Der Müller und die Schafe

besser schlafen unter Schafen

Mit 13 Jahren wurde Dr. Bernd Nagel-Held Mitglied bei PROVIEH – über 40 Jahre später rief er das Projekt „Besser schlafen unter Schafen“ ins Leben. Wir freuen uns sehr darüber, dass wir heute in einem Interview darüber berichten können und danken ihm für seine langjährige Treue und sein gemeinnütziges Engagement. 

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Dr. Bernd Nagel-Held ist Geschäftsführer der Eickernmühle in Lemgo und Gründungsmitglied im Regionalvermarktungsverein Lippequalität. Dieser hat unter anderem die Stärkung des heimischen Handwerks zum Ziel.  

Herr Dr. Nagel-Held, Sie sind Müller von Beruf. Wie kamen Sie dazu, Wolle zu verarbeiten? 

Mit 17 Jahren habe ich mein erstes Spinnrad gekauft und angefangen, Wolle selbst zu verarbeiten. Das war 1980 und zu der Zeit nicht ganz so ungewöhnlich, wie es heute klingt. Auch damals wurde die Wolle schon zu billig bewertet, im Vergleich dazu, wie wertvoll sie eigentlich ist. Meine Frau und ich halten inzwischen seit zwanzig Jahren wieder ein paar Ostfriesische Milchschafe. Aus der Wolle haben wir Bettdecken machen lassen. Man braucht ja ein Hobby und die Idee mit den Bettdecken lebt bis heute. Es kamen immer wieder Nachfragen dazu und vor einem Jahr habe ich mich schließlich getraut und die Wolle von drei Bioschäfern aus der Umgebung gekauft. Die Decken daraus wurden uns geradezu aus den Händen gerissen und nach einem Bericht in der regionalen Zeitung waren alle Decken innerhalb von 36 Stunden ausverkauft. Inzwischen, nach einem Jahr, sind weit über 500 Decken und Kissen verkauft worden. Ich glaube, mich selbst hat dieser Erfolg am meisten überrascht. 

Was ist das Besondere an Wolle? 

Dr. Ing. Nagel Held mit seinen Schafen
Foto: © Dr. Ing. Bernd Nagel-Held

Wolle ist ein Naturphänomen! Sie wärmt bei Kälte, isoliert bei Wärme und kann bis zu 50 Prozent ihres Eigengewichts an Wasser aufnehmen. Schafe gibt es nahezu auf der ganzen Welt und die Wolle der Tiere ist jeweils perfekt an die vollkommen unterschiedlichen Klimazonen angepasst. Hoch im kalten Norden, im windig nassen England, in den Tiefebenen und Höhenlagen Mitteleuropas oder im Mittelmeerraum: Überall gibt es Schafrassen mit einer einzigartig angepassten und hoch geschätzten Wolle. Dabei muss die Wolle immer zwei Funktionen erfüllen: Das Schaf vor nächtlicher Kälte schützen und es an heißen Tagen temperieren. Wolle ist wie kein anderer Naturstoff dazu in der Lage. Zudem ist sie nur sehr schwer entflammbar, daher wird sie zum Beispiel auch in Formel 1 Fahrerkleidung verwendet. Ein wichtiges Argument für mich ist aber auch die Nachhaltigkeit. Wolle ist ein immer wieder nachwachsender Rohstoff, der vollkommen kompostierbar ist und sogar auch noch als Dünger eingesetzt werden kann.  

Wolle ist eine Faser mit einer sehr komplexen Struktur, teilweise sogar mit isolierenden Lufteinschlüssen. Dabei ist die Dicke der einzelnen Haare wichtig. Dünne Wollfasern, wie zum Beispiel von Merinoschafen, schmiegen sich an und geben nach, sie pieksen und kratzen nicht. Sehr gut für weiche Wollpullover geeignet, aber weniger für Bettdecken. Denn in der aufgekämmten Wolle für unsere Steppdecken soll die flauschige Struktur erhalten bleiben, in der die isolierende Luft eingeschlossen ist. Hier benötigen wir stabilere Haare, wie sie passenderweise unsere mitteleuropäischen Landrassen liefern. Zu hart und haarig darf die Wolle aber auch nicht sein, daher können wir keinen Schnucken- oder Skuddenwolle verwenden. 

Von welchen Schafen stammt die Wolle für ihre Bettdecken? 

