Das Beste für mein Pferd

Als ich vor nunmehr 18 Jahren meine Ausbildung zur Hufpflegerin begann, war meine Welt schwarz-weiß. Unsere Ausbilderin hat klare Aussagen gemacht und ich übernahm ihre Meinung fast ungefiltert. Pferde gehören in Gruppenhaltung nach draußen und weder an ihre Hufe noch in ihr Maul gehört irgendwelches Eisen oder Plastik.

Als Vorbild galt „das Wildpferd“. Lange Jahre habe ich gebraucht, bis ich bemerkte, dass dieses Bild dem Abgleich mit der Realität einfach nicht standhielt. „Wenn Landkarte und Weg sich unterscheiden, ist immer die Karte falsch.“ Dieses Zitat las ich zu der Zeit in einem Buch und ich merkte plötzlich, wie ich krampfhaft versucht hatte, alles in mein Weltbild zu pressen, bis ich einsehen musste, dass dieses Weltbild einfach zu klein und zu eng war, um alles, was ich in der Zwischenzeit gesehen und erlebt hatte, hineinzuzwängen. Ich warf all meine Glaubenssätze über Bord und ich schwor mir selbst, nie wieder ungeflitert hinzunehmen was andere sagen und nie wieder den Realitätscheck zu vergessen. Ich schwor mir, auf Ergebnisse zu schauen, bevor ich mich für einen Weg entschied und bis heute hat sich an diesem Schwur nichts geändert.

Heute ist meine Welt zum Glück bunt. Ich kenne Pferde, die nicht gebisslos geritten werden wollen, sondern ganz glücklich sind mit Gebiss.

Eins meiner Pferde hat fast zwei Jahre allein gelebt mit Sichtkontakt zur Herde, weil es im Alter nicht mehr klar kam im Herdenverband. Er war damit glücklich bis zu seinem vorletzten Tag. Ich kenne Pferde, die ihre Box als Rückzugsort für ein paar Stunden oder für die Nacht haben möchten, Pferde, die mit Beschlag besser klarkommen als ohne. Sportpferde, die auf mich einen glücklicheren und gesünderen Eindruck machen als manche Freizeitpferde. Jedem pauschalen Glaubenssatz steht mindestens ein Pferd gegenüber, für das dieser Satz nicht gilt. Versteht mich nicht falsch, ich bin nach wie vor der Meinung, dass die meisten Pferde am besten barhuf bleiben, in der Gruppe draußen leben und tendenziell ohne Gebiss geritten werden. Die meisten. Ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass die meisten Freizeitpferde es besser haben als die meisten Sportpferde. Die meisten.

Eine junge Frau spricht mit einem Pferd
© Pixabay

In meiner Arbeit habe ich nun schon unzählige Pferde und ihre Besitzer getroffen. Dabei bin ich privilegiert, denn ich arbeite nur mit ganz besonderen Pferd-Mensch-Paaren. Keiner der Pferdebesitzer, mit denen ich zu tun habe, hat seine Pferde, um mit ihnen (nur) Geld zu verdienen oder um das eigene Ego mittels gewonnener Schleifchen aufzupolieren (was nicht heißt, dass keiner ein Schleifchen gewinnt. Nur, dass das Wohl des Pferdes auch dabei an erster Stelle steht).  Jeder der Pferdemenschen, mit denen ich zu tun habe, will das Beste für sein Pferd.

Nur – was ist das?

Diese Frage ist für mich unendlich interessant. Sowohl inhaltlich „Was ist denn das Beste?“, als auch hinsichtlich der Frage: „Woran erkennen wir denn, was das Beste ist?“ Denn hier gilt ja letztlich: der Besitzer entscheidet. Bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmefälle ist es dem Besitzer überlassen, zu entscheiden, was für sein Pferd das Beste ist. Was für eine Verantwortung! Allzu häufig sind wir uns gar nicht im Klaren, was das heißt. Denn de facto bestimmen wir ALLES was unser Pferd angeht. Jemand hat bestimmt, welche Stute sich wie und wann mit welchem Hengst paaren darf. Der Mensch entscheidet, wie das Fohlen aufwächst, später entscheidet der Mensch, wo das Pferd lebt, mit welchen Herdenkumpanen, was es zu Fressen bekommt, was es arbeitet, wann der Hufschmied kommt oder der Tierarzt, wann es geputzt wird, wann es eine Decke trägt und welche Ausrüstung wir verwenden. Und ganz am Ende entscheidet in der Regel sogar der Mensch, wann und wie das Leben seines Pferdes endet.

