Neue EU-Schlachtverordnung enttäuschend
Es kam zwar nicht so schlimm, wie vom Europäischen Parlament vorgeschlagen; aber echter Tierschutz zum Zeitpunkt der Schlachtung sieht anders aus.
Diesmal kann man von Glück sagen, dass der Vertrag von Lissabon noch nicht in Kraft ist und somit das Europaparlament (EP) noch kein Mitspracherecht in Agrarsachen hatte. Unter französischer Ratspräsidentschaft wurde im 2. Halbjahr 2008 schon eine de facto Mitsprache weitgehend respektiert, da Landwirtschaftsminister Barnier darauf sein Wort gegeben hatte. Der Rat unter tschechischem Vorsitz folgte nun am 22. Juni in Luxemburg den Empfehlungen des EP nicht. Stattdessen folgte man im Großen und Ganzen den Empfehlungen der Kommission. So werden die Mitgliedsstaaten wenigstens auch weiterhin das Recht haben, auf einzelstaatlicher Ebene strengere Tierschutzbestimmungen im Bereich der rituellen und religiösen Schlachtungen zu erlassen. Schweden zum Beispiel hat das betäubungslose Schächten verboten, so auch die Schweiz, Liechtenstein und Island. Dieses Verbot hätte aufgehoben werden müssen, wenn es nach dem EP gegangen wäre.
Hier weitere Neuerungen der am 1. Januar 2013 in Kraft tretenden Schlachtverordnung im Überblick:
- Es handelt sich nicht wie zuvor um eine Richtlinie, die von den Mitgliedsstaaten angepasst und in nationales Recht umgesetzt werden muss, sondern um eine Verordnung, die sofort und direkt Gültigkeit in allen Mitgliedsstaaten hat. Das schränkt einerseits den Handlungsspielraum der Länder ein, gewährleistet aber gleiche Bedingungen für alle.
- Die Schlachthöfe müssen künftig einen Tierschutzbeauftragten benennen, ihr Schlachtpersonal muss einen Befähigungsnachweis erwerben und sie sind verpflichtet, Standardarbeitsanweisungen im Umgang mit den Tieren für ihr Personal auszuarbeiten. Das sind zwar prinzipiell richtige Anforderungen. Leider wird hier aber viel zu viel der freiwilligen Selbstkontrolle überlassen. Um damit wirksamen Tierschutz in den Schlachthöfen zu gewährleisten, hatte es einer strengeren unabhängigen Kontrolle dieser Mechanismen, z. B. durch die Amtstierärzte bedurft.
- Die Verordnung verwässert das Gebot der sofortigen Bewusstlosigkeit bei der Betäubung, das in der Richtlinie enthalten war. Das neue Gesetz fordert nur noch, dass die Betäubung „keine Schmerzen verursachen“ solle. Damit hat man die Vorschriften an die vorherrschende billige und einfache Gasbetäubung mit hohem CO2 Anteil (meist um 90%) angepasst, statt sich am Tierschutz auszurichten. In Kontakt mit Wasser – also in den Augen und auf den Schleimhäuten der Schweine – wird das Gas zu Kohlensäure (H2CO3). Das brennt und schmerzt, die Schweine leiden unter Stress und Schnappatmung. Bis zu einer Minute dauern die quälende Erstickungsangst und das Brennen, bevor die Tiere bewusstlos werden. Die europäische Lebensmittelaufsichtsbehörde EFSA hatte in ihrem Bericht Konzentrationen von über 30 % CO2 als leidvoll für die Schweine bezeichnet. Es gäbe Alternativen – Gasgemische z. B. mit Argon – aber die wären etwas teurer und nicht so leicht zu handhaben. Zudem müsste die Methodik erst noch verfeinert werden. Aber ohne ein Gesetz, das eine Auslauffrist setzt, hat sich in Europa kaum je etwas für den Tierschutz bewegen lassen. Nun gibt es auf absehbare Zeit keinen Anreiz zum Ausstieg aus dieser Praxis.
- Gleiches gilt für die Elektrowasserbadbetäubung („Shackling“) von Geflügel, das mit einer stressreichen kopfüber Aufhängung der Tiere einhergeht. Die EFSA hatte dieses System in einem Bericht aus 2004 schon als extrem schmerzvoll für die Tiere eingestuft und die Einführung alternativer Betäubungsmethoden empfohlen. Die Schlachtverordnung sieht auch hier leider keine Abschaffungsfrist vor, da es angeblich noch immer keine ökonomisch gangbare Alternative gibt. Dabei gibt es mit „CAS“ bereits eine serienreif wirtschaftliche Methode: Das sogenannte „Controlled Atmoshere Stunning“ ist ein sanftes Betäubungsverfahren mit Gas. Die Vögel bleiben dabei in ihren Transportkäfigen, so dass die beim Shackling typischen Stressbelastungen und Verletzungen von Menschen und Tieren sowie Qualitätsverluste vermieden werden. In Deutschland wird CAS bereits seit 2008 eingesetzt und auch vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) wurde dieses Verfahren genehmigt. Die Kommission wird durch die Schlachtverordnung nur dazu verpflichtet, in vier Jahren einen Sachstandsbericht vorzulegen – ob dieser dann zu Änderungen führen wird, steht in den Sternen. Durch das neue EU-Gesetz entsteht so ein völlig überflüssiger und unverständlicher Aufschub bei der Abschaffung einer grausamen und überholten Schlachttechnik.
- Und leider folgte der Rat dem Kommissionsvorschlag in einem wichtigen Punkt nicht: Die Rotationsboxen für das Schächten von Rindern bleiben unter gewissen Bedingungen weiterhin erlaubt. Auch hier hatte die EFSA in einem Bericht festgestellt, dass diese Methode für die Tiere sehr leidvoll ist. Sie empfahl daher, den Tieren den Schächtschnitt in aufrechter Position zu setzen. Dies hatte die Kommission in ihrem Vorschlag umgesetzt, aber die Mitgliedsstaaten entschieden anders.
Die überfällige Überarbeitung der Schlachtrichtlinie, die nun durch den Ratsbeschluss in der neuen EU-Schlachtverordnung ihren Niederschlag gefunden hat, ist insgesamt also keine echte Verbesserung. Sie blieb weit hinter den Hoffnungen und Erwartungen der Tierschutzvereine und Verbände zurück. Nun bleibt uns nur der Kampf auf einzelstaatlicher Ebene für tierschutzgerechtere Schlachtbedingungen, vor allem für die Abschaffung des betäubungslosen Schlachtens und der Substitution von CO2 bei der Betäubung von Schweinen und Pelztieren.
Sabine Ohm, Europareferentin