Schweineglück im Wald

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Es lässt sich vortrefflich darüber diskutieren, wie man eine art- beziehungsweise tiergerechte Haltung definiert. Auch bei unseren viel „genutzten“ Tieren, den Schweinen. Dass die Haltung in engen Buchten mit Vollspaltenböden weder artgerecht noch tierfreundlich ist, darüber erübrigt sich natürlich jede Diskussion.

Eine Haltungsform, die dem Idealbild der artgerechten Tierhaltung wohl am nächsten ist, ist die Haltung von Schweinen im Wald, genauer, dem sogenannten Hutewald. Ein Hutewald, auch Hudewald genannt, ist ein als Weide genutzter Wald. Bei dieser als Waldweide bezeichneten Art der Waldnutzung wurde das Nutzvieh bereits früher in waldreichen Gebieten traditionell in den Wald getrieben, damit es sich dort Futter suchte.

Dieser historischen Form der Schweinehaltung hat sich der im idyllischen Chiemgau ansässige Landwirt und Agrarwissenschaftler Dr. Rupert Stäbler verschrieben. Dr. Rupert Stäbler ist eigentlich Veterinärbiologe. Er studierte zunächst Agrarwissenschaften und promovierte dann im Fachbereich Tiermedizin zum Thema „Grundlagenforschung zum Schweineverhalten“ im Rahmen eines Projekts über Waldschweine. Auf diesem Weg entdeckte er das Thema Waldschweine für sich und entwickelte dafür eine regelrechte Leidenschaft.

Die Idee diese ursprüngliche Haltungsform in seiner Heimat zu realisieren, wurde in einem Urlaub auf Korsika geboren. Die Hausschweine streifen hier frei mit Glocken um den Hals in den Wäldern umher.

2016 startete dann der Pilotversuch. Die ersten 6 „Versuchstiere“, Schwäbisch-Hällische, durften, mit behördlicher Unterstützung, in einem Waldgebiet ihr Leben als Waldschweine beginnen. Und es funktionierte ausgezeichnet. Natürlich ist auch diese Haltungsform vom Menschen gestaltet. Die Bereiche sind, wie gesetzlich vorgeschrieben, eingezäunt und die Tiere haben die Möglichkeit, Hütten und überdachte Fressstände, je nach Witterung und Laune, zu nutzen. Es gibt einen Fressbereich in einem größeren Unterstand, in welchem den Schweinen eigenes Getreide oder zugekauftes Bio-Futter zugefüttert wird. In erster Linie nehmen die Tiere aber Futter aus dem Wald und von der Weide zu sich, welches sie grundsätzlich bevorzugen. Durch die viele Bewegung und die notwendige Thermoregulation im Freiland haben sie einen höheren Futterbedarf als ein Stallschwein. Trotz der großen Menge an aufgenommenem Futter in Wald und Weide fressen sie zusätzlich in etwa so viel Kraftfutter wie ein im Stall gehaltenes Tier – das Futter aus der Natur wird rechnerisch über den erhöhten Energiebedarf der Schweine verbraucht. Allerdings führt es zu einer großen Steigerung des Tierwohls, dass die Schweine hier zwischen den verschiedenen Futtermitteln in der Natur nach Lust und Laune auswählen können. Sie haben nicht nur eine größere Futtervarianz, sondern können sich außerdem viel bewegen, im Erdboden wühlen oder sich suhlen.

Rennen, schnuppern, wühlen, suhlen, schubbern und kuscheln – bei den Waldschweinen dürfen die Schweine ganz „Schwein sein“ (© Foto: Edith Mews)

Und der Wald?

Dass es den Tieren in dieser Haltungsform gut geht, daran besteht kein Zweifel. Eine Frage, die man sich stellen muss, ist jedoch, ob der Wald Schaden nimmt. Und diese lässt sich eindeutig mit Nein beantworten. Rupert Stäbler hat schon einige Erfahrung in Waldwirtschaft, immerhin hat er die drei Waldgebiete, in welchen die Schweine leben, doch selbst in langjähriger Arbeit wieder naturnah aufgeforstet. Im Gegenteil, es lassen sich verschiedene positive Aspekte beobachten, unter anderem die Erhöhung der Biodiversität. Zum Beispiel schaffen erst die Schweine die vielen Pfützen und Suhlen. Dort leben viele Insekten. Ohne Schweine gäbe es diese Biotope nicht. Auch die flächig verteilten Kothaufen werden von Insekten „bewohnt“, welche dann wieder als Nahrungsgrundlage für Vögel dienen.