Ich persönlich finde: das ist ein Haufen Verantwortung.

Also, woran erkennen wir, was der Beste für unser Pferd ist? Menschen sind da so unterschiedlich wie ihre Pferde.

Mancher stellt aus Unwissenheit ziemlichen Mist an. Mancher ist beratungsresistent. Mancher ist unvergleichlich optimistisch und der andere unerträglich pessimistisch. Einer ist überzeugt, alles richtig zu machen, ein anderer stellt ständig alles in Frage. Einige ändern alles dauernd, andere machen es so, wie sie es vor 30 Jahren schon gemacht haben. Der eine folgt seinem Bauchgefühl, der andere der Wissenschaft. Und jeder hat gute Gründe, gute Beispiele oder was er Tolles geschafft hat und schreckliche, was anderen Pferden alles passiert ist. Oder aber er hat das Gefühl:„Ich mach immer alles falsch“.

Ich finde, die Frage „Woran erkenne ich, was das Beste für mein Pferd ist?“ wird viel zu wenig gestellt.

Klar, Gesundheit, ein glänzendes Fell, ein schöner Gesichtsausdruck, gute Bemuskelung, das sind einige eindeutige Anzeichen. Die stellen sich ja allerdings erst dann ein, wenn wir schon das meiste richtig machen. Wenn wir zum Beispiel ein altes oder krankes Pferd haben, werden wir dieses Endziel nicht oder nicht mehr erreichen können.
Und im Training wird’s ja noch komplizierter. Denn dass ein Pferd artig ist oder gut bemuskelt, heißt noch nicht, dass ihm das Training Freude macht. Umgekehrt heißt Freude beim Training nicht unbedingt, dass das Training meinem Pferd körperlich gut tut.

Zwei Pferde kratzen sich gegenseitig den Rücken
© Pixabay

Für alle, die jetzt gespannt bis hierhin gelesen haben und auf die allumfassende Antwort hoffen, habe ich jetzt eine kleine Enttäuschung parat. So sehr es immer wieder Menschen gibt, die so auftreten, als wüssten sie ganz genau, was für unser Pferd das Beste ist, so sicher bin ich mir in einem Punkt: Niemand weiß das.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir dem Besten für unser Pferd am nächsten kommen, wenn wir selbst 100 prozentige Verantwortung übernehmen, uns selbst immer wieder hinterfragen und fortbilden, lesen, fragen, lernen, Unterricht nehmen, uns beraten lassen und immer wieder genau hinschauen. Wie geht es meinem Pferd? Was hat sich verändert? Das alles ist doch so viel leichter geworden. Durch die digitale Fotografie können wir aus einem Fundus alter Fotos und Videos schöpfen, können vergleichen, wie unser Pferd letztes Jahr aussah und wie es heute aussieht. Wir können in die unendlichen Weiten des Internet abtauchen und uns schlaulesen. Wir können Kurse besuchen, Bücher lesen, aus einem riesigen Angebot an Trainern, Hufbearbeitern, Sattlern, Tierärzten, Tierheilpraktikern, Reitställen, Zubehör und Therapeuten wählen.
Für mich haben sich einfach einige Punkte herauskristallisiert, an denen ich festmachen kann, ob eine Methode gut für mein Pferd ist oder nicht.
Das erste ist, dass ich mir Ergebnisse anschaue. Ein paar Pferde, die nach dieser oder jener Methode geritten, gefüttert oder gehalten werden. Ich höre nicht den Menschen zu, wie sie darüber reden, ich schaue nur die Pferde an. 

Als zweites schaue ich sehr kritisch auf die Person, die das Pferd und mich ausbilden, beraten oder behandeln soll. Ist diese Person positiv? Spricht sie gut über ihre Kunden und Schüler? Geht sie freundlich mit Mensch und Tier um? Ganz ehrlich: welches Ergebnis mir auch versprochen wird: ich würde mich nicht mehr mit einem negativen Menschen umgeben wollen. Wer dauernd schlecht über andere spricht, wer sich selbst als „Mittelpunkt der Welt“ darstellt, vorgibt, alles zu wissen und zu können oder auf mich als Pferdebesitzer von oben herabschaut, kommt nicht an mein Pferd. Punkt.

Danach schaue ich, ob eine Methode zu mir passt. Das mag egoistisch klingen, aber ich finde es sehr wichtig. Wenn eine Methode für mich zu kompliziert, zu strikt, zu eng, oder allzu „esoterisch“ ist, kann ich mich nicht darauf einlassen. Und dann wird es sowieso nicht funktionieren. Andere wiederum brauchen es vielleicht sehr konkret und können mit diesen Methode gut umgehen.

