Tierschutz im Koalitionsvertrag

bringt die neue Regierung endlich die Agrarwende?

Nach den Wahlen im September 2021 gibt es seit November 2021 eine neue Regierung. Diese unterscheidet sich ganz erheblich von den Regierungen der letzten 16 Jahre: Nicht nur, dass Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin ist – eine Regierung komplett ohne die CDU, dafür mit grüner Beteiligung hat es lange nicht gegeben. Wie alle Landes- und Bundesregierungen arbeitet auch Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Team auf der Grundlage eines durch alle beteiligten Parteien ausgehandelten und unterschriebenen Koalitionsvertrages. Für die aktuelle Bundesregierung haben sich SPD, Bündnis90/die Grünen und die FDP auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, in dem deutlich mehr positive Projekte für den Tierschutz geplant werden als bei den Regierungen zuvor. Wichtigster Punkt: Das auch von PROVIEH schon seit langem geforderte Tierhaltungskennzeichen kommt! Einen kurzen Erfolgsbericht dazu gab es bereits im PROVIEH Magazin 03-2021. Weitere wichtige Themen sind die die angekündigte Schließung von Regelungslücken, ordnungsrechtliche Maßnahmen wie ein Verbot der Anbindehaltung sowie die Einführung eines Bundestierschutzbeauftragten. Konkrete Maßnahmen zum Umbau der Tierhaltung fehlen dagegen leider völlig. Die wichtigsten Punkte im Koalitionsvertrag im Einzelnen:

Haltungskennzeichen

Zwei Freilandschweine
Foto: © bernardbodo / stock-adobe.com

Seit vielen Jahren fordert PROVIEH eine gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle tierischen Produkte. Bisher war dieses jedoch immer wegen angeblicher europarechtlicher Hürden verworfen worden; es wurde stattdessen von der letzten Bundesregierung ein freiwilliges staatliches Tierwohllabel konzipiert – dieses konnte sich jedoch politisch nicht durchsetzen. Pünktlich zur Wahl haben PROVIEH und der Bioanbauverband Naturland mit der Kampagne Wir zeigen Haltung! (#wirzeigenhaltung) Druck gemacht, um endlich ein verpflichtendes Haltungskennzeichen in den neuen Koalitionsvertrag aufzunehmen. Mit Erfolg! Ganz eindeutig ist dort nun zu lesen: „Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst.“ Wenn jetzt auch wirklich Produkte von allen Tierarten gekennzeichnet werden und über alle Bereiche hinweg – im Supermarkt, im Restaurant oder in der Gemeinschaftsverpflegung – verpflichtend Transparenz geschaffen würde, könnten Verbraucher:innen sich gezielt für bessere tierische Produkte entscheiden und die deutsche Tierhaltung würde vermutlich in angemessener Zeit hin zu besseren Haltungsbedingungen umgebaut. Doch noch ist es nicht so weit, denn nur weil es im Koalitionsvertrag steht, ist die Kennzeichnung noch lange nicht so umfassend umgesetzt. Und auf die genaue Ausgestaltung kommt es an, damit die Haltungskennzeichnung nicht durch unzählige Schlupflöcher verwässert wird. PROVIEH bleibt auf jeden Fall dran! 

Die weiterhin gesetzten Ziele im Bereich der landwirtschaftlich gehaltenen Tiere sind aus Sicht von PROVIEH durchaus zu begrüßen, jedoch bisher noch sehr unkonkret formuliert. Hier kommt es nun ebenfalls auf die Umsetzung an: 

Flächenbindung

Düngung eines Feldes mit Hilfe eines Treckers
Foto: © Countrypixel / stock-adobe.com

Dazu ist im Koalitionsvertrag zu lesen: „Die Entwicklung der Tierbestände soll sich an der Fläche orientieren und wird in Einklang mit den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutzes (Ammoniak/Methan) gebracht. Wir wollen die Emissionen aus Ammoniak und Methan unter Berücksichtigung des Tierwohls deutlich mindern“. Das klingt zunächst sehr gut, ist aber noch reichlich ungenau. Was genau bedeutet zum Beispiel „orientieren“ in diesem Zusammenhang? Hier braucht es klare Obergrenzen, auch für regionale Gebiete. Gigaställe wie in Alt Tellin dürfen nirgendwo mehr möglich sein. Ein Betrieb muss immer so viel eigene Fläche haben, dass er sowohl sein eigenes Futter, zumindest zu einem großen Anteil, anbauen kann als auch dass er seinen Mist auf eigenen, ausreichend dimensionierten Flächen als Dünger nutzen kann, statt ihn über weite Strecken zu verbringen und übermäßig auf zu kleinen Flächen zu entsorgen.  

