EATABLES – Wesen in Federn und Fell
Ein Interview mit Babette Brühl
Frau Brühl, Ihr Kunstprojekt ´E A T A B L E S – Wesen in Federn und Fell´ zeigt Portraits von Schweinen, Rindern, Hühnern und anderen landwirtschaftlich genutzten Tieren. Was hat Sie dazu bewogen, „Nutz“tiere als Motive auszusuchen?
Mit meiner Kunst möchte ich positive Impulse geben, indem ich Nähe zu etwas möglich mache und dadurch eine andere Perspektive anrege. Ich möchte, dass wir alle Tiere voller Mitgefühl behandeln und andere Entscheidungen bei der Auswahl unserer Lebensmittel treffen.
Um etwas zu benutzen, kategorisieren wir es, ordnen es ein und unter. So ermächtigen wir uns. Mit dem Begriff ´Nutztier´ machen wir diese faszinierenden Lebewesen zu Objekten. Wir verdinglichen sie, nehmen ihnen Lebendigkeit, die Fähigkeit zu fühlen, Schmerzen und Freude zu empfinden. Wir verlieren die Beziehung zu einer Schöpfung und den Glauben daran, dass alles miteinander verbunden ist, sich aufeinander bezieht und wir auch nur ein kleiner Teil dessen sind. Das wusste schon Giordano Bruno, ein angesehener Gelehrter und Zeitgenosse Galileo Galileis, der 1.600 als Ketzer auf Weisung der Kirche verbrannt wurde, weil er sagte, dass auch unsere Welt Teil eines riesigen Universums ist. Der monotheistisch geprägte Mensch begreift sich als ´Krone der Schöpfung´, von einem Gott geschaffen, dem wir angeblich ähnlich sein sollen. Wir vermenschlichen das Göttliche und verdinglichen das Lebendige, um uns zu Herrscher:innen über diesen Planeten zu machen.
Und dann fragmentieren wir das Verdinglichte, so dass man dessen Herkunft nicht mehr erkennt. Fleisch assoziieren wir nicht mehr mit Kühen, sondern mit ´Steak´. Man nennt es Rindfleisch und nicht Kuhfleisch. Eine Kuh ist weiblich, hat einen Euter, gibt Milch, weil sie ein Kalb geboren hat. Das radieren wir einfach aus.
Lebendige ´Nutz´tiere haben wir aus unserem Stadtbild entfernt. Sie leben im Abseits und kaum noch ein Städter hat einen Bezug zu ihnen. Wir kaufen ein Stück Fleisch aus einem Kühlregal in weißen Plastikschalen. Wir nennen es Filet, das klingt kosmetisch-distanziert und vornehm. Das hat nichts mit Töten und Schlachten zu tun.
Wie sind Sie auf den Namen „E A T A B L E S“ gekommen? Was wollen Siedamit ausdrücken?
Im ersten Moment klingt ´E A T A B L E S´ nett und harmlos, ja niedlich. Eine anglisierte Mehrzahl. Anglismen haben die Lässigkeit der Popkultur. (Nicht zu verwechseln mit ´Edibles´ – Haschgebäck)
Und dann kommt `Wesen in Federn und Fell´. Langsam dechiffriert sich da was. In Zusammenhang mit den großen Zeichnungen und dem direkten Blick dieser Wesen kriecht eine Ahnung hoch und wird zur Gewissheit: Dass ich nämlich genau das, was mich da so freundlich anschaut, esse. Der Name ist eine niedliche Verdinglichung, die sich in ein fühlendes Wesen verwandelt, das uns auf Augenhöhe und aufrecht voller Schönheit und Würde anschaut.
Wie sind Sie dabei vorgegangen? Worauf haben Sie besonders geachtet?
Ich habe viel recherchiert und mich an diejenigen gewandt, die ´Nutz´tiere halten und mit ihnen angemessen umgehen, manche mehr, manche weniger. Nach einem Besuch auf einem Hof sind mir allerdings beim Anblick der Fotos, die ich dort von Gänsen gemacht habe, erneut die Tränen gekommen. Alle waren furchtbar schmutzig. Sie hatten zu wenig Wasser, um ihr schönes, weißes Gefieder sauber zu halten. Die Besitzerin des Hofes hatte mir erzählt, dass Weihnachten für sie immer mehr zum Grauen wird. Gänse sind ´treu´ und beziehungsfähig. Alle werden zum ´Fest der Liebe´ getötet. Wölfe hatten auf ihrem Hof Schafe gerissen. Darunter waren auch schwangere Auen. Wölfe stehen unter Naturschutz. Das ist auch gut und richtig. Aber diese Bäuerin fühlte sich allein gelassen und war überfordert.
Auf den meisten Höfen habe ich Gutes erlebt. Man lässt Kühe und Schweine in Gemeinschaft leben zwischen sauberem Stroh. Schweine sind saubere Tiere. Nur in der Not beschmutzen sie ihren Koven. Dort haben die Tiere freien Auslauf auf die Felder. Und doch rief dort eine Kuh verzweifelt nach ihrem Kalb. Man hatte es ihr am Morgen weggenommen und geschlachtet. Die Milch der Kuh wurde für Milch und Käse gebraucht, nicht zum Stillen. Das tut weh, auch den Bauern.
