Vertrauensmann für Tierschutz in der Landwirtschaft

Die Aufgabe eines Vertrauensmannes für Tierschutz in der Landwirtschaft: Brücken des Vertrauens bauen zwischen Tierhaltern und Behörden

Von 2014 bis 2022 war Prof. Dr. Edgar Schallenberger in Schleswig-Holstein der Vertrauensmann für den Tierschutz in der Landwirtschaft. Seine Aufgabe war es, den Tierschutz in der „Nutztier“haltung zu stärken. Er wurde nach seiner Pensionierung im Jahr 2014 von Robert Habeck, damals noch Agrarminister von Schleswig-Holstein, in dieses Ehrenamt berufen. Welche Erfahrungen hat er in seiner Amtszeit gesammelt? Das wollte PROVIEH von ihm gerne wissen.

Herr Professor Schallenberger, welche Ihrer Qualifikationen haben Ihrer Meinung nach dazu geführt, dass Ihnen das Amt des Vertrauensmannes anvertraut wurde?

Beruflich war ich an der Agrarfakultät der Universität Kiel tätig und habe dort die Abteilung Tierhygiene und ökologische Tierhaltung geleitet. Vorher war ich auch praktizierender Tierarzt und Landwirt und kenne die schleswig-holsteinische Landwirtschaft deshalb aus eigener Praxis und aus vielen Jahren der Lehr- und Forschungstätigkeit. Ich wusste also, dass es in der hiesigen Nutztierhaltung und der Fleischproduktion immer wieder zu gravierenden Regel- und Gesetzesverstößen kommt – von Fehlern in der Haltung über gesetzeswidrige Ferkeltötungen bis hin zu Tierschutzmängeln im Schlachthof. Die zuständigen Behörden können diese Verstöße und Mängel sanktionieren und die Lösung der Missstände einfordern. Aber so einfach lassen sich die Missstände oft nicht bewältigen.

Was konnten Sie als Vertrauensmann zur Bewältigung solcher Probleme beitragen?

Im Grunde musste ich arbeiten wie ein Psychologe, denn oft, wenn auch nicht immer, standen Verursacher von Gesetzesverstößen und Missständen in der Nutztierhaltung unter hohem persönlichem Druck. In dieser Situation kann ein zusätzlicher, behördenexterner Ansprechpartner zur Lösung eines Problems dadurch beitragen, dass er mit dem jeweils Betroffenen vertrauensvolle Gespräche unter vier Augen vor Ort führt. Aber dieses Vertrauen muss erst einmal geschaffen und dann gepflegt werden. Das gilt für beratende Gespräche nicht nur mit Bauern, sondern auch mit Vertretern aus Behörden und dem Agrarministerium.

Wenn das Vertrauen geschaffen war, was haben Ihnen die Betroffenen dann über ihre Nöte gesagt?

Sie sprachen sehr offen über ihre Nöte. Sie fühlten sich zum Beispiel überfordert, gleichermaßen anständig für Hof, Familie und die Tiere zu handeln oder finanzielle Probleme wie etwa Überschuldung zu lösen. Sie waren bekannt in der Gegend und wollten auch nicht ihrem Ruf schaden. Wenn dann noch familiäre Probleme hinzukamen, konnten die unterschiedlichen Überforderungen in ihrer Summe auch zu psychischen Problemen führen, die im schlimmsten Fall eine Einweisung in die Psychiatrie erfordern können. Aber wer würde den Hof dann übergangsweise bewirtschaften können? Dafür jemanden zu gewinnen ist auch nicht ganz einfach. In der Landwirtschaft kann es also zu Problemen kommen, die sich durch Rückkopplung in bedenklicher Weise aufschaukeln.

Mehrfach wurde ich von solchen Menschen in Not mitten in der Nacht zu Hilfe gerufen und musste dann sofort zu ihnen hinfahren, gleich, von woher der Hilferuf kam. In solchen Fällen erkannte ich immer wieder: Leidet der Mensch, leidet auch sein Vieh.

Einmal hatte ein Bauer in seiner Not sein Milchvieh derart stark verwahrlosen lassen, dass alle 21 Tiere unverzüglich eingeschläfert werden mussten. Das konnte nicht ich entscheiden, das musste der herbeigerufene Amtstierarzt tun, nachdem er sich mit mir beraten hatte. In solchen und anderen Fällen konnte ich immer nur hoffen, mit der Kraft meiner Argumente meine Gesprächspartner zu überzeugen, gleich, ob sie Bauern oder Behördenvertreter waren. Zum Glück liefen solche Gespräche meist sehr kooperativ und stärkten das gegenseitige Vertrauen.

Wegen einer grassierenden Tierseuche muss immer wieder einmal ein ganzer Viehbestand gekeult (unblutig getötet) werden. Kann das zu einem psychischen Schock für einen Tierhalter führen?

Ja, natürlich. Von einem auf den nächsten Tag ist plötzlich der ganze Stall leer. Das tut weh! Vor allem, wenn man am vertrauten Vieh hing. Die Tierseuchenkasse zahlt zwar eine Entschädigung, aber sie reicht längst nicht aus zur Deckung der Unkosten für die Entsorgung der verbliebenen Gülle, für die Desinfektion des leergewordenen Stalls und für dessen Wiederbelegung mit neuen Tieren, was erst nach einigen Monaten wieder erlaubt ist. In der ganzen Zeit gibt es keine Einnahmen, aber die regulären Ausgaben laufen weiter. Auch das kann zu existenziellen und psychischen Nöten führen.

Wie ist es möglich, dass Hilfe suchende Bauern Sie auch nachts anrufen konnten?

In Zusammenarbeit mit Krankenkassen wurde ein 24-stündiges Not-Telefon vereinbart, das die Rufnummer 0561-785-10101 hat und der Annahme hilfesuchender Gespräche dient. Derartige Gespräche wurden stärker nachgefragt als gedacht. Den Hilfesuchenden wird ein Paket von Hilfsmöglichkeiten angeboten, zu denen auch ein vertrauensvolles Gespräch mit mir gehörte. Das erforderte von mir allerdings, täglich ganztägig bereitzustehen, um unverzüglich tätig zu werden. Mir ging es in solchen Krisen immer um die Menschen, die Probleme haben. Deswegen wandten sich die Bauern, die mit dem Tierschutz Probleme haben, oft lieber gleich an mich statt an ein Amt, um mit mir die Lösung ihres Problems zu beraten.

Als besonders kritisch erwies sich erfahrungsgemäß die Zeit zwischen Weihnachten und den Heiligen drei Königen, denn dann ist immer die Hoch-Zeit für emotionale Krisen und daraus resultierende Probleme mit dem Tierschutz. In dieser Zeit war meine Hilfe immer besonders stark nachgefragt.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch anfügen, wie auch Fleischkonsumenten nicht nur zur Weihnachtszeit zu mehr Tierschutz beitragen können. Dadurch, dass sie nicht Billigfleisch aus tierschutzwidriger Viehhaltung kaufen, sondern lieber weniger, teureres Fleisch aus tierschutzfreundlicher Haltung.

Herr Professor Schallenberger, wir danken Ihnen für das erhellende Gespräch.

Das Gespräch mit Prof. Edgar Schallenberger führten Prof. Dr. Sievert Lorenzen und Brigitte Bock für PROVIEH im August 2022.


Dieser Artikel ist im PROVIEH-Magazin “respektiere leben.” 03-2022 erschienen.

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