Wie alt werden eigentlich „Nutztiere“?

Morgens ein Käsebrötchen und einen Kaffee mit Milch, etwas Rührei mit Speck oder ein Müsli mit Kuhmilch – für die meisten Menschen in Deutschland ein ganz normales Frühstück. Nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung ernähren sich rein pflanzlich, 98 Prozent der Menschen hierzulande konsumieren mehr oder weniger regelmäßig tierische Lebensmittel. Doch woher stammen diese Nahrungsmittel? Um unseren riesigen Hunger nach tierischen Lebensmitteln zu stillen, werden vor allem mithilfe der industriellen Intensivtierhaltung massenhaft Fleisch, Milch und Eier „produziert“. 

Wie alt werden diese Tiere aus industrieller Haltung eigentlich?

Tiere, die zur Fleischproduktion gehalten werden, nehmen in sehr kurzer Zeit sehr viel Gewicht zu. Ein Mastschwein in Intensivtierhaltung wird gerade einmal 6 Monate alt und landet, wie die meisten Tiere in der Fleischproduktion, bereits im Kindesalter beziehungsweise vor der Geschlechtsreife im Schlachthof. Danach wird der Platz im „Stall“ erneut belegt. Auf dem Weg zum Schlachthof, besser gesagt dem Weg in den Transporter, sieht ein Tier aus industrieller Haltung oft das erste und einzige Mal im Leben den freien Himmel. Mit dem Wort Stall verbinden viele Menschen die Haltung von Tieren in einer Scheune und entspannte Tiere auf Stroh. In der Realität stehen allerdings oft mehrere hundert oder gar tausend Tiere dicht gedrängt auf Beton, Spaltenböden, Gittervolieren oder feuchter Einstreu ohne Zugang zum Freien. Ein Stall mit rund 40.000 Masthühnern ist keine Seltenheit, sondern die Regel.

Rinder und Hühner, die zur Milch- und Eiergewinnung gehalten werden, dürfen etwas länger leben als Tiere in der Fleischproduktion. Besonders extrem ist die Diskrepanz bei den Masthühnern zwischen natürlicher Lebenserwartung und der „Nutzungsdauer“, wie es in der Landwirtschaft heißt. Sie werden in Rekordtempo auf ihr Schlachtgewicht gebracht und ihr kurzes Leben ist bereits nach 5 Wochen zu Ende. Dann sind sie „schlachtreif“. In dieser kurzen Zeit hat ein Masthuhn ein Vielfaches seines ursprünglichen Körpergewichtes zugenommen. (Abb. s. u.) Legehennen wachsen deutlich langsamer und sollen dann möglichst viele Eier produzieren. Auch Milchkühe dürfen entsprechend älter werden als zum Beispiel Mastbullen.

Das Alter, das Rind, Schwein und Huhn in der Landwirtschaft erreichen, liegt deutlich unter der natürlichen Lebenserwartung. Dies gilt für alle Tiere, die wir uns zum Nutzen halten. Milchkühe werden etwa fünf bis sechs Jahre alt, Mastrinder etwa 18 bis 20 Monate. Legehennen werden etwa 16 Monate genutzt und dann als Suppenhühner geschlachtet. Auch bei den Schweinen werden die Masttiere früh getötet, während die Sauen für die „Ferkelerzeugung“ hingegen etwa drei Jahre lang leben dürfen.

Warum werden unsere sogenannten Nutztiere so früh getötet?

Die industrielle Intensivtierhaltung ist die treibende Kraft hinter dem Angebot von billigem Fleisch sowie anderen tierischen Lebensmitteln und beschreibt die hochspezialisierte massenhafte Produktion tierischer Erzeugnisse: Hier werden Tiere vor allem als Produktionseinheiten begriffen. Die Intensivtierhaltung ist auf eine möglichst hohe ökonomische Effizienz ausgerichtet und arbeitet dementsprechend mit hohen Besatzdichten, das heißt sehr viele Tiere werden auf möglichst engem Raum gehalten. Eine individuelle Betreuung der Tiere ist kaum umsetzbar und das Wohl der Tiere spielt eine eher untergeordnete Rolle. Die Auslebung von arteigenen Bedürfnissen und Verhaltensweisen wird massiv eingeschränkt und die Tiere zeigen zum Teil starke Verhaltensauffälligkeiten. Hochleistungszucht und Haltungsbedingungen wirken sich negativ auf die Gesundheit der Tiere aus. Je höher der Gewinn pro Tier beziehungsweise pro Quadratmeter Stallfläche sein muss, desto intensiver die Tierhaltung. Das rein ökonomische Denken führt dazu, dass die Tiere ein immer kürzeres Dasein fristen, weil die zu Hochleistungen gezwungenen Milchkühe, Sauen und Legehennen bereits nach wenigen Jahren zu ausgelaugt sind, um noch Maximalleistungen zu bringen. Lässt ihre Milch- und Legeleistung nach, werden sie aussortiert und durch Jungtiere ersetzt.

