Genetik und Tierschutz: Überraschende Schnittmengen

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Mehrzahl der Lesenden beim Begriff „Genetik“ kurz zusammengezuckt, und bei vielen haben sich ganz automatisch negativ belegte Assoziationen wie „genmanipulierte Pflanzen“, „maßgeschneiderte Retortenkinder“ oder „transgene Tiere auf dem Teller“ eingestellt. Genetik, die Wissenschaft von der Vererbung, genießt ganz allgemein nicht den besten Ruf, weil sie nicht selten – zu Unrecht – auf wenige Auswüchse reduziert wird. Dabei eröffnet sie sogar dem Tierschutz ganz neue Perspektiven und Möglichkeiten und das ohne jeden Eingriff in die genetische Struktur eines Lebewesens: durch die Entwicklung von Gentests, die direkt und indirekt Einfluss auf das Tierwohl nehmen können.

Was sind Gentests?

Genetik ist nicht mit Gentechnik gleichzusetzen und Gentechnik nicht mit Gentests. Genetik erforscht die erblich bedingte Ausbildung und Weitergabe von Merkmalen. Gentechnik setzt die Erkenntnisse eines Teilbereichs der Genetik, der Molekulargenetik, in praktische Anwendungen um und greift dabei auch in das Erbgut ein. Gentests dagegen tun dies nicht, sondern sind rein diagnostische, analysierende Verfahren. Sie untersuchen (meist mit einer einfachen Blutprobe in darauf spezialisierten Laboren) mit unterschiedlichen Fragestellungen das Erbgut eines Individuums und werden bei unseren Haus- und Nutztieren in verschiedenen Kontexten eingesetzt.

Von Bedeutung im Zusammenhang mit dem Tierwohl sind vor allem:

  • Untersuchungen des Erbguts im Hinblick auf bestimmte Erbkrankheiten, mit oder ohne Zusammenhang mit Qualzuchten
  • Die Aufdeckung der Farbvererbung und damit Identifizierung problematischer Konstellationen, die sich durch Zusammenhänge zwischen erblich bedingten Gesundheitsstörungen und bestimmten Farbgenen ergeben.

Gentests sind häufig tatsächlich die einzige praktische Möglichkeit, potentielle Zuchttiere gezielt auf problematische Erbanlagen hin zu untersuchen oder um bei Erkrankungen festzustellen, ob die Gesundheitsstörung womöglich eine genetische Komponente hat. Das dies für mehr Tierwohl sorgt, liegt auf der Hand.

Was können Gentests?

Eine Frau arbeitet im Labor
Foto: © jarmoluk/pixabay.com

Gentests beruhen darauf, dass die Erforschung von Erbkrankheiten bereits viele Erkenntnisse über die Anteile des Genoms eines betroffenen Individuums gewonnen hat, die für diese Abweichung verantwortlich sind. Wissenschaftler kennen also den genetischen Code hinter vielen Erbkrankheiten und haben auf dieser Basis massentaugliche Tests entwickelt. Gentests können zweifelsfrei feststellen, ob im Erbgut eines beprobten Tieres ein solcher Code zu finden ist oder nicht.

Warum ist dies wichtig? Weil es oft nicht anders möglich ist, Träger solcher defekten Gene einwandfrei und frühzeitig zu identifizieren. Der Grund: „Phänotyp ist nicht gleich Genotyp“ – das Erscheinungsbild, die erkennbaren Merkmale eines Lebewesens entsprechen nicht 1 zu 1 seinen Erbanlagen. Tiere können Defekte im Erbgut aufweisen, ohne dass sich jemals erkennbare Anzeichen dafür zeigen. Oft erkranken beispielsweise nur Träger mit zwei defekten Allelen, während Individuen mit einer „guten“ und einer „schlechten“ Kopie völlig unauffällig sind und bleiben. Sie können ihr problematisches Erbgut aber weitergeben!

Und genau hier setzen Gentests an: Sie decken auf, ob sich hinter dem gesunden Phänotyp eines potentiellen Elterntieres ein krankhaft veränderter Genotyp verbirgt und schaffen damit eine Voraussetzung für entsprechende züchterische Maßnahmen, also etwa den Zuchtausschluss betroffener Tiere. Aus diesem Grund werden viele Gentests heute routinemäßig in der organisierten Tierzucht eingesetzt.

Gentests werden auch im Rahmen der tierärztlichen Diagnostik genutzt, um nachzuprüfen, ob hinter einer Erkrankung eine genetische Veranlagung stecken könnte und um dann entsprechende Maßnahmen (tierärztliche Behandlung, Optimierung der Lebensumstände) ergreifen zu können. Und schließlich werden Gentests durchgeführt, um Aufschluss über die Farbvererbung eines potentiellen Zuchttieres zu erhalten. Denn auch bei der Fellfarbe gilt „Phänotyp ist nicht gleich Genotyp“ – und manche Farbvarianten gehen häufig mit bestimmten Erbkrankheiten einher. Vor jeder Anpaarung gilt es deshalb, problematische Kombinationen möglichst auszuschließen – und das geht effektiv nur mit Gentests.

