Wendepunkt für den Tierschutz in Deutschland

Die Bundesregierung überarbeitet nach 50 Jahren endlich das deutsche Tierschutzgesetz. Die derzeitigen Bestimmungen führen zu inakzeptablen gesetzlich zulässigen Zuständen in der Nutztierhaltung. Schädigende Haltungsbedingungen wie etwa die Anbindehaltung, Tierqual bedingende Hochleistungszuchten, Verstümmelungen als Form der Haltungsanpassung und wirtschaftliche Motive als vernünftiger Grund für tierschutzwidrige Praktiken: Diese unhaltbaren Zustände sind mit dem deutschen Tierschutzgesetz bislang legalisiert. Um ein Mindestmaß an Tierschutz zu garantieren, müssen die Bestimmungen umfassend überarbeitet werden. Vor diesem Hintergrund begrüßt PROVIEH die Ankündigung der Bundesregierung das Tierschutzgesetz zu novellieren ausdrücklich, denn für PROVIEH ist klar: So wie bisher, geht es nicht weiter! Haltung, Züchtung und Unversehrtheit müssen endlich tierschutzkonform ausgerichtet werden.

Novellierung überfällig: Bestimmungen überholt, lückenhaft und unzureichend

Grundlegend wurde das Tierschutzgesetz seit seiner Einführung 1972 nicht mehrüberarbeitet. Entsprechend überholt und nicht mehr zeitgemäß sind die Bestimmungen. In den vergangenen fünfzig Jahren entwickelten sich die Haltungs- und Züchtungsbedingungen derart drastisch, dass die gesetzlichen Bestimmungen zwingend überarbeitet und erweitert werden müssen. Beispielsweise war die Anbindehaltung vor fünfzig Jahren noch die übliche Form der Milchviehhaltung. Mittlerweile wird sie jedoch von der Wissenschaft als verhaltensungerecht bewertet und muss damit beendet werden. Das Tierschutzgesetz ist darüber hinaus lückenhaft. Zahlreiche Bestimmungen sind nicht detailliert genug und damit Auslegungssache. Beispielsweise ist die Qualzucht von „Nutztieren“ verboten. Es ist jedoch nicht definiert, was als Qualzucht gilt. Bislang werden massenhafte Entzündungen, Herz-Kreislauf-Versagen, Brüche oder eingeschränktes Bewegungs- und Fortpflanzungsverhalten infolge der Hochleistungszucht aufgrund der fehlender Definition nicht geahndet. Zudem fehlen zentrale Bestimmungen bislang gänzlich. So sind beispielsweise Brandschutzbestimmungen sowie Kontrollen und Sanktionen bei Tierschutzverstößen im Tierschutzgesetz nicht geregelt. Für PROVIEH ist klar: Das deutsche Tierschutzgesetz muss an etlichen Stellen tiefgreifend verbessert werden, um Tiere in Deutschland zu schützen.

Koalitionsvertrag aussichtsreich: Anbindehaltung, Qualzucht, Verstümmlungen

2021 kündigte die Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag an, das Tierschutzgesetz novellieren zu wollen. Für PROVIEH war diese Ankündigung ein großer Schritt – und ein Erfolg: Denn wie viele andere Tierschutzorganisationen kämpft auch PROVIEH seit Vereinsgründung für verbesserte rechtliche Bestimmungen zum Schutz der Tiere. Die Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ging in ihrem Koalitionsvertrag auf wichtige Bereiche der Gesetzesüberarbeitung ein. Die Beendigung der Anbindehaltung wurden genauso genannt wie die Definition der Qualzucht sowie die deutliche Reduzierung von Amputationen bei Nutztieren. Auch verbesserte Vorgaben für Tiertransporte in Drittstaaten und die Überarbeitung der Brandschutzvorschriften bei „Nutztieren“ wurden im Koalitionsvertrag verankert.

Masthühner sind eine extreme Hochleistungszucht. Sie leiden unter anderem unter Herz-Kreislauf-Problemen und einem übergroßen Brustmuskel.

