Konsum aus artgemäßer Tierhaltung in der Krise?! 

Ob Eier von Zweinutzungshühnern, Milch aus kuhgebundener Kälberaufzucht oder Fleisch von freilebenden Schweinen – die Leuchtturm-Initiativen in Bezug auf artgemäße Tierhaltung und -zucht erfreuen sich steigender Beliebtheit. Viele Menschen entscheiden sich für tierische Erzeugnisse aus artgemäßer Tierhaltung und das trotz deutlich höherer Preise. Als Reaktion auf das gesellschaftliche Interesse sind zahlreiche Initiativen entstanden, die sich mit ihren Produkten als Alternativen zur leistungsorientierten, tierquälerischen industriellen Tierhaltung verstehen. Doch seit Beginn des Ukraine-Krieges steigen die Preise unaufhörlich und belasten den finanziellen Spielraum vieler Menschen. Welche Folgen hat die Krise für die artgerechte Tierhaltung und wie kann Konsum in Krisenzeiten aussehen, um artgemäße Tierhaltung bestmöglich zu unterstützen? PROVIEH hat sich auf die Suche begeben.

Eine artgemäße Haltung hat ihren Preis

Kühe, Schweine oder Hühner in der modernen Landwirtschaft haben einiges gemeinsam: Sie stehen meistens eingepfercht im geschlossenen Stall, leiden unter ihrer Zucht und Fütterung und müssen ihr Leben lang wahre Höchstleistungen erbringen. Das System der intensiven Tierhaltung ist darauf ausgelegt, möglichst viele tierische Erzeugnisse zu einem geringen Preis zu produzieren. Für das Wohlbefinden und die Bedürfnisse von Tieren ist hier kein Platz.

Doch es gibt Initiativen, die eine Lösung für gängige Probleme der industriellen „Nutztier“haltung gefunden haben. Ein gutes Beispiel dafür ist die Aufzucht und Vermarktung von Zweinutzungshühnern als Alternative zum Kükentöten und der Hochleistungszucht in der Legehennen- und Masthühnerhaltung. Auch gibt es immer mehr Höfe mit Rindern, die Weideschuss praktizieren (die Tötung von einem Rind auf der Weide durch einen einzelnen, gezielten Schuss), um ihren Tieren so den stressvollen Transport zum Schlachthof zu ersparen. Sogar die herdenintegrierte kuhgebundene Kälberaufzucht erlebt eine Renaissance. Produkte dieser Leuchtturm-Initiativen mit umfassend tierfreundlich realisierten Systemen sind im Vergleich zu Produkten aus der industriellen Tierhaltung natürlich deutlich teurer. Kleine Strukturen und dezentrale Vermarktungen kommen preislich erschwerend hinzu, sichern aber unabhängige bäuerliche Landwirtschaft. Die Bevölkerung nimmt die Initiativen seit Jahren verstärkt an: Viele Menschen wünschen sich, dass Tiere ein gutes Leben haben, und sind auch gerne bereit, dafür mehr Geld zu bezahlen. Entsprechend ist die Nachfrage nach alternativen Produkten kontinuierlich gestiegen: Artgemäße Tierhaltung wird von Verbraucher:innen gewünscht und auch bezahlt.

Verschiedene Wege durch die Krise

Mit den aktuellen, deutlich spürbaren Preissteigerungen wächst die Sorge, dass diese landwirtschaftlichen Tierschutz-Vorreiter nun auf dünnem Eis stehen und wieder zu verschwinden drohen. Im September 2022 lagen die Lebensmittelpreise fast zwanzig Prozent über dem Vorjahresniveau. Viele Verbraucher:innen kaufen weniger ein und greifen zu günstigeren Lebensmitteln. Im Einzelhandel etwa haben der Absatz von Eigenmarken und Billigprodukten spürbar zugenommen. Ideale wie Nachhaltigkeit, Regionalität und artgemäße Tierhaltung haben zwar nicht ihre Bedeutung verloren, doch die Preisfrage dominiert inzwischen den Einkauf vieler Menschen. Das zeigt sich besonders bei Biolebensmitteln. Während der vergleichsweise teure Naturkostfachhandel einen Umsatzrückgang von bis zu dreißig Prozent meldet, gibt es bei den Discountern einen regelrechten Bio-Boom. Auch bei Direktvermarktern und Hofläden ist der Umsatz um etwa achtzehn Prozent zurückgegangen. Wenn nun vor allem günstige Alternativen im Supermarkt gefragt sind, werden tierfreundlichere und nachhaltigere Produkte aus den Sortimenten genommen. Die Folge: Initiativen mit artgemäßer Tierhaltung scheiden aus, die industrielle Tierhaltung steigt dagegen an. Doch auch in Krisenzeiten brauchen Nutztiere unsere Unterstützung. Wie kann dies gelingen? Dazu hat PROVIEH hier einige Anregungen gesammelt:

Achtung beim Preis!