Mit allen habe ich viel gesprochen, mich nach den besten Möglichkeiten erkundigt. Deswegen war ich ausschließlich auf Höfen, die ökologische Landwirtschaft betreiben.
Mit deren Erlaubnis habe ich mich stundenlang zwischen den Tieren aufgehalten und darauf gewartet, dass sie sich mir auf Augenhöhe im frontalen Gegenüber zeigen. Irgendwann gab es immer diesen ´Moment´, diesen Augenblick, wenn sie mich direkt angeguckt haben und in einen offenen Kontakt zu mir gingen. Den habe ich mit der Kamera festgehalten.
Aus hunderten von Fotos habe ich dann die ausgesucht, die so scharf waren, dass ich jedes Härchen sehen konnte. Mein Ziel ist es, die Schönheit der Tiere in jedem Detail zu zeigen und deren Individualität. Kein Tier gleicht dem anderen. Manche sind mutiger, andere weniger, draufgängerisch oder verspielt, haben ein ruhiges oder ein wildes Temperament. Ein Bulle galoppierte immer auf mich zu und ich wusste nicht, ob er mich angreifen wollte oder Nähe suchte. Er hatte mich wiedererkannt! Und ich habe ihn erst beim Sortieren der Bilder an seinem Knopf im Ohr an der Zahl wiedererkannt, denn es waren Wochen vergangen und er war inzwischen groß geworden. Das hat mich sehr berührt.
Die Fotos und die großen Zeichenpapiere (105 x 75 cm) habe ich anschließend quadriert. Mit dieser klassischen Technik vergrößert man Motive, um sich die Proportionen zu erarbeiten. Dann erzeichnete ich mir mit Bleistift meine Landkarte: Wo was genau in welcher Form zu sehen ist. ´Form follows funktion´ ist ein Satz aus dem Designbereich. Und er gilt auch hier: Jede Erscheinungsform macht Sinn.
Wenn die Bleistiftzeichnung in allen Details fertig war, habe ich Schicht für Schicht die Linien in Tusche darüber gesetzt – und den Bleistift wegradiert.
Diese Vorgehensweise ermöglichte mir einen freien Strich, der nicht mehr zögerlich war. Ich hoffe, dass sich diese Freude am Modellieren in den Zeichnungen mitteilt.
Wie lange brauchen Sie in etwa für eine Zeichnung?
Unterschiedlich – aber mindestens ein bis zwei Wochen mit all der Vorbereitung, manchmal auch drei Wochen, wenn ich eine Zeichnung verworfen und noch mal gezeichnet habe.
Jedes Tier hat außerdem seinen eigenen mythologischen Namen bekommen. Was steckt dahinter?
Im Alten Ägypten hatten die höchsten der Götter Tiergestalt. Die Griechen ehrten die Kraft der Tiere, indem sie diese zu bedeutenden Gegnern machten. Zeus verwandelte sich selbst und andere in Tiergestalten. Aus diesen zwei Mythologien habe ich die Namen gesucht und sie gemäß ihrer Art zugewiesen. ´Taweret´ war eine Nilgottheit. Flusspferde sind dem Schwein ähnlicher als dem Pferd. Sie war die Göttin der Fruchtbarkeit, Schutzgöttin schwangerer Frauen und ihre Erscheinung bezog sich auf den Nil, der jedes Jahr die Felder überschwemmt und das Land fruchtbar macht. Meine ´Taweret´ ist eine Sau mit Zitzen, die sehr entspannt, freundlich und aufrecht mit wachen Öhrchen und runder Rüsselnase und vielen, dicken Zitzen an ihrem runden Bauch vor uns sitzt. Sie scheint den Betrachter mit all ihren Sinnen wahrzunehmen – und in den Kontakt zu gehen.
Was möchten Sie mit Ihren Zeichnungen bewegen?
Ein Sich-Wundern, ein Staunen damit diese Tiere wieder anders wahrgenommen werden. Sepp Braun, Vorstand der ´Bioland Stiftung´ formulierte es sehr schön: als Mitgeschöpfe auf Augenhöhe´.
Die E A T A B L E S sollen einen positiven Impuls geben, das Essverhalten zu ändern und nicht mehr so viel Fleisch- und Milchprodukte zu kaufen und wenn, dann nur Bio! Wir sollten diese Tiere wieder ehren und dankbar sein, wenn wir sie uns einverleiben. Wir sollten uns mehr Zeit nehmen für unsere Lebens-Mittel. Und wir sollten endlich erkennen, dass alle Lebewesen eine Würde haben, der wir mit Respekt und Zärtlichkeit begegnen sollten.
Vielen Dank!
Das Interview führte Christina Petersen
http://www.babettebruehl.de/zeichnung/e-a-t-a-b-l-e-s
Frau Brühl hat uns freundlicherweise einige ihrer Motive für die Produktion von hochwertigen und nachhaltigen Geschirrhandtüchern zur Verfügung gestellt. Diese Tücher mit den verschiedenfarbigen Aufdrucken eignen sich auch hervorragend als Geschenk. Schauen Sie gerne in unseren Online-Shop.