Änderungen im Ordnungsrecht/Regelungslücken schließen 

Bisher gibt es viele Regelungslücken in den Gesetzen und Verordnungen nach denen Tiere in Deutschland gehalten werden. So sind die genauen Mindeststandards beispielsweise für die Putenhaltung oder Milchkühe in Deutschland noch nie durch den Gesetzgeber festgelegt worden. Genau dies zu ändern, ist im aktuellen Koalitionsvertrag angekündigt: „Wir schließen bestehende Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung […]“. Ob damit nun wirklich ALLE Lücken für ALLE Tierarten geschlossen werden, ist zwar nicht sicher, aber doch zumindest zu erhoffen. Auch hier schaut PROVIEH der Regierung weiter sehr genau auf die Finger und bringt sich ein. Bestimmte Verbote sind dagegen konkret aufgeführt. So soll die Anbindehaltung bei Rindern in spätestens 10 Jahren beendet sein. Auch wenn der Zeitraum kürzer sein müsste, ist dies insgesamt doch ein wichtiger Schritt für mehr Tierschutz, den PROVIEH schon lange gefordert hatte. Außerdem soll der Begriff der Qualzucht konkretisiert werden und nichtkurative Eingriffe wie das Schwänze-Abschneiden bei Schweinen oder das Entfernen der Hörner bei Rindern sollen „deutlich reduziert“ werden. Das sind zwar sehr wichtige Schritte, aber eine Reduzierung ist nicht genug: Solche tierquälerischen Praktiken müssen sofort und vollständig verboten werden!  

Verstöße gegen das Tierschutzrecht sollen zudem in Zukunft nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, also etwa so wie Falschparken, geahndet werden, sondern als Straftat. Auch das maximale Strafmaß soll hier erhöht werden. Dies ist grundsätzlich sehr begrüßenswert, ob sich in der Praxis wirklich etwas verbessert, bleibt aber zunächst unklar. Viele Straftaten aus diesem Bereich werden aktuell leider gar nicht verfolgt, die zunächst zuständigen Veterinärbehörden sind personell oft hoffnungslos unterbesetzt. 

Tiertransporte 

Tiertransporte verursachen vielfaches Leid
Foto: © PROVIEH

Auch für das Thema Lebendtiertransporte finden sich wohlklingende Worte im Koalitionsvertrag: „Lebendtiertransporte in Drittstaaten werden künftig nur erlaubt, wenn sie auf Routen mit nachgewiesen tierschutzgerechten Versorgungseinrichtungen stattfinden. Wir setzen uns auch auf EU-Ebene für bessere Regelungen für Tiertransporte und einen Ausbau des Datenbanksystems TRACES ein.“ Was sich zunächst gut liest, ist in Wirklichkeit jedoch keinerlei Verbesserung zu dem derzeit bestehenden System. Schon nach der jetzt gültigen Rechtslage müssen Versorgungseinrichtungen vorhanden sein und genutzt werden. Dies ist jedoch nicht so und die Kontrolle ist, insbesondere außerhalb der europäischen Grenzen, so gut wie unmöglich. PROVIEH setzt sich schon lange für ein Verbot von Lebendtierexporten in Drittstaaten ein. Selbst die vorige, nicht unbedingt als besonders tierfreundlich bekannte Ministerin Klöckner hatte auf EU-Ebene ein Exportverbot gefordert. Der aktuelle Koalitionsvertrag bleibt also deutlich dahinter zurück, von einem Exportverbot ist keine Rede mehr und stattdessen wird weiter die Hoffnung auf „tierschutzgerechte Versorgungseinrichtungen“ gesetzt. Doch Lebendtierexporte sind niemals tierschutzgerecht, auch nicht mit entsprechenden Versorgungseinrichtungen. Es ist völlig unverständlich, warum eine neue Regierung mit einem grünen Landwirtschaftsminister hier hinter der alten Regierung zurückbleibt. Stattdessen muss die aktuelle Regierung endlich wirksam gegen Lebendtierexporte vorgehen. Am besten natürlich auf europäischer Ebene – sollte dies jedoch nicht, oder nicht schnell durchführbar sein, muss Deutschland alleine voran gehen, der Minister kann laut §12 Tierschutzgesetz mit Zustimmung des Bundesrates Tiertransporte in bestimmte Länder verbieten. Statt lebender Tiere sollte Fleisch, oder zum Aufbau von Zuchtlinien Sperma oder Genmaterial transportiert werden, mittels Verfahren der modernen Reproduktionstechnik ließe sich hier viel Tierleid verhindern. 