Weiterhin überprüfe ich die Machbarkeit. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das geht? Als Hufpflegerin habe ich einige Kundenpferde abgelehnt, weil ich überzeugt war, dass meine Arbeit unter den gegebenen Haltungsbedingungen keinen Fortschritt bringen würde. Auch als Pferdebesitzer darf ich das tun, bevor ich viel Zeit und Geld in ein nicht erfolgversprechendes Programm investiere. Aus einem Kaltblüter ein erfolgreiches Rennpferd zu machen, dürfte nun mal ein Ding der Unmöglichkeit bleiben. Und wenn ich einen Stall ohne Halle habe, werde ich nicht weit kommen mit einem Trainingssystem, der darauf basiert, dass ich fünfmal die Woche mit dem Pferd arbeiten kann. Entweder ich passe erst die Gegebenheiten an, oder ich lasse es.

Wenn all diese Punkte abgehakt sind, kommt etwas, was mir ganz wichtig geworden ist: die Testphase. Ich probiere. Ich setze mir Zeiträume, wie lange ich etwas probiere und ich schaue genau hin, ob es meinem Pferd besser geht oder schlechter. Ich verlasse mich auf mein eigenes Urteil und ich frage auch gerne Leute die ich kompetent finde (nicht Leute, die sich selbst kompetent finden 😉 ): „Findest Du, dass mein Pferd besser aussieht?“ Dabei haben sich „Blindstudien“ bewährt. Ich frage jemanden, der nicht weiß, was ich verändert habe. Ich sage es ihm auch nicht. Ich frage nur. Denn häufig wird unser Urteil getrübt von unserer eigenen Vorannahme. Jemand, der mein Pferd nicht so oft sieht, wird mir am ehesten sagen können, ob sich eine deutliche Veränderung eingestellt hat.

Und wenn sich nichts verbessert hat, dann ist es Zeit, neu zu überlegen. Übrigens: Vorwürfe und Ärger nützen an dieser Stelle niemandem. Einfach weitergehen. Wir alle haben schon hunderte oder tausende von Euros „in den Sand gesetzt“. Wir haben alle schon unzählig Fehler gemacht, teils mit schlimmen Konsequenzen. Niemand kann sich davon freisprechen. Wir werden weiter Fehler machen und weiter daraus lernen.

Ich persönlich bin absolut begeistert davon, wie sehr sich die Lage der Pferde in Deutschland in den letzten 20 Jahren verbessert hat. Es gibt so viele tolle neue Möglichkeiten und so viel mehr Menschen, die genau hinsehen und das Beste für ihr Pferd wollen.

Und ich bin auch sicher, dass die Pferde spüren, dass wir uns für ihr Wohl einsetzen. Ich bin überzeugt, sie sind viel mehr bereit, uns Fehler zu verzeihen, die wir aus der besten Absicht heraus gemacht haben, als solche, die aus Egoismus und Gedankenlosigkeit entstanden sind. Und fasziniert beobachte ich flächendeckend, wie Pferde mehr und mehr lernen, direkt zu kommunizieren, was sie möchten, sobald sie merken, dass sie gehört werden.

Als ich gestern Abend unsere Ponys auf die Koppel ließ, zeigten sie mir das überdeutlich. Ich hatte nämlich ausnahmsweise nicht weitergesteckt, weil ich fand, dass noch genug Gras da sei. Die Ponys fingen nicht an zu grasen, sondern gingen am Zaun auf und ab und schauten mich an. Sie schauten so lange, dass ich fast doch noch weitergesteckt hätte. Sie schauten vorwurfsvoll, schnaubten erbost und wirkten sehr verärgert. Erst als ich außer Sichtweite war, fingen sie an, zu fressen. Deutlicher hätten sie ihren Wunsch nicht kommunizieren können und ich werde nicht mehr gar nichts weiterstecken. Manchmal reicht es, einfach mal hinzuschauen.

Lioba Jung

Lioba Jung und ihr Mann Arnulf  haben ein Anliegen: das freundliche, fröhliche und bereichernde Miteinander von Mensch und Pferd, eine tiefe, freundschaftliche Verbindung in der beide voneinander lernen und gemeinsam wachsen. Sie bieten Reitunterricht und Bodenarbeit an sowie Osteopathie für Pferde.      

http://www.orbis-alia.de

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