Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU –
Tierschutz Überblick und Entwicklungen
Landwirtschaftspolitik ist Europasache. Im Haushalt der Europäischen Gemeinschaft (EG) stehen dafür zwischen 2021 und 2027 über 386 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind 36 Prozent des Haushalts. Die grundsätzlichen Ziele und Regeln für die Verwendung dieses Geldes, werden in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) festgelegt und üblicherweise alle sieben Jahre zeitnah mit dem Haushalt neu verhandelt. Die Mitgliedstaaten setzen diese Vorgaben über Strategiepläne in die nationale Politik um. Deutschland erhält jährlich über sechs Milliarden Euro aus dem europäischen Haushalt für die Agrarförderung.
Struktur der GAP – Zwei Säulen: Direktzahlungen und Ländliche Entwicklung
Der größere Teil der GAP läuft über die Direktzahlungen aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL). Sie werden vollständig aus dem EU-Haushalt finanziert. Deutschland plant bis 2027 rund 4,3 Milliarden Euro an Direktzahlungen im Jahr. Dabei handelt es sich vor allem um Prämien für Flächenbesitz. Daneben existieren andere Maßnahmen wie zur Förderung kleinerer Betriebe, benachteiligter Regionen, junger Landnutzender, gefährdeter Sektoren und seit 2022 die Ökoregelungen.
Die Direktzahlungen sind auf europäischer Ebene einheitlich geregelt. Zwar haben die Mitgliedstaaten gewisse Gestaltungsmöglichkeiten, sie wählen aber zwischen den gleichen Optionen. Größeren Freiraum gibt es nur bei den 2021 eingeführten Ökoregelungen. Darüber kann auch Tierwohl gefördert werden. Eine Möglichkeit, die Deutschland nicht nutzt. Dafür wird im Rahmen der nationalen Umsetzung ab 2022 zumindest eine Weidetierprämie für Schafe, Ziegen und Mutterkühe angeboten.
Der kleinere Teil der GAP läuft über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Deutschland will hier bis 2027 jährlich 2,9 Milliarden Euro einsetzen. Über den ELER werden vor allem Natur- und Klimaschutz gefördert. Er ist aber auch die wesentliche Quelle für die Förderung von Tierschutz in der Landwirtschaft, sei es durch Beihilfen für tiergerechtere Haltungsformen oder entsprechende Stallbauten. Maßnahmen aus dem ELER sind nur zu 65 Prozent über EU-Mittel finanziert. Bund und Ländern bringen 35 Prozent auf. Die Förderung wird vor allem von den Bundesländern gestaltet und umgesetzt.
Konditionalität der GAP
Eine Bedingung für den Bezug der Direktzahlungen ist die Einhaltung der sogenannten Konditionalität. Darunter fallen bestimmten Bewirtschaftungspraktiken, aber auch gesetzliche Regelungen aus anderen Bereichen, wie dem Umwelt- und Tierschutz.
Beim Tierschutz betrifft das die Richtlinien über den Schutz von landwirtschaftlichen Nutztieren (98/58/EG) und von Kälbern (2008/119/EG) sowie Schweinen (2008/120/EG). Diese Richtlinien sind in Deutschland in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) umgesetzt.
Bei Verstößen gegen die Konditionalität drohen schrittweise Kürzungen der Beihilfen bis hin zur vollständigen Streichung. Diese Sanktionen sind unabhängig von Ordnungsgeldern oder Strafen, aufgrund nationalen Rechts. Da die einschlägigen europäischen Richtlinien zum Tierschutz im Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt sind, ist ein Verstoß gegen die Konditionalität in der Regel auch ein Verstoß gegen das nationale Tierschutzrecht. Die Konditionalität stärkt also den Tierschutz, da bei einem Vergehen nicht nur eine Strafe nach nationalem Recht droht, sondern auch die Kürzung der Beihilfen.
Im Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung wurden 2022 in Deutschland nach Berichterstattung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) 53.903 Kontrollen des Tierschutzes in landwirtschaftlichen Betrieben durchgeführt. Bei 23 Prozent der Kontrollen wurden Verstöße festgestellt. Diese Zahlen zeigen, dass selbst die bestehende doppelte Abschreckung durch Beihilfekürzung und Strafen nach dem Tierschutzrecht nicht ausreichen, um eine rechtskonforme Tierhaltung in der Landwirtschaft zu sichern.
