Bahnbrechendes Gerichtsurteil:

Der Anfang vom Ende der Kastenstände

Für den holländischen Investor Adrianus Straathof, gegen dessen Praktiken sich PROVIEH seit Jahren massiv einsetzt, hat das endgültige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2016 weitreichende Konsequenzen – aber nicht nur für ihn.

Berufsverbot für Straathof

Der industrielle Massentierhalter Straathof gilt mit rund 1,5 Millionen erzeugten Ferkeln pro Jahr als einer der größten Schweineproduzenten Europas. Seit 2001 hielt der „Schweine-Baron“ auch in Deutschland in zahlreichen Großanlagen hunderttausende Tiere, meist in alten „LPG“-Gebäuden (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) aus DDR-Zeiten. Dort wurden die Tiere  über Jahre hinweg teilweise unter absolut tierschutzwidrigen Bedingungen gehalten.

Das Veterinäramt des Landkreises Jerichower Land (Sachsen-Anhalt) dokumentierte zum Beispiel in Gladau und Klein Demsin jahrelang schwerwiegende Mängel bei der Versorgung, Unterbringung und Pflege der Schweine, darunter zahlreiche unbehandelte Verletzungen wie Lahmheiten, Klauenabrisse, Schulterverletzungen, Abszesse, Leistenbrüche, nicht sachgemäß kupierte Ringelschwänze sowie zu lange Haltung in zu kleinen Kastenständen.

Deshalb verhängte das Veterinäramt im Dezember 2014 nicht nur Zwangsgelder, sondern erstmalig in Deutschland auch ein Tierhaltungs- und Betreuungsverbot gegen Adrianus Straathof. Das Magdeburger Verwaltungsgericht bestätigte das Berufsverbot endgültig im Juli 2016 aufgrund der Schwere und der Vielzahl der festgestellten Verstöße. Einer seiner Ferkelerzeugungsbetriebe in Gladau mit etwa 70.000 Tieren musste bis Ende August 2015 sogar komplett geschlossenen werden. Dies ist ein wichtiger Präzedenzfall für den Umgang mit Tierschutzverstößen.

Das Kastenstandurteil

Zudem schafft das wegweisende Magdeburger Urteil gegen Straathof vom 24. November 2015 aus Tierschutzsicht endlich auch Rechtssicherheit über die Auslegung von § 24 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV). Dieser besagt, dass Kastenstände so beschaffen sein müssen, dass 1. die Schweine sich nicht verletzen können und 2. jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen sowie den Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann. So steht es in Deutschland eigentlich bereits seit 1988 in der Verordnung, aber es hielt sich niemand daran. Bisher standen in einigen Bundesländern wie in Niedersachsen und in Mecklenburg-Vorpommern 65 Zentimeter Breite für Jungsauen und 70 Zentimeter für Altsauen als Richtwerte in den „Durchführungsbestimmungen“, die Ländersache sind. Obwohl diese Maße zu klein sind (siehe Infobox), orientierten sich viele andere Bundesländer an diesen Richtwerten.

Straathofs Firmen klagten sich vergeblich durch alle Instanzen mit der Begründung, es reiche aus, wenn ein Schwein seine Gliedmaßen in einen benachbarten Kastenstand strecken könne, auch wenn dort ebenfalls ein Schwein gehalten werde. Das Gericht in Magdeburg präzisierte, dass es für ein in einem Kastenstand gehaltenes Schwein möglich sein muss, jederzeit eine Liegeposition in beiden Seitenlagen einzunehmen, bei der ihre Gliedmaßen auch an dem vom Körper entferntesten Punkt nicht an Hindernisse stoßen. Als Hindernis zählt das Gericht auch ein anderes Tier. Genaue Zentimetervorgaben über Länge und Breite machte es dagegen nicht, weil Sauen unterschiedlich groß sein können. Übergangsfristen für die Einhaltung der Vorgaben sind nicht vorgesehen.

Die Konsequenzen

Kein Amtstierarzt hatte sich zuvor getraut, Maßnahmen gegen zu kleine Kastenstände zu ergreifen, da hohe Schadenersatzklagen drohten, falls sie vor Gericht verloren hätten. Nun können und müssen sich die Kontrollbehörden in ganz Deutschland am Magdeburger Urteil orientieren; denn es hat bundesweite Gültigkeit, sowohl in Bezug auf Straathofs Berufsverbot als auch hinsichtlich der Kastenstände.