Gentests und Tierwohl

Gerade im Zusammenhang mit genetisch bedingten Gesundheitsstörungen dienen Gentests so direkt und indirekt dem Tierwohl,

  • indem betroffene Tiere einwandfrei identifiziert werden können, was zudem nicht selten die Behandlungsmöglichkeiten einer ausgebrochenen oder bevorstehenden Erkrankung entscheidend verbessert, vor allem aber
  • indem Träger einer genetisch bedenklichen Anlage von der Zucht ausgeschlossen oder im Zuchteinsatz beschränkt werden, was die Weitergabe der Veranlagung und damit entsprechende Erkrankungen bei den Nachkommen ausschließt.

Gentests sind damit ein wichtiger Faktor innerhalb der Schnittmenge von Tierzucht und Tierschutz. Ihre Bedeutung liegt zum einen im Bereich der Qualzuchten, sie dienen darüber hinaus aber auch dem Nachweis von Erbkrankheiten ohne Bezug zu Qualzuchten und dem Erkennen von – auch problematischen – Konstellationen der Farbvererbung. Sie sind besonders dann unersetzlich, wenn fehlerhafte Anlagen anders nicht erkannt werden können, etwa bei rezessiven Erbgängen oder bei Erbkrankheiten, die sich nicht (immer) deutlich, eindeutig oder vor dem potentiellen Zuchteinsatz eines Elterntieres zeigen.

Erbkrankheiten in Qualzuchten

Eine Untersuchung am Mikroskop
Foto: © Herney/pixabay.com

Der Begriff „Qualzucht“ wird aktuell noch vor allem im Zusammenhang mit Haustieren angewendet, lässt sich sinngemäß aber durchaus auf alle in Menschenhand gezüchteten Tiere anwenden, also auch auf “Nutztiere“. Bei einer Qualzucht handelt es sich um die bewusste Förderung oder Inkaufnahme von körperlichen Merkmalen eines Tieres, die beim betroffenen Tier zu Schmerzen, Leiden oder Schäden führen, aber auch von abweichenden Eigenschaften, die das Verhaltensinventar eines Tieres betreffen, etwa das Fehlen einer Beißhemmung. Solche Eigenschaften sind häufig Folge einer auf Übertypisierung bedachten Zuchtauswahl (um zum Beispiel einer Rasse durch Auswahl entsprechender Elterntiere mit jeder Generation immer kürzere Gesichtsschädel anzuzüchten, …), können aber auch auf der bewussten Weiterzucht einer zufällig aufgetretenen Mutation im Sinne einer Erbkrankheit beruhen (die etwa zu stark verkürzten Gliedmaßen, Haarlosigkeit, übermäßige Faltenbildung … führt).

Qualzucht ist vor allem ein durch Übertypisierung hervorgerufenes Problem; wo aber Erbkrankheiten hinter den problematischen Eigenschaften stehen, können diese durch Gentests aufgedeckt werden. Gentests könnten also dazu beitragen, in Qualzuchten belastete Tiere zu identifizieren, von der Zucht auszuschließen und so die Zucht unter Tierschutzgesichtspunkten zu bereinigen und auf gesunder Ebene fortzuführen, sofern dies möglich ist. Ihr im Rahmen des Tierschutzgedankens wichtigstes Einsatzgebiet liegt aber außerhalb der Qualzuchten.

Infobox

In der industriellen „Nutztier“haltung werden nach wie vor die Tiere an ihr Haltungsumfeld angepasst. Zeitgleich zu Eingriffen wie Amputationen von Schwänzen und Schnäbeln und der Verabreichung von großen Mengen an Antibiotika, spielt auch die Zucht auf Effektivität eine große Rolle. Mit dem Focus auf größtmögliche Leistung und im Hinblick auf eine Anpassung an die Haltungsbedingungen und die Ziele der verarbeitenden Gewerbe wurden auf Kosten der Tiere Sauen, die mehr Ferkel gebären als sie Zitzen haben, Kühe, die von der Weide nicht mehr satt werden, Hühner, die faserreiches Futter nicht mehr verdauen oder Kälber, die aufgrund ihrer starken Muskelausprägung nur unter Komplikationen geboren werden können, erzüchtet. Masthühner- und Mastputenrassen, wachsen so schnell heran, dass ihr Stoffwechsel überfordert ist, ihre Organe versagen oder bestimmte Knochen unter der enormen Muskelmasse brechen. Insgesamt sind die Tiere sehr viel anfälliger für Krankheiten und geraten sehr schnell in Stress, der bis hin zum Herztod führen kann. Solch tierschutzwidrige Qualzuchten sind nicht zu tolerieren. PROVIEH fordert seit langem eine Abkehr von der Qualzucht und – nicht zuletzt mit optimistischem Blick auf ein großes Genreservoir alter, ursprünglicher Rassen – eine Neuausrichtung der Zuchtziele in der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Eine robuste Gesundheit, Langlebigkeit und ein langsameres Wachstum sowie die Doppelnutzung sollten dabei wichtige Kenngrößen sein. 