Konservative Gegenbewegung in der Agrarpolitik
Bis zu Beginn der Corona-Pandemie war eine zunehmend progressive Entwicklung in der europäischen Landwirtschaftspolitik zu beobachten, genauso in den verwandten Politikfeldern des Umwelt- und Tierschutzes. Durch den systemischen Doppel-Schock aus Pandemie und Ukrainekrieg ist diese Entwicklung in eine massive Gegenbewegung umgeschlagen, die parallel zum Erstarken konservativer Diskurse verlief.
Nachdem Europa während der Pandemie aufgrund von Störungen in den Lieferketten erstmals leere Regale erlebt hatte, drohten nun durch den Wegfall der Weizenexporte aus dem Kriegsgebiet möglicherweise furchtbare Hungersnöte im globalen Süden. In dieser weltpolitischen Lage hatten agroindustrielle Interessensgruppen leichtes Spiel. Organisationen wie der europäische Bauernverband COPA-COGECA vermengten das altbackene Narrativ von der Welternährung geschickt mit Ängsten der Bevölkerung und schwelender Unzufriedenheit der Bauernschaft. So rückte das konservative Konzept der Ernährungssouveränität wieder in das Zentrum europäischer Agrarpolitik und drängte progressive Themen wie Umwelt- und Tierschutz zurück an den Rand.
Auf Europäischer Ebene war diese Gegenbewegung zunächst daran ablesebar, das Prestige-Projekte wie der Green Deal und die damit verbundene „Farm to Fork“-Strategie deutlich erlahmten. Selbst ursprünglich von den Konservativen unterstützte Projekte wie das Nature Restoration Law standen wieder zu Diskussion. Auch die eigentlich für 2023 vorgesehene Überarbeitung des europäischen Tierschutzrechts verzögert sich. Dabei hatte die Europäische Kommission noch 2021 mit ungewöhnlicher Deutlichkeit versprochen, die Käfighaltung im Zuge dieser Reform zu beenden.
Vereinfachung der GAP – Schwächung des Tierschutzes
Im Frühjahr 2024 nahm die Entwicklung eine neue Qualität an. Am 15. März 2024 veröffentlichte die Kommission den Entwurf für eine Verordnung (2024/1468) zur Vereinfachung der GAP. Diese Vorlage ist auf ihr Betreiben hin, in einem beispiellosen Schnellverfahren am 14. Mai 2024 beschlossen worden, also nach zwei Monaten. Zum Vergleich: Die grundlegende GAP-Verordnung (2021/2115) brauchte dafür 42 Monate.
Der Beschluss wirft die Ökologisierung der GAP um ein Jahrzehnt zurück. Unter anderem wird es möglich, mehr Grünland umzubrechen, die Fruchtfolgen werden vereinfacht und es ist nicht länger vorgeschrieben, einen Teil des Ackers brach liegen zu lassen.
Vor allem sind Betriebe mit bis zu zehn Hektar zukünftig von Kontrollen und Sanktionen im Rahmen der Konditionalität befreit. In Europa sind das laut Eurostat 76 Prozent aller Höfe, die elf Prozent der landwirtschaftlichen Fläche halten und 23 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Tiere besitzen.
Die Auswirkungen dieser Vereinfachungen auf den Tier- und Umweltschutz sind nicht abzusehen. Eine Folgenabschätzung wurde dazu von der Kommission genauso wenig durchgeführt wie eine Bürgerbeteiligung. Dabei gehört beides zum üblichen Verfahren.
In Deutschland sind damit 13 Prozent der landwirtschaftlich gehaltenen Tiere zukünftig ohne den zusätzlichen Schutz, den die Konditionalität der GAP mit sich bringt.
Ausblick
Blickt man auf die Europawahl, sieht die Zukunft für eine progressive Agrarpolitik genauso düster aus, wie für einen ambitionierten Umwelt- und Tierschutz.
Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer. Am 27. Mai forderte der Agrarministerrat die zukünftige Kommission auf, Tierschutz endlich ernst zu nehmen.
Andreas Schenk
Dieser Artikel ist erschienen im PROVIEH-Magazin 02/2024