One-Health – wir sind alle verbunden

Grundlegender Umbau der Tierhaltung für One-Health zwingend notwendig

Für den Schutz der Gesundheit von Tier und Mensch sowie für die „Gesundheit“ von Umwelt und Klima brauchen wir weitreichende Verbesserungen in der Tierhaltung. Denn die industrielle, intensive Form heutiger „Nutztier“haltung führt zu großem Schaden an der sogenannten “One Health”:  Also sowohl die Gesundheit der Tiere, der Umwelt und des Klimas, aber schließlich auch die Gesundheit von uns Menschen sind durch diese Form der Tierhaltung gefährdet. 

Schutz der Tiere und ihrer Gesundheit

Sau im Ferkelschutzkorb und ihre Ferkel daneben
Foto: © A/stock-adobe.com

In den heute zulässigen und üblichen Formen der Nutztierhaltung leiden die Tiere nicht nur an den schlechten Haltungsbedingungen, sie erkranken auch an diesen. Die Belastung durch Enge und stickige Luft, das Leben über den eigenen Exkrementen, das fehlende Tageslicht und die großen, nicht artgemäßen Gruppen belasten das Immunsystem und die Gesundheit der Tiere sehr. Sie sind zudem im Dauerstress und dieser setzt ihnen zusätzlich gesundheitlich zu. Durch die großen Gruppen von Hunderten Schweinen und Abertausenden Hühnern, gehalten auf minimalem Platz, ist der Krankheitsdruck im Falle eines Erregers oder einer Infektion immens. Die individuelle Beobachtung, Betreuung oder gar Behandlung in einer Krankenbox finden nicht statt. Darüber hinaus führt der Leistungsanspruch an die Tiere zu gesundheitlichen Problemen: Milchkühe erkranken an Euterentzündungen, Schweine an Nekrosen, Hühner an Kreislaufzusammenbrüchen und Brustbeinbrüchen, weil ihnen zu viel Milch oder Eier, zu viel Fleisch oder zu viele Ferkel abverlangt werden. Die Folge: Den Tieren geht es nicht gut, sie haben Schmerzen und leiden unter den Krankheitsverläufen – und zwar nicht in Einzelfällen, sondern systemisch, über alle Tierarten hinweg. Wollen wir gesunde und leidensfreie Tiere, benötigen wir eine völlig neue Form von Tierhaltung.

Kranke Nutztierhaltung ist von Antibiotika abhängig

Hühnermastanlage; Foto: © Countrypixel/stock-adobe.com

Durch diesen Krankheitsdruck ist die heutige Nutztierhaltung abhängig vom massiven Einsatz von Antibiotika und anderer Arznei. Erst dieser massive Einsatz macht die heutige Form der Tierhaltung überhaupt möglich. 98 Prozent aller Hähnchenbestände sind mit Antibiotika behandelt, 40 Prozent davon mit Reserveantibiotika. 80 Prozent aller Milchkühe werden durch den Einsatz von Antibiotika „trocken gestellt“: Weil das nächste Kalb schon während des Milchflusses des vorangegangenen Kalbes kommt, müssen die Kühe künstlich „trocken“, das heißt von der Milch abgestellt, werden. Weil sie aber durch ihr Hochleistungsniveau zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht „abgestillt“ sind, werden prophylaktisch Antibiotika eingesetzt, um Euterentzündungen entgegenzuwirken. 

Auch die Kälber werden stark mit Antibiotika behandelt: Die meisten „überschüssigen“ Milchkälber gehen bereits mit wenigen Wochen in intensive Kälbermastanlagen: Hier kommen dann viele Kälber von unterschiedlichen Betrieben mit unterschiedlichen Keimspektren zusammen, während ihr Immunsystem gerade besonders geschwächt ist. In den ersten Tagen ist das Kalb noch durch die Immunabwehr des Muttertiers geschützt, aber zum Zeitpunkt des Betriebswechsels bereits nicht mehr. Das eigene Immunsystem des Kalbes ist jedoch erst nach mehr als einem Monat voll ausgebildet. Das Kalb befindet sich in der immunologischen Lücke. Die Abhilfe: standardmäßiger Einsatz von Antibiotika. 

Bei den Ferkeln ist die Situation ähnlich: Auch sie werden zu früh von der Sau und der Muttermilch abgesetzt, kommen dann in großen, heterogenen Gruppen auf einen Mastbetrieb und werden aufgrund des großen Stressaufkommens prophylaktisch antibiotisch behandelt. 

Und neben diesem vorbeugenden Einsatz werden Antibiotika zudem metaphylaktisch eingesetzt. Das heißt, im Krankheitsfall wird nicht das Einzeltier, sondern die gesamte Gruppe behandelt, üblicherweise über das Trinkwasser. Dadurch werden statt einem Tier Zehntausende Tiere mit Antibiotika behandelt. 