Aber auch der Forstwirt hat Vorteile, denn die Kombination von Forstwirtschaft mit Tierhaltung steigert die Profitabilität. Und das ist in Zeiten des stark gebeutelten Agrarsektors nicht zu unterschätzen. Herr Stäbler muss nach eigenen Angaben durch die Einnahmen aus der Schweinehaltung nicht mehr so streng darauf achten, um jeden Preis mit dem Holz Geld zu verdienen. Forstwirtschaft an sich sei ein sehr karges Geschäft. Hierzu führt er ein schönes Beispiel aus seinem Wald in der Oberpfalz an: Dort gibt es ausgedehntes Weidengebüsch. Das hatte jahrelang gestört, da dort keine „vernünftigen“ Bäume wuchsen, es hätte gerodet werden müssen. Aus Zeitmangel sei er nicht dazu gekommen. Ein Glücksfall, denn die Ecke eignete sich perfekt für die Schweinehaltung. Jetzt konnte er dort eine Suhle für die Schweine anlegen und die Tiere schufen sich dort mit großem Spaß eine ganze Suhl-Landschaft zwischen den Weiden. Ein Traum, der jedes Schweineherz höherschlagen lässt! Und das Weidengebüsch darf nun auch bleiben.  Auch lassen die Stäblers in ihren Wäldern großkronige Eichen mit viel Totholz stehen und insgesamt bleibt mehr Totholz im Wald. Auch belässt man Lichtungen, da diese sich als Sonnenplatz für die Schweine eignen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass von der Strukturierung im Wald auch viele andere Tiere und Pflanzen profitieren. Eine Einschränkung sei jedoch auch erwähnt. Die ganzjährige Haltung von Schweinen ist in diesen begrenzten Flächen nicht möglich. Der Winter wird als Pause genutzt, in dieser Jahreszeit sind keine Schweine im Wald. Der nächste Jahrgang von Jungtieren darf erst im Frühjahr wieder in die Wälder.

Zurück zu den Schweinen – wer darf in die Wälder?

Die Familie Stäbler hat inzwischen drei Hutewälder. Die Münchner Regionalgruppe von PROVIEH durfte, unter Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen, zwei dieser Wälder besuchen. Einmal den Wald im Chiemgau, welcher etwa viereinhalb Hektar umfasst und Wohnraum von 70 Schweinen ist, sowie das etwas größere Waldgebiet in der Oberpfalz. Hier leben ungefähr 120 Tiere auf ca. vierzehneinhalb Hektar. 

Eingesetzt werden derzeit meist Kreuzungen verschiedener Rassen, überwiegend Schwäbisch-Hällische mit Duroc, inzwischen auch gelegentlich Pietrain-Schweine. Eigentlich seien die Rassen egal, sagt Herr Stäbler, wichtig sei die Vitalität der Tiere. Und hier haben sich Kreuzungen am besten bewährt. Den Tierarzt sehen die Tiere selten, was aber nicht nur der Rasse geschuldet ist, sondern auch der naturnahen Haltungsform. Die Stäblers sind ein Familienbetrieb, auch die Mutter von Rupert Stäbler hat als Tierärztin ein waches Auge auf die Schweine.

Bezogen werden die Tiere von Bio-Züchtern. Das ganze Stäblersche Hutewaldprojekt ist biozertifiziert. Die Schweine kommen ungefähr im Alter von drei Monaten in den Wald. Die agilen Schweine, die die PROVIEH-Regionalgruppe hier im Chiemgau beobachten durfte, kamen beispielsweise von einem Landwirt aus der Steiermark und wurden auf 1.300 Metern über dem Meeresspiegel geboren und aufgezogen. Für diese Schweine ist die Umstellung „auf den Wald“ naturgemäß kein großes Problem. Grundsätzlich hat aber kaum ein Schwein ein größeres Umstellungsproblem. Die Eber sind bereits tierschutzgerecht kastriert und dürfen ebenso in die Herde. Der Agrarwissenschaftler hat hier interessanterweise auch beobachtet, dass die Herren in der Regel etwas Ruhe in die Rotte bringen.

(© Foto: Edith Mews)

Geschlachtet werden die Tiere nach etwa sechsmonatiger Weidezeit im benachbarten Ort oder in einer anderen bekannten nah gelegenen Metzgerei. Große Schlachthöfe sind für Rupert Stäbler tabu. Die Tiere werden nie allein gefahren, immer in Gruppen, und er transportiert sie selbst. Die Vermarktung erfolgt über die Metzgereien und ein Teil über den Hofverkauf.

Auch wenn das mediale Interesse an diesem Thema steigt, gehören Projekte wie das Waldschwein-Projekt noch zu den Raritäten in der Tierhaltung in Deutschland. Auch ist es für Rupert Stäbler noch nicht möglich, vollumfänglich von der Waldschwein-Landwirtschaft zu leben, für die Zukunft ist dies jedoch geplant. Es ist natürlich utopisch in naher Zukunft eine Umstellung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu einer derart naturnahen Haltungsform zu fordern, klar ist jedoch, betont auch Rupert Stäbler, dass der Fleischkonsum drastisch zurückgehen muss.

Vielleicht ließen sich dann mehr derartige Projekte realisieren. Die Tiere und auch die Natur würden es uns danken. Und auch für uns wäre es eine Bereicherung, wenn man öfter so lebenslustige Schweine in (fast) freier Natur beobachten könnte. Sicher ist, dass diese Haltungsform wohl das Beste ist, was einem „Nutztier“ passieren kann.

Unbedingt nachahmenswert!

Edith Mews, Regionalgruppe München


Dieser Artikel ist im PROVIEH-Magazin “respektiere leben.” 03-2022 erschienen.

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