Tierschutzthemen auf der Tagesordnung des Europäischen Parlaments (4. bis 7. Mai 2009):

Handelsverbot für Robbenerzeugnisse

Bereits am Montag (4.5.09) Nachmittag ging es in einer Debatte um ein seit Monaten höchst umstrittenes EU-Import- und Handelsverbot für Robbenprodukte. Außer in Kanada und Grönland werden Robben auch in den EU-Staaten Finnland, Schweden und Großbritannien gejagt. Vertreter des Europaparlaments und des Ministerrats konnten sich im Vorfeld der Abstimmung am Dienstag jedoch auf einen Kompromiss einigen. Mit überwältigender Mehrheit (550 von 640 abgegebenen Stimmen) wurde dann am Dienstag beschlossen, dass Robbenerzeugnisse künftig nur unter drei Bedingungen in die EU eingeführt bzw. dort gehandelt werden dürfen: 1. Wenn die Erzeugnisse aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt. 2. Wenn die Robben zum alleinigen Zweck der nachhaltigen Bewirtschaftung der Meeresressourcen (vor allem der Regulierung der Fischbestände) gejagt wurden und die aus ihnen gewonnenen Produkte nicht kommerziell gehandelt werden. 3. Wenn die Waren nur zum persönlichen Gebrauch von Reisenden oder ihren Familien bestimmt sind. Durch die Einigung vorab wird eine zweite Lesung überflüssig, so dass die neue Regelung entsprechend der gesetzlichen Fristen (9 Monate nach Veröffentlichung im EU-Amtsblatt) wohl ab Februar des kommenden Jahres befolgt werden muss.

Dies ist ein großer Erfolg für den Tierschutz – nur bleibt abzuwarten, ob er währt: Kanada und Norwegen haben nämlich bereits eine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) angekündigt. Die Inuit (Ureinwohner Kanadas und Grönlands) fürchten Absatzprobleme durch die neue Regelung, durch die sie ihrer einzigen Einnahmequelle beraubt werden könnten.

Neue Richtlinie für Tierversuche dürftig

Sehr viel enttäuschender fiel die Überarbeitung der völlig veralteten EU-Richtlinie von 1986 “zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere” aus. Die Abgeordneten sprechen sich für die Weiterentwicklung von alternativen Methoden und für einen möglichst weitgehenden Schutz von Versuchstieren aus. Aber nach Ansicht des europäischen Tierschutz-Dachverbandes Eurogroup for Animals wurde bei der Abstimmung am Dienstag (5.5.09) versäumt, durch einschlägige Änderungsanträge den Kommissionsvorschlag nachzubessern, damit z.B. künftig Primaten aus Wildfang nicht mehr für Tierversuche herangezogen werden dürfen. Jedes Jahr werden in der Europäischen Union etwa 10.000 Affen aus Wildfang und aus Zuchtanstalten für Versuche „genutzt“, die hauptsächlich der Grundlagenforschung und der Entwicklung bzw. Prüfung von Arzneimitteln dienen. Spanien ist bisher das einzige EU-Mitgliedsland, das Versuche zumindest an Menschenaffen per Gesetz abgeschafft hat.

Auch wurden die Regelungen zur Genehmigung von Tierversuchen vom Europäischen Parlament verwässert – insgesamt eine verpasste Chance, die Weichen für den Ausstieg aus Tierversuchen hin zu einer baldigen echten Neuausrichtung zu stellen. Statt dass die EU eine Vorreiterrolle übernimmt, Alternativen zu Tierversuchen in der Forschung zu entwickeln, blieb es auch dieses Mal nur bei einem kleinen Schritt in die richtige Richtung.

Inoffizieller Entwurf für die neue Transportrichtlinie halbherzig

Lange sah es so aus, als ob sich die EU in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht mit der Transportrichtlinie für Vieh beschäftigen würde. Jetzt gibt es aber einen inoffiziellen Entwurf einer Kommissionsvorlage. Er  wurde zwar noch nicht veröffentlicht, zirkuliert aber seit April 2009 (während der Vorverhandlungsphase zwischen den verschiedenen Kommissionsdiensten) auf den Brüsseler Fluren. Die gute Nachricht: Die maximale Transportdauer soll auf insgesamt 9 Stunden beschränkt werden. Die schlechte Nachricht: Dies gilt nur Vieh auf dem Weg zur Schlachtung, nicht aber für Mastvieh (ca. 70 % aller Tiertransporte in der EU).
Die Mitgliedsstaaten sollen zudem weitreichende Befugnisse für Ausnahmen von dieser Begrenzung erhalten, und die schwammige Definition für „Schlachttiere“ öffnet Tür und Tor für Umgehungen der Vorschriften. Der Entwurf sieht auch keine Satellitenüberwachung der Transportzeiten per GPS System vor, wie sie nach dem heutigen Stand der Technik durchaus möglich wäre. Gerade die Kontrolle der Umsetzung schon jetzt gültiger Tierschutzbestimmungen über Ruhezeiten, Fütterung und Tränke hat in vielen Mitgliedsstaaten immer wieder Probleme bereitet, so dass die effektive Überwachung eigentlich ein Herzstück der Reform sein müsste. PROVIEH wird sich zusammen mit der Eurogroup und anderen Tierschutzorganisationen in den kommenden Monaten für eine kräftige Nachbesserung des Entwurfs einsetzen.

