Verbrauchertäuschung beim Verkauf von Milch

Das Label Haltungsform Milch verfehlt Anspruch auf Transparenz und Tierwohl

Auch für Milch hat der Lebensmitteleinzelhandel nun ein Label eingeführt. Hierfür werden verschiedene Haltungsformen in vier Stufen eingeordnet, die niedrigen Stufen 1 und 2 werden von zahlreichen Supermärkten prompt ausgelistet. Die Anforderungen der Stufen sind jedoch derart niedrig, dass selbst die Auslistung der Stufen 1 und 2 die Haltung von Milchkühen nur marginal verbessert. PROVIEHs Bewertung fällt düster aus: Weder für die Transparenz gegenüber Verbraucher:innen noch für das Tierwohl der Kühe schafft das Label einen Mehrwert. 

Status Quo der Milchviehhaltung 

Um die Minderwertigkeit der Haltungsform für Milchkühe zu erkennen, ist eine Übersicht über heutige Haltungsformen von Milchkühen und deren Tiergerechtheit notwendig. Mehr als 90 Prozent der Kühe in Deutschland werden in einem Laufstall gehalten, viele davon mit einem kleinen befestigten Laufhof, der als Auslauf dient. Etwa ein Drittel aller Milchkühe kommt zusätzlich auf die Weide und darf vom Frühjahr bis in den Herbst täglich raus aus dem Stall. Etwa zehn Prozent der Kühe müssen in Deutschland noch in der Anbindehaltung ihr Dasein fristen. Fast alle artgemäßen Verhaltensweisen und essenziellen Bedürfnisse des Rindes werden mit der Anbindehaltung beschnitten. Aus diesem Grund haben viele Molkereien die Anbindehaltung schon freiwillig in ihren Richtlinien ausgeschlossen. Die neue Bundesregierung hat ein Verbot angekündigt.  

Die Anforderungen der Stufen könnten niedriger nicht sein:  

  • Die Stufe 1 namens “Stallhaltung” enthält keine nennenswerten Haltungsanforderungen. Hierunter fällt auch die ganzjährige Anbindehaltung. 
  • Die Stufe 2 „Stallhaltung Plus“ umfasst neben der Laufstallhaltung auch die Anbindehaltung von Rindern, wenn die Bewegungsfreiheit zeitweise möglich ist, entweder in Kombination mit Weide, mit einer Bewegungsbucht oder einem Laufhof.  
  • In die Stufe 3 „Außenklima“ fällt die Haltung im Laufstall, entweder als Offenfrontstall oder mit einem Laufhof sowie die Weidehaltung. 
  • Die Stufe 4 „Premium“ kennzeichnet die Weidehaltung von Kühen und fordert zusätzlich einen Laufhof am Stall, der einen ganzjährigen Auslauf ermöglicht. 
Die Anbindehaltung (siehe Foto ganz oben)  mit einer zeitweiligen Bewegungsmöglichkeit fällt in die Haltungsstufe 2. Die Laufstallhaltung auf diesem Foto fällt in die zweitbeste Haltungsstufe 3.
Foto oben: © PROVIEH; Foto hier: © Countrypixel/stock-adobe.com

Stufen 2 und 3 fallen hinter üblichen Haltungsstandard zurück 

PROVIEH fordert, dass der Laufstall in Stufe 2 und die Verpflichtung zur Weidehaltung in Stufe 3 Mindestvoraussetzungen sind. Die Einordnung der Anbinde-Kombinationshaltung in Stufe 2 ist aus tierschutzfachlicher Sicht sowie hinsichtlich der Transparenz gegenüber Verbraucher:innen inakzeptabel. Die Anbindehaltung – ganzjährig wie saisonal – darf sich allenfalls in der Stufe 1 wiederfinden. Und dies auch nur, solange sie noch erlaubt ist, da die Stufe 1 den gesetzlichen Mindeststandard abbildet. Aus Tierschutzsicht ist diese Haltungsform komplett abzulehnen. Hinter der zweithöchsten Stufe 3 verbirgt sich neben der artgemäßen Weidehaltung ebenso die Haltung im Laufstall. Diese zeitgleiche Einstufung ist aus tierschutzfachlicher Sicht nicht nachvollziehbar. Und für die Konsumierenden bleibt unklar, welche Haltung hinter der Stufe steht. 

Label für Erhalt und Verbreitung der Weidehaltung ungünstig 

Die artgemäße Haltungsform auf der Weide ist im Vergleich zur Schweine- oder Geflügelhaltung in der Milchkuhhaltung in Deutschland noch weit verbreitet. Sie geht jedoch stetig zurück und muss erstens verteidigt und zweitens ausgebaut werden. Hierfür engagiert PROVIEH sich seit Jahren mit dem vielfältigen Bündnis “Pro Weideland”. Auch das Label Haltungsform Milch hätte hierzu beitragen können, indem die Weidehaltung in Stufe 3 zur Mindestvoraussetzung erklärt worden wäre. Die Weide mit der Laufstallhaltung gleichzusetzen, ist dagegen etwa so, wie den Kaltscharrraum in der Bodenhaltung als gleichwertig zur Freilandhaltung von Legehennen anzusehen. In jedem Falle sind die Anforderungen der Stufen 2 und auch 3 weder aus tierschutzfachlicher Sicht nachvollziehbar noch wird Verbraucher:innen damit im Kauf von mehr Tierwohl geholfen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Label stellt in jeder Stufe so viele ODER-Kriterien zur Option, dass das Kennzeichen zu maximaler Verwirrung führt. 

Wirtschaftliche Interessen Grund des Übels? 

Seit 2019 wird das Label Haltungsform sukzessive für verschiedene Tierarten eingeführt. Über die Anforderungen der vier Stufen entscheiden Vertretungen der Agrar- und Ernährungswirtschaft, allen voran die großen Lebensmitteleinzelhändler Aldi, Lidl, Edeka und Rewe, Unternehmen aus Fleisch- und Milchverarbeitung und Tierhaltung. Die Stufenanforderungen der Haltungsform für den Bereich Milch fallen deutlich hinter dem Niveau für Schweine-, Hähnchen- und Putenfleisch zurück – und das, obwohl die besonders artgemäße Weidehaltung einen nennenswerten Marktanteil einnimmt. Wieso man sich gerade hier dazu hat verleiten lassen, ist unklar. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass nun sowohl für den Lebensmitteleinzelhandel als auch die Molkereien durch die hohen Stufen mit den niedrigen Anforderungen ein großes Milchangebot zu niedrigen Kosten besteht, das sie lukrativ vermarkten können.  In den Reihen der Lebensmittelvermarktung scheinen alle Wünsche erfüllt. Nur die eigentlichen Ziele der Kennzeichnung werden weit verfehlt: Weder für die Transparenz gegenüber Verbraucher:innen noch als Beitrag zur Verbesserung von Tierwohl leistet das Label einen Beitrag. 

Anne Hamester 

21.01.2022

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