Das heutige System der Nutztierhaltung ist krank. Doch anstatt es zu gesunden und den Tieren die Haltung, den Umgang, das Futter, die Leistung und Zucht zu gestatten, die sie brauchen, ist Antibiotika zum Mittel geworden, mit dem das tierungerechte System erhalten wird. Diese Praktik verstößt gegen die EU-Tierarzneimittelverordnung, welche besagt, dass Missstände bei der Haltung nicht durch Antibiotika ausgeglichen werden dürfen. 

Nahezu alle Mastdurchgänge beim Geflügel und die meisten Milchkühe werden mit Antibiotika behandelt. Diese Routineverabreichung ist jedoch ein eindeutiger Hinweis auf einen Antibiotikaeinsatz, der Mängel in der Züchtung und in der Haltung ausgleichen soll. Hier bedarf es dringend ein Nachschärfen in der Verordnung und eine wirksame Durchsetzung ihrer Bestimmungen.

Menschliche Gesundheit: Schutz vor Krankheiten erfordert Umbau der Tierhaltung

Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung ist zur Bedrohung der menschlichen Gesundheit geworden. Denn die in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika bleiben nicht in Stall und Tier, sondern wirken über Rückstände in Wasser, in tierischen Produkten und in Umweltkreisläufen insgesamt nach. Dadurch haben viele Menschen Resistenzen auf zahlreiche Antibiotika entwickelt. Die Folge ist, dass sie im Krankheitsfall nur noch mit Reserveantibiotika behandelt werden können. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat berechnet, dass bereits heute jährlich 1,2 Millionen Menschen an multirestenten Keimen sterben, gegen die es keine wirksamen Medikamente gibt. Dieses Problem wird sich angesichts des bestehenden unverantwortlichen Umgangs mit Antibiotika zukünftig laut WHO noch verstärken und viele Menschenleben kosten.

Infobox

PROVIEH hat jüngst zusammen mit anderen Organisationen sowohl an die Europäische Kommission als auch das Bundesministerium für Gesundheit appelliert, den Einsatz von Antibiotika grundsätzlich zu beschränken, die Reserveantibiotika der Humanmedizin vorzubehalten und übergeordnet den systemischen Umbau der Tierhaltung einzuleiten. 

Klimaschutz: Belastung durch Tierhaltung

Die industrielle Tierhaltung gehört neben dem Energiesektor und dem Verkehr zu den größten Treibhausgas-Verursachern. Weltweit sind 14,5 Prozent aller Treibhausgase auf die Nutztierhaltung zurückzuführen. Zum einen werden große Mengen Futtermittel und Ressourcen für die Haltung der Tiere benötigt. Ein besonderes Problem ist die Rodung von Wäldern für die Ausdehnung von Weide- und Ackerflächen. Für den enormen Bedarf der Nutztiere an Getreide, Mais und Soja werden riesige Waldflächen zu Ackerflächen umgebrochen – und Unmengen an zuvor gebundenem CO2 freigesetzt. Zum anderen erzeugen die Tiere selbst klimaschädliche Gase: CO2, Methan und Lachgas sind die wichtigsten. Der größte Eintrag kommt von Rindern, denn beim Wiederkäuen rülpsen sie Methan aus. Dieses ist 25-mal so klimaschädlich wie CO2 und führt hierdurch zu einer starken Klimabelastung. Die in Deutschland knapp 120 Millionen gehaltenen Tiere sind angesichts der Klimakrise nicht zu verantworten. Statt so viele Tiere industriell und intensiv zu halten, sollten insgesamt weniger Tiere besser gehalten werden.

Gesundheit unserer Umwelt erfordert Agrarwende

Neben dem Klimawandel ist auch bei anderen sogenannten planetaren Grenzen die industrielle Nutztierhaltung ein starker Treiber. Mit “planetaren Grenzen” sind die ökologischen Grenzen der Erde gemeint, deren Überschreitung die Stabilität des weltweiten Ökosystems und damit die Lebensgrundlagen der Menschheit gefährdet. Rückgang der Biodiversität, die Versauerung der Ozeane, Nährstoffüberschüsse und Auslaugung der Böden weltweit gehen zu großen Teilen auf die Landwirtschaft und im Besonderen auf die industrielle Nutztierhaltung zurück. Die planetaren Grenzen zeigen hier, dass die Funktionskreisläufe auf der Erde stark bedroht sind – mit katastrophalen Folgen für uns Menschen. Monokulturen, Abbau von Wäldern, enormer Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger und der hiermit zusammenhängende Rückgang an Biodiversität, das heißt an Pflanzen- und Tierarten, hängt stark mit der heutigen Form von Landwirtschaft und Tierhaltung zusammen. Eine Agrarwende und der große Um- und Abbau von Tierhaltung sind ein immenser Beitrag zur Gesunderhaltung unserer Umwelt – und letztlich auch für unsere Gesundheit.

Anne Hamester

erschienen im PROVIEH-Magazin „respektiere leben.“ 02-2022

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