Die Kuh ist kein Klimakiller

Weidehaltung schützt das Klima

Anita Idel diskutiert in ihrem 2010 erschienenen Buch „Die Kuh ist kein Klima-Killer!“ die Wechselwirkung von Bodenfruchtbarkeit und Weidetieren. Gleichzeitig verdeutlicht sie die positiven Auswirkungen nachhaltiger Tierhaltung auf den Klimawandel. 2013 gewann sie mit diesem Buch den Salus-Medienpreis.

Die deutsche Tierärztin Dr. Anita Idel beschäftigt sich mit den Spannungsfeldern Landwirtschaft und Klimaschutz. Sie argumentiert, dass die Kuh als Weidetier einen positiven Beitrag gegen den Klimawandel leisten kann. 

Eine Frau Sreichelt Kühe
© Andreas Schoelzel

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die Kuh ist kein Klimakiller„ geschrieben. Wenn man es liest, kriegt man den Eindruck, dass nur die eine Hälfte der Kühe, nämlich die Kühe, die geweidet werden, keine Klimakiller sind. Hochleistungskühe schauen Sie aber sehr wohl als Klimakiller an … 

Anita Idel: Der Mensch ist der wahre Klimakiller. Es kommt auf das Agrarsystem an und vor allem darauf, wie die Tiere gefüttert werden. Damit sind wir bei der Kuh. Innerhalb der letzten 60 Jahre hat sich die Zahl der Rinder und Büffel weltweit verdoppelt. Noch vor 60 Jahren haben 750 Millionen Rinder und Büffel vor allem auf der Weide gelebt. Die 750 Millionen, die seither dazugekommen sind, hat der Mensch in den Stall bzw. das Feedlot gestellt – mit Intensivfütterung, die das Vieh zum Nahrungskonkurrenten des Menschen macht. 

Gibt es denn heute zu viel Rindvieh? 

Das Problem liegt darin, dass wir immer mehr Tiere halten, die wir intensiv mit Lebensmitteln füttern – vor allem Geflügel und Schweine. Und mit den mittlerweile 1,5 Milliarden Rindern und Büffeln auf der Erde steigt die Zahl der 10.000er-Kühe und des Mastviehs, das intensiv mit Mais, Getreide und Soja gefüttert wird. So verdrängen wir Kühe, welche Raufutter gut verwerten und eine Doppelnutzung ermöglichen. 

Haben in puncto Klimaschutz nicht die intensiv gehaltenen Kühe, welche vor allem in den Ställen gehalten werden, Vorteile gegenüber Weidekühen, weil Erstere weniger Methan produzieren? Das sagen zumindest fast alle Studien … 

Tatsächlich kommen fast alle Studien zum Schluss, dass die Kuh ein Klimakiller ist. Aber wem ist schon bewusst, dass die Entscheidung über das Ergebnis der Studien bereits fällt, bevor sie begonnen werden? Denn wenn man nur die Emissionen anschaut und fragt: „Wie viele Klimagase werden freigesetzt?“, dann ist die Kuh zwangsläufig immer die Verliererin. Das Ergebnis ist nicht gelogen, und dennoch führt es zu fatal falschen Schlussfolgerungen. 

Was wäre denn Ihrer Meinung nach wissenschaftlich korrekt? 

Nicht nur die Emissionen, auch die Speicherung von Klimagasen muss berücksichtigt werden und somit das Potenzial der Kühe , durch Beweidung das Klimagas CO2 im Boden zu binden. 

Wie kann der Boden als Klimasenke wirken? 

Warum waren 50 Millionen Bisons in Nordamerika früher kein Problem fürs Klima? Aber warum ist es die gleiche Anzahl Rinder, die heute dort gehalten wird, sehr wohl? Der Grund ist einfach: Weidehaltung schützt das Klima. Warum? Das Beweiden löst einen Wachstumsimpuls aus: Dann werden mit der Energie der Sonne das oberirdische Grün und die unterirdischen Wurzeln gebildet. Die Masse dieses Wachstums ist CO2 aus der Luft. Da aus den Wurzeln von heute der Humus von morgen entsteht, entlastet eine zusätzliche Tonne Humus im Boden die Atmosphäre um 1,8 Tonnen CO2. Der umgekehrte Effekt entsteht, wenn wir Dauergrünland umbrechen und dann Mais auf Mais auf Mais anbauen. Denn Mais in Monokultur wirkt als Humusverzehrer und lässt damit die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ansteigen. 

Sie plädieren also für langjährige Naturwiesen und nicht für kurzlebigere Kunstwiesen? 

Gras hat ein gigantisches Potenzial – nachhaltige Beweidung vorausgesetzt. Wo es zu nass oder zu trocken, zu steinig oder zu steil ist, gibt es keine Ackeralternative zur Beweidung. Die weltweit fruchtbarsten ackerfähigen Böden – die heutigen „Kornkammern“ wie die Pampa Argentiniens, die Prärie Nordamerikas oder die Schwarzerdeböden der Ukraine, sind alle Steppenböden – entstanden durch Jahrtausende lange Beweidung. Das heißt, wir nutzen Reserven und vergessen, dass auch sie begrenzt sind. Die Prärieböden haben durch Erosion und Bodenverdichtung in nur 150 Jahren 25–30 Prozent ihrer Fruchtbarkeit verloren – häufig unbemerkt, weil die Beweidung durch Bisons und weitere Weidetiere fünf bis sechs Meter dicke Humusschichten angereichert hatten. Um Verluste zu begrenzen, dürfen die Böden nie nackt sein, unterstützt von Hecken und Baumreihen, auch wenn diese zuvor dort untypisch waren. 

Und Kunstwiesen? 

Durch nachhaltiges Beweidungsmanagement können sogar erodierte Böden wieder revitalisiert werden! Das beweisen Erfolge einiger Pioniere in Nord- und Südamerika. 

Was können wir in Europa und in der Schweiz im Speziellen daraus lernen? 

Die Rindviehhalter, die ihre Tiere weiden, dürfen und müssen viel, viel selbstbewusster sein und sich zusammentun, damit ihre Arbeit gewürdigt wird, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch mit Geld. Über den Mehrpreis am Markt hinaus verdienen ihre Leistungen, auch mit öffentlichen Mitteln honoriert zu werden. Das Potenzial der „Lebensgemeinschaft“ von Weideland und Weidetier ist aber bisher weder ökologisch noch ökonomisch ausgeschöpft. Sehr viel Nachholbedarf für die Wissenschaft, die sich seit Jahrzehnten viel mehr dem Ackerbau widmet. 

Das Interview führte Samuel Krähenbrühl und ist im PROVIEH Magazin “Umwelt spezial” und zuvor in der Zeitung „Schweizer Bauer“ erschienen. 

14.12.2018

Foto: © Andreas Schoelzel

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