Kursierender Gesetzentwurf: Bruch mit Koalitionsvertrag

Nach der Halbzeit der Legislaturperiode besteht noch immer kein Gesetzentwurf, weil sich die Ampel nicht einig wird. Es kursiert jedoch schon ein Gesetzentwurf in der Öffentlichkeit – und dieser enttäuscht maßlos. Die gesetzlichen Anpassungen würden so gut wie nichts nennenswert verändern, geschweige denn würde die landwirtschaftliche Praxis mit diesen Neuerungen ansatzweise tierschutzkonform werden. Mit diesem Gesetzentwurf würde die Bundesregierung Tierqual weiterhin legalisieren und zementieren. Die Anbindehaltung soll für kleine Betriebe mit Weidegang bestehen bleiben. Bei Verstümmelungen sollen lediglich Betäubungspflichten eingeführt werden, aber die Praxis vom Enthornen, Schnabelkürzen und Schwänzekupieren soll weiterhin zulässig bleiben. Und die Qualzucht bleibt weiterhin undefiniert, sodass sich am Status quo der Auslegungssache nichts ändert. Darüberhinausgehende Überarbeitungen kommen nicht vor. Für PROVIEH ist klar: So nicht! In dieser Form würde die Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag brechen und den Tierschutz in Deutschland weiterhin mit Füßen treten. Dagegen kämpfen wir mit unserer Kampagne „Legalisierte Tierqual beenden!“.

PROVIEH fordert die Bundesregierung auf, das Tierschutzgesetz umfassend zu verbessern

• Anbindehaltung vollständig und unverzüglich verbieten

• Qualzucht anhand klarer Qualzuchtmerkmale verbieten

• Verstümmelungen beenden und Haltungsbedingungen an die Tiere anpassen

• Gesundheitsförderliche und artgemäße Haltungsbedingungen vorschreiben

• Definition des „vernünftigen Grunds“ 

• Tiertransporte in Drittstaaten verbieten

• Videoüberwachung und Betäubungspflicht in Schlachthöfen einführen sowie eine angemessene Entlohnung fachlich geschulter Mitarbeiter

• Kontrollen und Sanktionen verschärfen

Umsetzung des Systemwechsels: Unterstützung für Landwirtinnen und Landwirte

Die Anpassungen im Tierschutzgesetz führen durch verbesserte Haltungsbedingungen, Zuchtbestimmungen sowie Transport- und Schlachtvoraussetzungen bei landwirtschaftlichen Betrieben zu erheblich steigenden Kosten. Denn der Wechsel vom heutigen Status quo hin zur tierschutzkonformen landwirtschaftlichen Tierhaltung ist extrem. Landwirte müssen bei dem Wandel umfassend unterstützt werden, damit sie Schritt für Schritt die höheren Standards umsetzen können. Das Wohlergehen unserer Mitgeschöpfe ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von allen gemeinsam geschultert werden muss. PROVIEH fordert für die Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe:

Artgemäß gehaltenes Schwein mit schönem Ringelschwanz

• Ehrliche Kommunikation: Höhere Tierschutzstandards erfordern Systemwechsel

• Gesamtgesellschaftliche Honorierung der tierschutzkonformen Standards

• Molkereien und Schlachtereien genauso wie Großhandel und Supermärkte in die Verantwortung nehmen: langfristig verlässliche Verträge und Preise

• Finanzielle Förderungen für höhere Tierschutzstandards

• Verhindern von Billigimporten niedriger Tierschutzstandards

Zu den wichtigsten Forderungen von PROVIEH gehört seit Vereinsgründung, die gesetzlichen Tierschutzbestimmungen in Deutschland umfassend zu verbessern. Das Tierschutzgesetz muss die Tiere schützen und die legalisierte Tierqual endlich beendet werden!

Artgerecht statt ungerecht!

Anne Hamester

Dieser Artikel ist im PROVIEH-Magazin „respektiere leben.“ erschienen, Ausgabe 03-2023. PROVIEHs Forderungen für die Überarbeitung des Tierschutzgesetzes können Sie hier nachlesen.

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