Schlachtverordnung völlig unzureichend

Schon die Abstimmung im Agrarausschuss am 16. März 2009 ließ nichts Gutes ahnen. Nun kam es im Plenum noch schlimmer: Bei der Plenarabstimmung am Mittwoch (6.5.09) wurden alle Änderungsanträge zur Nachbesserung niedergestimmt, so dass der Vorschlag des Parlaments insgesamt einen erheblichen Rückschritt im Vergleich zur Kommissionsvorlage von 2008 und zum Bericht des Berichterstatters Wojciechowski (Agrarausschuss) vom Januar 2009 bedeutet.

Vor allem mit Blick auf das Schächten, das die Gemüter der Ausschüsse und des Plenums am meisten bewegte, kam es zu einer drastischen Entscheidung – trotz des flammenden Plädoyers des scheidenden Vorsitzenden des Agrarausschusses, Neil Parish, der sich in seiner letzten Intervention als Europaabgeordneter für ein generelles Betäubungsgebot bei allen Schlachtungen aussprach. Ursprünglich sah der Kommissionsvorschlag für die neue Schlachtverordnung vor, dass grundsätzlich alle kommerziell geschlachteten Tiere vorher betäubt werden müssen. Ausnahmen sollten nur für tradierte Feste und religiöse Riten möglich sein. Die Mitgliedsstaaten sollten das letzte Wort haben. Diese Regelung hätte einzelnen Ländern also das vollständige Verbot des betäubungslosen Schächtens ermöglicht, wie in Schweden schon geschehen. Die Europaabgeordneten stimmten diesen Vorschlag aber nieder, ebenso den Vorschlag, das Fleisch von geschächteten Tieren zu kennzeichnen, damit der Verbraucher selbst wählen kann.

Die Verpflichtungen für Tierschutzbeauftragte in Schlachthäusern und für Befähigungsnachweise von Beschäftigten im Umgang mit den noch lebenden Tieren im Schlachthaus wurden stark abgeschwächt. Ganz gestrichen wurde die Bestimmung zur Einrichtung nationaler Referenzzentren, die Schlachteinrichtungen weiterentwickeln und Kriterien für die Aus- und Weiterbildung von Personal optimieren sollen.
Die Begrenzung der maximalen Dauer von Transport der Tiere und ihres Aufenthalts auf dem Schlachthof vor der Tötung (12 h für Geflügel, 24 h für Schweine und Pferde sowie 29 h für Wiederkäuer) kam auch nicht durch. Ein schwacher Trost, dass Pelztiere künftig bei der Schlachtung etwas besser geschützt werden, da sie in die neue Verordnung aufgenommen wurden.
Die Verabschiedung dieses Berichts in seiner geänderten Form (leider mit großer Mehrheit quer durch die Parteien) ist alles in allem ein herber Schlag für den Nutztierschutz. Einige offensichtlich unzufriedene Abgeordnete protestierten nach der Abstimmung heftig von den oberen Rängen, die Vorsitzende aber ging ungerührt zum nächsten Tagesordnungspunkt über.

Man kann nur hoffen, dass der Ministerrat dem Verordnungsentwurf des Parlaments nicht zustimmt. Die Tierschutzvereine werden Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner bitten, diesen Entwurf abzulehnen. Schreiben auch Sie ihr einen Brief. Falls keine qualifizierte Mehrheit im Rat zustande kommt, käme es in der nächsten Legislaturperiode zu einer zweiten Lesung. Bei einer neuen Zusammensetzung des Europaparlaments ab Herbst könnte vielleicht ein besseres Ergebnis erzielt werden. Fragen Sie in Ihrem Wahlkreis auf den Veranstaltungen in den nächsten Wochen, welche Einstellung die verschiedenen Kandidaten zu diesem Thema haben, bevor Sie am 7. Juni 2009 Ihr Kreuzchen machen!

Sabine Ohm

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