenden Tierschutz zum Koalitionsbeginn angekündigt und am Ende nur verschwindend wenig umsetzt. Dieses Mal scheint die Umsetzung der Vorhaben trotz allem noch zum Greifen nahe. Die Gesetzesvorhaben zielen alle in die richtige Richtung. Nun braucht es den öffentlichen Druck der Gesellschaft, der unmissverständlich klar macht: So nicht! Der Umbau von Tierhaltung muss wirksam ein deutlich verbessertes Tierwohl hervorbringen und schädliche, Tierleid verursachende Faktoren abstellen. Vor allem die FDP muss als Verhinderungsfraktion von der Bremse gehen und sich hinter die Koalitionsvorhaben stellen.

Anne Hamester

PROVIEH braucht breite Unterstützung, um sich erfolgreich für das Wohlergehen von Tieren in der Landwirtschaft einzusetzen. Ihre Spende macht uns stärker! 

Dieser Artikel ist im PROVIEH-Magazin „Respektiere leben.“ 02-2023 erschienen.

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