Bundeslandwirtschafts-Minister stellt Haltungskennzeichnung vor: entscheidende Kriterien fehlen
Haltungskennzeichnung des BMEL nicht im Sinne des Tierschutzes – dringende Nachbesserungen nötig
Berlin, 07.06.2022: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat heute in Berlin die Eckpunkte für die kommende gesetzlich verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung, zunächst für das Schwein, vorgestellt. Diesen wichtigen Schritt fordert PROVIEH seit Jahren und hat im letzten Wahlkampf den Druck noch einmal mit einer gezielten Kampagne zusammen mit dem Bioanbauverband Naturland erhöht. PROVIEH kritisiert das heute vorgestellte Eckpunktepapier: Die Haltungskennzeichnung des BMEL enthält erhebliche Baustellen! Durch die viel zu niedrig angesetzte Einstiegsstufe und die Einführung einer exklusiven Bio-Stufe wird eine große Chance für mehr Tierschutz und Fairness verpasst. Und noch viel schlimmer: Statt den gesamten Lebenszyklus der Tiere einzubeziehen, soll lediglich die Mast zertifiziert werden.
“Das vorgestellte Konzept enthält gravierende Mängel. Besonders hervorzuheben ist die Beschränkung der Kennzeichnung lediglich auf den Abschnitt der Mast. Das bedeutet im schlimmsten Fall, dass Schweinefleisch aus der Premiumstufe aus der allerschlechtesten Ferkelaufzucht stammen kann. Das kann nicht der Sinn einer Tierhaltungskennzeichnung sein”, so Patrick Müller, Hauptstadtreferent bei PROVIEH. „Eine verlässliche Haltungskennzeichnung muss eine einfache Orientierung an der Ladentheke ermöglichen, damit sich Verbraucher:innen gezielt für bessere Tierhaltungsbedingungen entscheiden können. Und vor allem: Es muss das gesamte Leben des Tieres, von der Geburt bis zur Schlachtung mit zertifiziert werden – das BMEL muss hier erheblich nacharbeiten!“
Viele Jahre wurde um die Tierhaltungskennzeichnung gerungen, von mehreren Ministern und zuletzt von Bundesministerin Klöckner wurden Label zum Tierwohl und der Tierhaltung versprochen und letztlich wieder verworfen. Die Kennzeichnung von Bundesminister Özdemir sorgt endlich für mehr Planungssicherheit bei den Betrieben. Positiv hervorzuheben ist die geplante Ausweitung auf die Gastronomie, auf weitere Tierarten und auf verarbeitete Produkte innerhalb der Legislaturperiode. Ein besonders wichtiges Ziel wird jedoch verfehlt: Die Güte der Tierhaltung wird nicht in ihrer Gesamtheit bewertet, sondern nur der „produktive Lebensabschnitt“. Eine umfassende Orientierung für Verbraucherinnen und Verbraucher über den gesamten Lebenszyklus des Tieres wird nicht geschaffen.
Das heute vorgestellte Eckpunktepapier sieht fünf Stufen für die Tierhaltungskennzeichnung vor, die keiner klaren Rangierung folgen. Eine einfache, für jeden verständliche Möglichkeit wäre die Verwendung von Farben in Verbindung mit Zahlen oder Buchstaben, zum Beispiel aufsteigend geordnet hin zu mehr Tierschutz. Stattdessen sind die Stufen lediglich mit „Stall“, „Stall plus Platz“, „Frischluftstall“, „Auslauf/Freiland“ und „Bio“ benannt. PROVIEH bemängelt dieses Vorgehen, da die Begriffe wenig aussagekräftig sind. Die beste Tierhaltung ist für Verbraucher:innen nur schwer erkennbar und kann im jetzigen System zum Teil sogar in vorletzter Stufe liegen, da Bio pauschal vorgezogen wird und konventionelle Betriebe mit Freilandhaltung es nicht in die höchste Stufe schaffen. Gleiche Haltungsbedingungen nur aufgrund der fehlenden ökologischen Wirtschaftsweise minderwertig zu bewerten, ist fachlich nicht zu begründen. Weiterhin fehlen wichtige Kriterien wie beispielsweise Einstreu, Tierwohlindikatoren oder der Anteil von Spaltenboden innerhalb der Stufen – hier wird sich ausschließlich auf Außenklima, Platz und Auslauf bezogen. Dies ist deutlich zu wenig, um eine tierschutzgerechte Haltung zu bewerten.
Einstiegsstufe unzureichend – geschlossene Biostufe diskriminierend
Ein weiteres großes Problem ist die Einstiegsstufe „Stall plus Platz“. Die ohnehin begrenzten Kriterien liegen hier nur wenig über dem gesetzlichen Mindeststandard, was eine Anhebung des gesetzlichen Mindeststandards in naher Zukunft unmöglich macht. Eine mögliche Lösung dieses Problems wäre, „Stall plus Platz“ direkt zum gesetzlichen Mindeststandard zu erheben. Dies ist jedoch bisher nicht vorgesehen. Das von PROVIEH vorgelegte Modell hätte hier einen deutlich besseren Weg aufgezeigt, die Initiative Tierwohl mit ins Boot zu holen. Auch für die Ökologische Tierhaltung eine eigene exklusive Stufe in einem Haltungskennzeichen vorzubehalten ist wenig zielführend. Die Vorteile im ökologischen Landbau sind unbestritten – das ökologisch gehaltene Mastschwein lebt jedoch nicht zwangsläufig besser als ein gut konventionell gehaltenes Schwein. Für die höchste Stufe wären sinnvolle Kriterien für die Haltung und den Gesundheitszustand, den Transport und die Schlachtung der Tiere deutlich angebrachter als nur ein Öko-Zertifikat. So jedoch werden besonders gut wirtschaftende, konventionelle Betriebe klar diskriminiert.
Fazit: Mit dem vorgelegten Konzept wird der strategische, politisch gesteuerte Umbau der Tierhaltung verfehlt. Im Gegenteil: Insbesondere durch die viel zu niedrige, dauerhaft angelegte Einstiegsstufe „Stall plus Platz“ wird schlechte Tierhaltung in Deutschland manifestiert. Auch fehlen wichtige Kriterien in den einzelnen Stufen, um dem Namen Tierhaltungskennzeichnung wirklich gerecht zu werden. PROVIEH fordert dringend Nachbesserungen, damit diese historische Chance für mehr Tierschutz nicht vertan wird.
Weitere Informationen finden Sie auf unserer Kampagnenwebseite und in unserem ausführlichen Konzept zur gesetzlichen Haltungskennzeichnung.