Putenhaltung in Deutschland

Ein Interview mit Prof. Dr. Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns der Universität Leipzig

Prof. Dr. Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns ist Direktorin an der Universität Leipzig für Vögel und Reptilien. Sie ist Fachtierärztin für Geflügelkrankheiten, EU certified avian specialist, und forscht unter anderem zum Einfluss von Haltung und Zucht auf Vogelkrankheiten und Bereich Tierschutz. Sie arbeitet seit 2007 bundesweit an Studien zur Putenhaltung und fertigte im Auftrag des österreichischen Gesundheitsministeriums das Gutachten “Anforderungen an eine zeitgemäße tierschutzkonforme Haltung von Mastputen” an, in dem ausführlich auf die massiven Tierschutzprobleme in der Putenhaltung eingegangen wird.

Wildlebende Puten sind einen Großteil des Tages mit der Futtersuche beschäftigt. Dafür laufen sie täglich mehrere Kilometer weit und picken und scharren am Boden. Sie sind Waldrandbewohner und fliegen nachts zum Schutz auf die Äste von Bäumen, um dort sicher zu schlafen. Puten leben je nach Jahreszeit in komplexen Sozialstrukturen und bilden eine Hackordnung aus. 
In Deutschland werden jährlich ungefähr 36 Millionen Puten geschlachtet, denn jeder Deutsche isst ungefähr sechs Kilogramm Putenfleisch im Jahr. Der Anteil von ökologisch erzeugtem Putenfleisch beträgt dabei nur 2,4 Prozent. Es gibt in Deutschland keine spezifischen gesetzlichen Haltungsvorschriften für Puten. Stattdessen hält sich die Branche an die sogenannten “Bundeseinheitlichen Eckwerte”, in denen beispielsweise die Besatzdichten der Ställe geregelt sind. So müssen sich fünf 10 Kilogramm schwere Putenweibchen oder drei 20 Kilogramm schwere Männchen einen Quadratmeter teilen. Andere wichtige Aspekte wie die Gruppengröße, Beschäftigungsmaterial oder ein Auslauf sind nicht konkret festgelegt oder fehlen vollständig. Die Folgen eines schlechten Managements, zu hohen Besatzdichten und schnell wachsender Hybridrassen sind mitunter Verhaltensstörungen, wie Federpicken und Verletzungen.

Puten in Freilandhaltung
Foto: © ReichderNatur/stock-adobe.com

Was zeichnet die konventionelle Mastpute aus?

Es gibt zwei große Zuchtfirmen in Europa, Aviagen Turkeys in Deutschland und Hendrix Genetics in den Niederlanden, die die Elterntiere halten. Die Zucht der Großelterntiere der Puten findet in den USA und England statt. Diese Firmen bestimmen mit, was die konventionelle Pute ausmacht. Deutschland hat die Zucht also nicht in der Hand – wir können hier nur die Haltung der Tiere bestimmen.

Wichtige Faktoren bei der Zucht sind beispielsweise das Brustfleisch und Fortschritte zur Vermeidung von Krankheiten wie Beinfehlstellungen. In Deutschland werden schnelles Wachstum und viel Brustfleisch gewünscht. Am häufigsten werden die sogenannten B.U.T. 6-Puten gehalten, in der ökologischen Haltung auch zusätzlich Kelly Bronze Puten als mittelschwere  oder Hockenhull-Puten als leichtere Genetik.

Werden männliche und weibliche Puten zusammen oder getrennt aufgezogen?

Wenn sie erst gemeinsam aufgezogen werden, hält man sie vier bis sechs Wochen zusammen. Danach werden sie getrennt gemästet. Es gibt Mäster, die sich je nach Geschlecht spezialisieren. Das entspricht auch dem sozialen Verhalten in der Natur – Hennen sind in großen Gruppen zusammen in der freien Wildbahn, männliche eher in kleinen Geschwistergruppen. Vor allem bei den Männchen sind diese Geschwistergruppen wesentlich kleiner als die Gruppengrößen, in denen sie gehalten werden. Es gibt auch Mäster, die sofort die männlichen oder weiblichen Küken einstallen, selbst aufziehen und dann mästen. 

Was sind die größten Probleme in der Putenhaltung?