PROVIEH weiß aus Erfahrung, dass in den üblichen konventionellen Kastenstandbatterien, die auch das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (Friedrich Löffler-Institut) kritisch sieht (siehe Infobox), die Bestimmungen nicht eingehalten werden können. Weil das Gericht die Anordnung als Dauerverwaltungsakt qualifiziert hat, können die Amtstierärzte künftig wiederholt Zwangsgelder gegen Tierhalter festsetzten, falls ihrer Ansicht nach ein Stall dem Gerichtsurteil nicht Genüge tut.

Das hessische Landwirtschaftsministerium reagierte noch im Dezember 2016 mit einem Erlass auf die neue Rechtslage. PROVIEH begrüßt, dass alle Sauenhalter in Hessen innerhalb von sechs bis maximal zwölf Monaten einen betriebsspezifischen Plan vorlegen müssen, wie sie die gerichtliche Vorgabe künftig einzuhalten gedenken.

Eine bundesweit einheitliche Vorgehensweise sollte in der Agrarministerkonferenz beschlossen werden. Das ist dringend nötig, denn wer von amtlicher Seite nicht zügig handelt, begeht Rechtsbeugung – und es könnte zu Wettbewerbsverzerrungen kommen, wenn der Gerichtsbeschluss unterschiedlich gehandhabt würde. Auch die Qualitätssicherungsorganisation QS, die die überwiegende Mehrheit der Schweinebetriebe in Deutschland zertifiziert, ist nun in der Pflicht, die QS-Kontrollen dem neuen gesetzlichen Mindeststandard anzupassen.

Wie sieht die Zukunft aus?

Breitere Käfige sind aus Sicht von PROVIEH nicht die Lösung. Die Betriebe haben verschiedene bessere Alternativen. Zum Beispiel können sie die Metallkäfige im Deckstall entfernen und Gruppenhaltung ohne Fixierung einführen, wie es seit den 1990er Jahren in Großbritannien gesetzlich vorgeschrieben ist. In Schweden, der Schweiz und den Niederlanden dürfen die Sauen seit vielen Jahren nur noch wenige Tage fixiert werden. Vielerorts wurden Kastenstände zu offenen Fress-Liegebuchten umfunktioniert, aus denen die Sauen nach kurzer Fixierung zur Besamung in Gruppenbereiche heraus können. Österreich und Dänemark haben den Ausstieg aus der Kastenstandhaltung ebenfalls schon besiegelt, ab 2033 und 2035 respektive auch für Altbauten.

Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wollen den Ausstieg laut Münsteraner Erklärung vom 9. Januar 2017 ebenfalls so schnell wie möglich. Die Amtschefkonferenz der Bundesländer forderte das Bundeslandwirtschaftsministerium zu Beginn des Jahres auf, nach Vorbild der dänischen Regelung – mit Fixierung nur während der wenige Tage dauernden Rausche (Fruchtbarkeitsphase) der Sauen – zügig die nötigen Änderungen der TierSchNutzV in die Wege zu leiten.

Die Tierhalter können und sollten bei den notwendigen Investitionen mit Hilfe von EU-Agrarsubventionen der Umstellungsphase großzügig gefördert werden, da die Vorschriften in Deutschland über die EU-Mindestanforderungen hinausgehen.

Das Urteil von Magdeburg stellt einen weiteren Meilenstein in unserem harten Kampf für artgerechte Schweinehaltung in Deutschland dar, über den wir uns sehr freuen – ohne dabei zu übersehen, dass es bis zum völligen Ausstieg aus der Käfighaltung von Sauen noch ein weiter, steiniger Weg ist. PROVIEH hofft und zählt unterwegs auf Ihre Begleitung und Unterstützung.

Sabine Ohm

28.02.2017

Infobox

Zuchtsauen dürfen laut Gesetz bis zu fünf Wochen zur Besamung in sogenannte Kastenstände eingesperrt werden, wo sie sich nicht einmal umdrehen können. Durch Hochleistungszucht auf immer mehr Ferkel pro Wurf wurden die Sauen körperlich immer größer und länger. Sie entwuchsen den üblichen Sauenkäfigbatterien, ohne dass die Tierhalter, Berater, Stallbauer und Tierärzte reagiert hätten. Laut Friedrich-Löffler-Institut (FLI) bedeutet die Haltung in Kastenständen für Sauen eine erhebliche Einschränkung verschiedener Verhaltensweisen und birgt Risiken für ihre Gesundheit. Da sich Kastenstände laut FLI nicht ohne erheblichen Aufwand flexibel verändern lassen, ist ihre Anpassung an die tatsächlichen, zum Teil stark variierenden Körpermaße der Sauen und damit die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen in der Praxis kaum möglich

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