Nicht immer ist ein Produkt aus besseren Haltungsbedingungen automatisch teurer als Vergleichsware. Beispielsweise sind Biolebensmittel manchmal günstiger als manche Markenprodukte. Wer also beim Einkauf genau auf den Preis achtet, kann so zumindest einen kleinen Beitrag zu einer artgemäßen Tierhaltung leisten.

Nicht am Tier sparen

Unsere Nutztiere sollten nicht unnötig unter der Inflation und unserem veränderten Konsumverhalten leiden müssen. Statt beim Lebensmitteleinkauf gibt es nämlich vielfältige andere Möglichkeiten, um Geld zu sparen. Der Verzicht auf teure Urlaubsreisen oder weniger Außer-Haus-Verpflegung sind nur zwei Beispiele. So schaffen wir uns finanziellen Freiraum, damit wir uns den Kauf von Produkten aus artgemäßer Tierhaltung weiterhin leisten können.

Ein Geschenk aus artgemäßer Tierhaltung

Qualitätserzeugnisse aus artgemäßer Tierhaltung lassen sich auch gut verschenken! Viele Produkte sind hochwertig verarbeitet und ansprechend verpackt und damit ideal als Geschenk geeignet. Haltbare Erzeugnisse eignen sich direkt als Mitbringsel, während frische Waren etwa über einen Gutschein verschenkt werden können. Neben dem Genuss haben viele Produkte auch eine Geschichte zu erzählen. Ein solches Geschenk kann daher auch eine Anregung für mehr artgemäßen Konsum im Alltag sein.

Wertschätzung für das (ganze) Tier

Je weniger tierische Produkte weggeworfen werden, desto mehr Wertschätzung erfährt das Tier. Viele Erzeuger und Vermarktungsinitiativen achten auf eine ganze Verwertung des Tieres und haben neben hochpreisigen Edelprodukten noch Alternativen im Angebot. Bei der Fleischvermarktung etwa wird oft das ganze Tier verarbeitet, daher gibt es neben begehrten Edelteilen auch günstigere Teile vom Tier, die schmackhaft zubereitet werden können. Bei Milchprodukten gilt meistens: Je weniger verarbeitet, desto geringer der Preis. Direkt beim Erzeuger bekommt man manchmal auch gute Sonderangebote, etwa wenn Produkte nicht mehr lange haltbar sind, im Überschuss verfügbar sind oder irgendwelche kleineren Mängel aufweisen. Auch bei der Essenszubereitung zahlt sich Kreativität aus, indem tierische Produkte möglichst restlos verwendet werden – Knochen etwa für eine Brühe und Käserinden für Risotto.

Weniger ist mehr

Die wichtigste Anregung für den Konsum: Wer insgesamt weniger tierische Lebensmittel isst, kann sich eher Produkte aus artgemäßer Tierhaltung leisten. Denn pflanzliche Lebensmittel sind meist günstiger als Milch, Eier und Co. Eine Ernährung, die hauptsächlich auf Pflanzen basiert, schont außerdem das Klima und die Gesundheit. Tierische Erzeugnisse können so bewusst als Genussmittel eingesetzt werden, statt Hauptbestandteil der Nahrung zu sein.

Natürlich sind viele Haushalte aktuell finanziell derart belastet, dass ihnen beim Einkauf keine Wahlmöglichkeit bleibt. Produkte aus artgemäßer Tierhaltung zu kaufen, sollte jedoch keine Frage des Geldbeutels sein. Daher appelliert PROVIEH an die politischen Entscheidungsträger:innen, die dramatischen Preissteigerungen aufzufangen und arme Bevölkerungsgruppen mit hinreichenden Transferleistungen zu unterstützen. Ohne diese ist eine gesunde, ausgewogene und nachhaltige Ernährungsweise schlichtweg nicht möglich – egal wie groß der persönliche Wille ist!

Felicia von Borries

INFOBOX:

Einen guten Umgang mit der aktuellen Krise findet die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Seit Jahren setzt sich die Erzeugergemeinschaft für den Erhalt alter Haustierrassen und eine artgerechte Tierhaltung ein. Das erzeugte Fleisch stammt ausschließlich aus regionaler Freilandhaltung und wird handwerklich verarbeitet – entsprechend hochwertiger sind die Qualitätsprodukte im Vergleich zu herkömmlicher Ware im Supermarkt. Doch auch wenn der aktuelle Absatzrückgang die positiven Entwicklungen der letzten Jahre etwas bremst, steht die Erzeugergemeinschaft auch in Krisenzeiten zu ihrer Arbeit. Bereichsleiter Werner Vogelmann formuliert es so:

„Eine artgerechte Tierhaltung ist nach wie vor wichtig, da unsere Produkte ihren Preis wert sind!! Unsere Empfehlung lautet daher: Kaufen Sie weniger und dafür aus artgerechter Tierhaltung. Ihr Einkauf ist die beste Unterstützung für unsere Arbeit und verhilft unseren landwirtschaftlichen Familienbetrieben zu einer zukunftssicheren Landwirtschaft.“


Dieser Artikel ist im PROVIEH-Magazin “respektiere leben.” 03-2022 erschienen.

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