Nutztiere in der Intensivtierhaltung


Dass die Ausrichtung der Tierindustrie auf Gewinnmaximierung und die damit einhergehende Zucht auf Hochleistung immer auf Kosten der Gesundheit und des Wohlbefindens der Tiere gehen, zeigt sich am Beispiel der Hühner: Eine hohe Legeleistung und schneller Fleischansatz schließen sich genetisch aus. Deshalb wurden unterschiedliche Hochleistungslinien gezüchtet: Es entstanden auf der einen Seite rasant wachsende Masthühner, die nur auf eine schnelle Gewichtszunahme und das Ansetzen von Fleisch getrimmt sind und auf der anderen Seite Legehennen, die einzig für die Produktion möglichst großer Mengen Eier gezüchtet wurden. Legehennen erkranken häufig an Osteoporose und Brustbeindeformationen und Masthühner leiden an Beinerkrankungen und Herz-Kreislauf-Problemen. So kommt es zum Beispiel vor, dass ein Masthuhn, das in allerkürzester Zeit auf sein Schlachtgewicht gemästet wird, vornüber auf den schweren Brustmuskel fällt, weil der Körper das Gewicht nicht mehr halten kann. Die Hochleistungszucht sieht es gar nicht vor, dass die Tiere ein höheres Alter erreichen und bringt schon in der vorgesehenen Lebensdauer gesundheitliche Probleme mit sich. Daher benötigen diese Tiere selbst während der kurzen Mast oft Medikamente wie Antibiotika. Diese Probleme können nur behoben werden, wenn nicht mehr die Hochleistung das vorrangige Zuchtziel ist. Im Übrigen sollte das Tierschutzgesetz endlich ernst genommen und konsequent umgesetzt werden. Nach §3 Absatz 1 des Tierschutzgesetzes ist es verboten, einem Tier Leistungen zuzumuten, denen es nicht gewachsen ist. Dies ist bei Legehennen wie auch Masthühnern eindeutig der Fall.

Abb.

Gibt es eine Alternative?

Eine Alternative zur intensiven ist die extensive Landwirtschaft, vorzugsweise mit robusten alten Rassen. Während die Hochleistungsrassen oft eine spezielle Pflege und genau abgestimmtes Futter brauchen, sind ältere Rassen robust und verhältnismäßig anspruchslos. Alte Nutztierrassen kommen oft gut mit nasskaltem oder sehr trockenem Klima zurecht, sind gute Futterverwerter, sehr fruchtbar und widerstandsfähiger gegen Krankheiten. Außerdem wachsen sie langsamer und leben länger. In einer echten Freilandhaltung werden die Tiere gut und gerne doppelt oder dreimal so alt wie ihre Artgenossen in intensiver Haltung.

PROVIEH kämpft für ein Ende der oft tierquälerischen Haltungsbedingungen in der industriellen Intensivtierhaltung und für den Umstieg auf eine wertschätzende und tierfreundliche Landwirtschaft. Wirtschaft und Politik müssen die Tierhaltung grundlegend neu denken. Die Zukunft liegt für PROVIEH in der Haltung von robusten Rassen in ganzjähriger Freiland- oder Weidehaltung, in der die Tiere ihre natürlichen Bedürfnisse ausleben dürfen. Aber auch wir Konsumentinnen und Konsumenten können mit unserem Kaufverhalten zu einer besseren Tierhaltung beitragen, denn diese gibt es nicht zum Nulltarif. Durch einen gemäßigten, bewussten Konsum von tierischen Lebensmitteln aus Initiativen, die Wert auf gesunde Tiere und eine gute Haltung legen, sowie eine angemessene Bezahlung von Eiern, Milch und Fleisch, könnte Tierleid durch Hochleistungszuchten schon bald der Vergangenheit angehören.

Sandra Lemmerz, PROVIEH e.V.


Dieser Artikel ist im PROVIEH-Magazin “respektiere leben.” 02-2022 erschienen.


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