Man unterscheidet zwischen konventioneller und ökologischer Haltung. Fast jede Mastpute ist am Ende ihres Lebens von Fußballenentzündungen betroffen. Diese können unterschiedlich schlimm ausfallen und sind das größte Problem in der Putenhaltung. Hierfür sind Managementfehler wie eine zu feuchte Einstreu und eine hohe Besatzdichte verantwortlich. Fußballenentzündungen können bei schweren und leichten Puten auftreten. Auch im Ökobereich kann diese Erkrankung vorkommen, wenn beispielsweise der Auslauf zu nass ist. Puten zeigen leider gegenüber Feuchtigkeit kein Meideverhalten, das heißt, sie versuchen nicht, die feuchte Einstreu oder den Auslauf zu umgehen. Im Stall soll die Einstreufeuchte unter 30 Prozent sein, um Fußballenentzündungen zu vermeiden. Um die Feuchtigkeit im Stall im Blick zu haben, wäre ein Messgerät sinnvoll. Es müsste vom Mäster in jedem Fall häufig nachgestreut werden.
Ein zweites großes Problem ist das Beschädigungspicken, welches häufig am Stirnzapfen der Tiere anfängt. Damit die Tiere sich nicht gegenseitig verletzen, wird ihnen die Schnabelspitze kupiert. In Niedersachsen müssen die Mäster neuerdings vorher begründen, warum der Schnäbel kupiert wird und welche Maßnahmen sie bereits im Vorfeld getroffen haben, um Beschädigungspicken zu vermeiden (z.B. Strukturierung des Stalls mit Strohballen oder Beschäftigungsmaterial).
Auch Infektionen z.B. mit Clostridien können im Putenbereich vorkommen, denn hier sind viele Tiere eng beieinander, so dass sich Infektionserreger schnell im Bestand verbreiten. 
Bei schweren männlichen Mastputen sind auch Entzündungen der Brusthaut, sogenannte Brustblasen, ein Problem.

Wieso werden den Puten die Schnäbel gekürzt und was bedeutet das für die Tiere?

Bei großen Gruppen und hohen Besatzdichten kann sich keine soziale Ordnung aufbauen und das sogenannte Beschädigungspicken tritt auf, bei dem sich die Tiere gegenseitig verletzen. In der Wildnis sind die Puten tagsüber größtenteils mit der Futtersuche beschäftigt und dieses Verhalten wollen sie ausleben. 
Beim Schnabelkupieren handelt es sich um eine Amputation. Die Schnabelspitze ist mit Nerven durchzogen. Bei der Oberschnabelkürzung ist manchmal auch das Gewebe des Unterschnabels betroffen. Danach ist zum Beispiel das Futteraufnahmeverhalten verändert.

Das Schnabelkürzen wird mittels Infrarot-Methode ohne Schmerzausschaltung in den ersten Lebenstagen durchgeführt. Durch die Strahlung wird das Schnabelgewebe beschädigt und nach ein bis zwei Wochen fällt der behandelte Teil des Schnabels ab. Dadurch wird die Bildung eines spitzen Schnabelendes verhindert. Die Schnabelspitze ist sehr empfindlich und mit Nerven durchzogen, da sie den Tieren auch als Tastorgan dient.

Wie sieht es im Bio-Bereich aus?

Es ist verboten in der ökologischen Haltung den Schnabel zu kupieren. In Studien von uns hatten nicht-schnabelgestutzte Bio-Tiere  ein wesentlich geringeres Vorkommen von Verletzungen als schnabelkupierte konventionelle Puten. Dies lag vermutlich vor allem am Platz, der geringeren Besatzdichte, der Verfügbarkeit eines Auslaufs, dem Beschäftigungsmaterial. Aber auch hier kann es zu Federpicken kommen.

Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um Puten tiergerecht aufzuziehen und auf das Schnabelkürzen verzichten zu können?

Je geringer die Besatzdichte ist, desto besser ist es für die Puten. Außerdem ist ein Außenklimabereich (sog. Wintergarten) bzw. ein Auslauf mit gut für die Bewegungsfreudigkeit der Tiere und durch die Klimareize vorteilhaft für die Tiergesundheit. Die Beschäftigungsmaterialien müssen tiergerecht sein und häufig gewechselt werden. Besonders gut sind solche, die sich die Tiere erarbeiten müssen. Die Einstreu sollte häufig bearbeitet werden, um nicht über 30% Feuchtigkeit zu kommen. In unseren Untersuchungen der letzten 14 Jahre haben wir selten durchgehend gute trockene Einstreu in den Ställen gefunden. Wirtschaftliche Gesichtspunkte stehen häufig einer tiergerechten Haltung im Weg. Als Kompromiss haben wir in unserer Literaturstudie eine Besatzdichte von 36 bis 40 Kilogramm pro m2 vorgeschlagen. Also ca. zwei Männchen oder drei bis vier Weibchen pro Quadratmeter. In Deutschland sind bei Einhaltung der Bundeseinheitlichen Eckwerte ja deutlich höhere Besatzdichten zugelassen – allerdings gibt es noch keine rechtsverbindliche Regelung zur Putenhaltung. In anderen Ländern – zum BeispielSchweden, Schweiz und Österreich – sind die niedrigen Besatzdichten zwischen 36-40 kg/m2 bereits gesetzlich bindend.  In Österreich gab es nach der Einführung dieser Besatzdichten keinen Einbruch in der Putenbranche.

Was sind die nächsten wichtigen Schritte in Richtung tiergerechte Putenhaltung in Deutschland?

Wichtig wäre eine rechtlich verbindliche Haltungsrichtlinie für Deutschland und die EU.

Was wollen Sie unseren Leser:innen noch sagen?

Sie als Verbraucher bestimmen den Tierschutz. Der Verbraucher bestimmt über den Preis, den er bezahlt, wie tiergerecht eine Haltung ist. Je nachdem welche Tierhaltung Sie wollen, sollten Sie ein hochwertiges Fleisch kaufen.  

Vielen Dank!

Das Interview führte Mareike Petersen und ist im PROVIEH Magazin 03-2021 erschienen.

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