Bei unseren Decken „Ravensbergqualität“ verwenden wir nur die Wolle der Herden der Anstalt Bethel, die rund um Bielefeld grasen. Diese Coburger Fuchsschafe sind eine alte Landrasse, der aber eine gewisse züchterische Ausrichtung in Richtung Fleischgewinnung anzumerken ist. Das ändert aber nichts an der Schönheit dieser Tiere, die eine durchaus robuste Wolle auf ihrem Rücken tragen. Die Wolle für unsere LippequalitätBettwaren stammt von verschiedenen Rassen aus Lippe, die in ökologischer Weidehaltung leben. Schafe lassen sich kaum wie andere Tiere mästen und im Stall halten. Daher sind eigentlich alle Schafe Weidetiere und nur im Winter im Stall. Dennoch gibt es Unterschiede, weshalb wir uns bewusst dafür entschieden haben, unsere Wolle nur von Schafen zu beziehen, deren Halter und deren Lebensbedingungen wir kennen, die in ökologischer Weidehaltung gehalten werden und möglichst auch im Winter Bio-Futter zugefüttert bekommen. Das ist teuer und nicht in jedem Fall zu leisten, aber für die überwiegende Zahl der Schafe trifft es zu. Fast alle Schafe gehören zu Bioland-zertifizierten Betrieben. Kleine Schafhalter, die ihre Schafe genauso gut halten, aber die Kosten der Zertifizierung scheuen, schließen wir deshalb aber nicht als Lieferanten aus.  

Wie werden aus der Wolle fertige Bettdecken?  

Zwei schafe schauen in die Kamera
Das Coburger Fuchsschaf ist eine alte
Landschafrasse mit honigbrauner,
schimmernder Wolle, die auch „das
goldene Vlies“ genannt wird.
Foto: © farbkombinat_stock-adobe.com

Das ist ein langer Weg. Zunächst werden die Schafe im Frühjahr geschoren. Dann muss die Wolle zu einer Wollwäscherei. Die letzte Wollwäscherei in Europa, die wir für unsere Zwecke nutzen können, ist in Belgien. Dort geht die gesamte Wolle hin, die in Europa geschoren und weiterverarbeitet wird – also auch unsere. Das ist ein echter Flaschenhalsbetrieb. Die stark lanolienhaltige Rohwolle wird dort in einer langen Waschstraße von Schmutz befreit, entfettet und getrocknet. Dann wird sie mit großen Kämmen vorsichtig gelockert und Lage für Lage aufgekämmt, bis ein lockeres Fließ in der gewünschten Dicke entsteht. Von der rund 2,5 Tonnen schweren Rohwolle, die wir mit unserem Mehllaster nach Belgien gefahren haben, blieben am Ende etwa 1,3 Tonnen „übrig“. Das reicht für etwa 1.000 Decken und Kissen. 

Schließlich wird diese watteartige Wolle händisch in einen Rahmen gehoben und mit dem Bio-Baumwollbezug umgeben. Die Steppung sorgt dafür, dass die Wolle nicht verrutscht. Dann werden noch die Kanten sauber vernäht und die Decke ist fertig. 

Was ist Ihre Motivation? 

Fast alle Schafbesitzer klagen darüber, dass das Scheren der Wolle oft mehr kostet, als sie einbringt.  Das finde ich unglaublich schade, denn Wolle ist so ein toller Rohstoff. Ich möchte zum einen die Vorzüge der Wolle wieder in das Bewusstsein der Menschen rücken, zum anderen will ich etwas für die Schäferinnen und Schäfer tun. Mit dem Deckenverkauf möchte ich dazu beitragen, den starken Rückgang der Schafhaltung aufzuhalten und dafür sorgen, dass die Schäfer wieder deutlich mehr Geld als bisher für ihre Wolle bekommen. Diese ökologisch wertvolle Tierhaltung soll sich für sie ein bisschen besser rechnen und davon profitieren wir letztlich alle. Viele unserer Kunden empfanden den Preis für handgemachten Decken als zu niedrig und rundeten beim Bezahlen großzügig auf. Darum wird es im web-shop ein Produkt „Urlaubsgeld für den Schäfer“ geben, welches gesammelt und an die Woll-Lieferanten durchgereicht wird. Eine ökologische Schafhaltung ist nicht nur gut für die Schafe, sondern auch für die Insekten, die von dem leben, was die Schafe fallen lassen. Die beweideten Grünflächen wiederum speichern mehr CO2 als Wälder und auch daher ist die Beweidung von Wiesen so wichtig. Darüber hinaus freut es mich, wenn regionale Produkte in der Region bleiben, verarbeitet und gebraucht werden. Wer nachts unter einer regionalen Bio-Wolldecke schläft, wird morgens mit mehr Hochachtung vor Schaf und Schäfer aufwachen. Auch um diese Wertschätzung geht es mir. Mit der Deckeninitiative habe ich ein idealistisches Projekt ins Leben gerufen, mit dem ich mir vorstellen kann, alt zu werden. Ich finde es ist wichtig, Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe zu übernehmen und möchte das auch an die nächste Generation weitervermitteln.  

Vielen Dank! 

Das Interview führte Christina Petersen 

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Wenn Sie Interesse an den Bettdecken oder Kissen haben, schreiben Sie eine E-Mail an: wolle@eickernmuehle.de 

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