Kathrin Kofent

Erbkrankheiten und Farbzucht in Tierrassen

Erbkrankheiten sind in vielen Haus- und Nutztierrassen vorkommende schwerwiegende Erkrankungen, die durch untypisch veränderte Gene von Elterntieren auf Nachkommen vererbt werden. Die von solcherart veränderten Genen ausgelösten Gesundheitsstörungen sind äußerst vielschichtig und können ganz unterschiedliche Organe oder körpereigene Systeme betreffen, verschiedene Symptome auslösen und unterschiedliche Schweregrade annehmen, bis hin zum Tod des betroffenen Individuums noch im Mutterleib oder kurz nach der Geburt. Zwar treten sie bei bestimmten Rassen oft gehäuft auf, sind anders als manche im Zusammenhang mit Qualzuchten stehende jedoch nicht Teil des Zuchtziels. Es steht außer Frage, dass Erbkrankheiten das Wohl eines betroffenen Tieres negativ beeinflussen. Nicht immer ist dieses Element der Tierschutzrelevanz auf den ersten Blick erkennbar, teilweise bezieht es sich auf die Unfähigkeit, auf natürlichem Weg zu gebären oder es kommt zum frühen Fruchttod bzw. es werden nicht lebensfähige Nachkommen geboren.

Mit Hilfe von Gentests gezielt bestimmte Farbschläge züchten und andere Varianten vermeiden – das klingt nach einem eher harmlosen, wenn auch oberflächlichen Aspekt der Tierzucht. Doch auch hier spielt häufig der Tierschutzgedanke mit, da bestimmte Farbvarianten genetisch mit Erbkrankheiten verknüpft sein können. So treten etwa Augenprobleme oder angeborene Taubheit nicht selten in Verbindung gehäuft mit besonderen Farbschlägen auf, manche Farbvarianten sind sogar Letalfaktoren. Mit Hilfe entsprechender Gentests lassen sich Farbgene identifizieren, ob sie nun in Kombination für die erkennbare Farbgebung eines Tieres verantwortlich sind oder unerkannt im Erbgut schlummern, aber an Nachkommen weitergegeben werden. So können problematische Kombinationen vermieden oder potentielle Elterntiere ganz aus der Zucht genommen werden.

Gentests können aber noch mehr: Mit ihrer Hilfe lässt sich feststellen, ob etwa ein Hund Produkt einer Inzucht ist oder ob er von vielen verschiedenen Vorfahren abstammt. Die genetische Vielfalt ist immer auch ein Maß für die individuelle Robustheit eines Tieres, denn aus Inzucht hervorgegangene Individuen sind statistisch gesehen generell anfälliger als solche mit breit aufgestelltem Genom. Auch diese Form von Gentest trägt also dazu bei, Rassezuchten vermehrt in Richtung Gesundheit auszurichten.

Genetik und Tierwohl: Mit einfachen Tests feststellen können, ob ein Individuum unbelastetes Erbgut an seine Nachkommen weitergeben wird, ob es an einer Erbkrankheit leidet oder daran erkranken wird und daraus dann die unter Tierschutzgesichtspunkten gebotenen Schlüsse ziehen – ein noch wenig beachteter Teilaspekt der Sorge um mehr Tierwohl. Doch jedes genetisch unbelastetes Tier ist ein wertvoller Beitrag und ein kleiner Schritt auf dem Weg zu gesunden Tierpopulationen.

Angelika Schmelzer

Wissen to go

Gentests können

  • durch die Identifizierung oder den Ausschluss (potentiell) krankmachender Besonderheiten des Erbguts die Voraussetzung für informierte Entscheidungen über den Zuchteinsatz von Elterntieren schaffen,
  • Eigentümern zu Erkenntnissen bezüglich eventuell genetisch bedingter Erkrankungen ihrer Tiere verhelfen und damit die Basis einer tiermedizinischen Behandlung und Optimierung der Lebensumstände schaffen,
  • in der Zucht bestimmter Farbschläge dazu beitragen, dass mit besonderen Farbvarianten verbundene genetische Belastungen nicht auftreten und
  • aufdecken, wo Inzucht vorliegt und deshalb mit einer generellen gesundheitlichen Belastung gerechnet werden muss.

Gentests sind  

  • weder mit Eingriffen in das Erbgut verbunden
  • noch werden sie im Sinne einer vorgeburtlichen Diagnostik eingesetzt, um „belastete“ Nachkommen zu identifizieren und durch entsprechende Maßnahmen nicht zur Geburt gelangen zu lassen.

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