Weitere Ansätze zum Tierschutz 

Es gibt einige weitere Ansätze zum Thema Tierschutz im Koalitionsvertrag. Beispielhaft genannt seien hier der Tierschutz-TÜV, sowie die Stärkung pflanzlicher Ernährung und die Schaffung der Stelle eines Bundestierschutzbeauftragten. Die neue Bundesregierung plant einen „Tierschutz-TÜV“, also ein Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallsysteme und Betäubungsanlagen, einzuführen. Sicher wäre so ein Verfahren sinnvoll, um zumindest die gröbsten Verstöße gegen bestehende Regelungen frühzeitig erkennen zu können. Jedoch: Genau dieses Ziel stand auch bereits im letzten Koalitionsvertrag, ohne dass es umgesetzt wurde. „Wir stärken pflanzliche Alternativen und setzen uns für die Zulassung von Innovationen wie alternative Proteinquellen und Fleischersatzprodukten in der EU ein.“ Super, der Konsum tierischer Produkte muss sinken, pflanzliche Alternativen sind sowieso gerade im Trend und ihr Absatz steigt rasant. Schön, dass die Bundesregierung hier auf den fahrenden Zug aufspringen möchte. Wie genau und mit welchen Mitteln bleibt leider unklar. Mit einer Anpassung der Mehrwertsteuer oder Zielvorgaben in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung gäbe es beispielsweise einige Ansatzpunkte. Sie werden hier jedoch bisher nicht genannt und so bleibt abzuwarten, was wirklich in diesem wichtigen Feld getan wird. Gemeinsam mit PROVIEH Druck auszuüben könnte unter anderem eine der Aufgaben des neu einzusetzenden Tierschutzbeauftragten der Bundesregierung sein. Angekündigt ist ein solches Amt im Koalitionsvertrag. Die genauen Aufgaben sind jedoch bisher genauso unklar wie die Kompetenzen, die Rechte und Pflichten dieses Amtsträgers. Hier darf niemand als bloßes Feigenblatt eingesetzt werden! 

Fazit:  

Der neue Koalitionsvertrag liest sich zunächst sehr gut. Mit dem klaren Bekenntnis zu einer Haltungskennzeichnung, welche auch Transport und Schlachtung umfassen soll, ist auch eine der wichtigsten Forderungen von PROVIEH aufgenommen worden. Darüber hinaus gibt es zwar viele schöne Worte, aber wenig konkrete, manchmal auch wenig mutige Ideen für einen Umbau der Tierhaltung in der Landwirtschaft. Viel bleibt hinter dem zurück was PROVIEH erwartet hat. Besonders bitter ist der Versuch, den Umbau der Tierhaltung über ein “durch Marktteilnehmer getragenes System” finanzieren zu wollen. So kann und wird keine große Verbesserung erfolgen. Hiermit wird eine historische Chance vertan, die Landwirtschaft der Zukunft politisch zu gestalten und die Haltungssysteme endlich an die Bedürfnisse der Tiere anzupassen. Schade! Es bleibt also viel zu tun für PROVIEH, denn wir kämpfen für Bedingungen für „Nutz“tiere, die ein Leben lebenswert machen. 

Patrick Müller

Beitrag teilen